Gegenseite muss in presserechtlichen Eilverfahren grundsätzlich gehört werden
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© Uli Deck / dpa

Die prozessuale Waffengleichheit verlangt, dass die Gegenseite in einstweiligen Verfügungsverfahren grundsätzlich gehört wird, auch wenn wegen besonderer Dringlichkeit keine mündliche Verhandlung erforderlich ist. Dies hat das Bundesverfassungsgericht am 17.06.2020 bekräftigt und die Wirksamkeit einer presserechtlichen Unterlassungsverfügung vorläufig ausgesetzt, in der es um einen Artikel in der "Welt am Sonntag" über einen in die "Ibiza-Affäre" verwickelten österreichischen Detektiv ging.

Streit um Bericht über in Ibiza-Affäre verwickelten Detektiv

Hintergrund des Eilverfahrens war ein Artikel in der "Welt am Sonntag" über das "Ibiza-Video", das den österreichischen Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zu Fall brachte. In dem Artikel ging es um den in die Affäre involvierten, von der Zeitung teilanonymisierten Detektiv J., gegen den in Österreich strafrechtlich ermittelt wird. Der Artikel berichtet umfassend über diese Ermittlungen und erwähnt diverse Zeugenaussagen. Er nennt auch verschiedene Vorwürfe gegen J.: Dazu gehören Drogengeschäfte in größerem Umfang, ein Erpressungsversuch gegenüber Strache und eine frühere Verurteilung wegen Drogenbesitzes. In dem Artikel wird auch die Sicht von J. dargestellt, der den österreichischen Ermittlungsbehörden politische Verstrickungen mit Strache vorwirft und in den Ermittlungen eine Rufmordkampagne als Revanche für die Veröffentlichung des Videos sieht.

LG erließ einstweilige Verfügung ohne Anhörung des Verlags

J. mahnte den Verlag ab. Die Beschwerdeführerin wies das Unterlassungsbegehren umgehend zurück. J. stellte anschließend einen Eilantrag beim Landgericht Berlin. In der Antragsschrift reagierte er unter anderem auf die Argumente der Abmahnungserwiderung. Das LG erließ eine einstweilige Unterlassungsverfügung, ohne die Beschwerdeführerin vorher anzuhören. Dagegen legte diese beim BVerfG Verfassungsbeschwerde ein und begehrte zugleich Eilrechtsschutz.

BVerfG: Anhörung grundsätzlich auch in Eilverfahren ohne mündliche Verhandlung erforderlich

Der Eilantrag hatte Erfolg. Das BVerfG hat die Wirksamkeit des LG-Beschlusses vorläufig ausgesetzt. Es bekräftigt, dass der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit auch in Verfahren der einstweiligen Verfügung verlange, dass die Gegenseite im Verfahren gehört wird. Dies gelte auch dann, wenn eine Verfügung wegen besonderer Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung ergehen dürfe. Entbehrlich sei die vorherige Anhörung nur dann, wenn vorprozessuale Abmahnung und Eilantrag identisch sind und die Erwiderung der Gegenseite letzterem beigefügt ist.

Keine Kongruenz zwischen Eilantrag und Abmahnung

Diesen Anforderungen habe das LG nicht genügt. Die Beschwerdeführerin hätte offensichtlich vor Erlass der einstweiligen Verfügung gehört werden müssen, um die prozessuale Waffengleichheit zu wahren. Zwar habe der Antragsteller die Beschwerdeführerin außerprozessual abgemahnt und diese darauf erwidert. Der Eilantrag beim LG sei jedoch auf Einwände in der Erwiderung eingegangen und habe zudem neue Aspekte enthalten. Damit habe es ersichtlich an der gebotenen Kongruenz zwischen Eilantrag und vorprozessualer Abmahnung gefehlt.

BVerfG, Beschluss vom 17.06.2020 - 1 BvR 1380/20

Redaktion beck-aktuell, 13. Juli 2020.