Brexit: Ratifizierung des Brexit-Vertrags durch britisches Parlament weiter offen

Der Brexit-Beauftragte des Europaparlaments, Guy Verhofstadt, hat Bedingungen für die Ratifizierung des neuen EU-Austrittsvertrags mit Großbritannien gestellt. Es seien noch einige Probleme zu lösen, sagte er am 22.10.2019 im Europaparlament. So dürften EU-Bürger aus Großbritannien nicht ausgewiesen werden, weil sie Fristen zur Registrierung verpasst hätten oder bedürftig seien. Im Übrigen werde das Europaparlament dem Austrittsvertrag erst zustimmen, wenn das Ratifizierungsverfahren in London abgeschlossen sei.

Austrittsdatum nach wie vor unklar

Das werde nicht mehr diese Woche geschehen, so Verhofstadt weiter. Premierminister Boris Johnson will Großbritannien am 31.10.2019 aus der Europäischen Union führen. Er hatte aber auf Geheiß seines Parlaments - widerwillig - eine Verlängerung der Austrittsfrist bis Ende Januar beantragt, die die EU-Staaten bewilligen könnten. Der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zog vor dem Europaparlament eine ernüchternde Brexit-Bilanz: “Es war eine Zeit- und Energieverschwendung.“ Die EU wird laut Ratspräsident Donald Tusk alles tun, um einen Brexit ohne Vertrag zu verhindern. “Ein No-Deal-Brexit wird niemals unsere Entscheidung sein.“

Johnson droht mit Neuwahlen

Johnson hat unterdessen am Nachmittag des 22.10.2019 offen damit gedroht, seinen Brexit-Deal aus dem Parlament zurückzuziehen und Neuwahlen anzustreben. Dies sei dann nötig, wenn ihm die Abgeordneten die Zustimmung für den Zeitplan zur Beratung des Brexit-Gesetzes verweigerten, sagte Johnson im Unterhaus in London wenige Stunden vor der entscheidenden Abstimmung. Eine Ablehnung des Zeitplans würde "den Pfad für einen No-Deal-Brexit in neun Tagen öffnen", sagte Johnson. Die Abgeordneten des Unterhauses sollen am Abend nach der zweiten Lesung des Brexit-Deals nicht nur ein Meinungsbild zu dem Gesetzespaket abgeben, sondern auch über den von Johnson vorgeschlagenen Zeitplan abstimmen.

Abstimmung auch über Zeitplan

Der Premier sagte weiter, eine Abstimmungsniederlage würde die Macht über den weiteren Verlauf an die EU weitergeben. Der beste Weg, einen No-Deal-Brexit zu vermeiden, sei es, einem Deal zuzustimmen. Am Mittag, als Johnson die Debatte im Unterhaus eröffnete, waren die Mehrheitsverhältnisse für die Abstimmung am Abend nicht eindeutig. "Wir können den Brexit erledigen und unser Land voranbringen", sagte Johnson an die Abgeordneten gerichtet. Gleichzeitig könnten dann auch die Vorbereitungen für einen ungeregelten Brexit beendet werden. Während der Premier bessere Chancen hat, die Abstimmung zum Meinungsbild zu gewinnen, könnte ihm die Mehrheit für den Zeitplan fehlen. Unter anderem überlegen nach britischen Medienberichten die zehn Abgeordneten der DUP, gegen den straffen Zeitplan Johnsons zu stimmen, der das 110 Seiten starke Gesetz mit zahlreichen Querverweisen auf weitere Bestimmungen in nur drei Tagen durchboxen will.

Britisches Unterhaus verärgert über Johnsons Zeitdruck

Im Parlament in London gibt es große Verärgerung über den Zeitdruck durch Johnsons Pläne. Das jetzt den Abgeordneten präsentierte Dokument zum Gesetz zur Ratifizierung des Brexit-Vertrags umfasst etwa 110 Seiten. Um abstimmen zu können, müsse man den Inhalt kennen, sagte Emily Thornberry von der Labour-Partei. “Warum sollten wir das Spiel von Boris Johnson mitspielen?“ Als “skandalös“ bezeichnete Labour-Brexit-Experte Keir Starmer das Vorgehen. Auch Pete Wishart von der Schottischen Nationalpartei war erbost: “Wie um Himmels willen sollen wir die Chance haben, das angemessen zu beurteilen?“

Abgeordnete können noch Anträge einbringen

Das Unterhaus wollte am 22.10.2019 in zweiter Lesung über das Gesetz beraten. Eine erste Abstimmung dazu ist um 20 Uhr geplant. Dann könnte sich schon abzeichnen, ob Johnsons Brexit-Pläne Chancen auf eine Mehrheit haben. Auch über den Fahrplan, wie das Gesetz in so kurzer Zeit durch das Parlament gepeitscht werden kann, sollen die Abgeordneten am Abend abstimmen. Insgesamt umfasst das Verfahren drei Lesungen in beiden Parlamentskammern. Die Abgeordneten können noch Anträge einbringen, die das Abkommen im Kern verändern würden - zum Beispiel können sie eine dauerhafte Zollunion mit der EU vorschlagen. Denkbar ist auch eine Vorgabe, den Deal den Briten in einem zweiten Referendum vorzulegen.

Bercow ließ Abstimmung über Brexit-Deal nicht zu

Johnson hatte am 21.10.2019 die Parlamentarier dazu aufgerufen, seinen Brexit-Plan zu stützen. Der Parlamentspräsident John Bercow ließ eine Abstimmung über den neuen Brexit-Deal aber nicht zu. Er begründete seine Ablehnung damit, dass der Entwurf der Regierung in seinem Inhalt der gleiche wie der vom Samstag sei. Auch die Umstände hätten sich nicht geändert. Das Unterhaus sollte eigentlich am Samstag über den Deal abstimmen. Die Abgeordneten votierten aber dann dafür, die Entscheidung zu verschieben. Damit wollten sie einen Chaos-Brexit ausschließen.

Konservativer Brexit-Experte: Ungeregelter EU-Austritt nach Bercows Entscheidung wahrscheinlicher

Der konservative Brexit-Experte Nile Gardiner warnte trotzdem, ein ungeregelter EU-Austritt sei nach der Entscheidung Bercows wieder wahrscheinlicher. Zusammen mit parlamentarischen Manövern der Labour-Partei könne die Situation dazu führen, dass die Regierung ihr Ratifizierungsgesetz für den mit Brüssel vereinbarten Deal wieder zurückziehen müsse, so Gardiner. Das wäre etwa dann der Fall, wenn es der Labour-Partei gelänge, eine Mehrheit für den Verbleib Großbritanniens in einer Zollunion zu organisieren. “Das würde das ganze Abkommen verändern“, sagte der frühere Thatcher-Berater und Leiter des Margaret Thatcher Centers for Freedom bei der erzkonservativen Heritage Foundation in Washington.

Redaktion beck-aktuell, 22. Oktober 2019 (dpa).