BGH verneint verschuldensunabhängige Haftung eines Recyclingunternehmens bei Detonation einer Weltkriegsbombe

Der Betreiber eines Recyclingunternehmens beziehungsweise der Eigentümer des Betriebsgrundstücks haften nicht verschuldensunabhängig, wenn bei der Zerkleinerung eines Betonteils ein darin einbetonierter Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg detoniert und dadurch die Nachbarhäuser beschädigt werden. Dies hat der Bundesgerichtshof entschieden (Urteile vom 05.07.2019, Az.: V ZR 96/18 und 108/18).

Blindgänger detoniert bei Schreddern von Bauschutt

Der Erstbeklagte betreibt auf einem Gewerbegrundstück, dessen Miteigentümerin die Zweibeklagte ist, ein Recyclingunternehmen für Bauschutt. Der angelieferte Bauschutt wird dort zunächst sortiert. Große Betonteile, die nicht in den vorhandenen Schredder zur Zerkleinerung des Bauschutts passen, werden mit einem Zangenbagger zuvor in schredderfähige Stücke zerlegt. Im Januar 2014 führte ein Mitarbeiter des Erstbeklagten mit dem Bagger solche Zerkleinerungsarbeiten aus. Dabei detonierte eine Sprengbombe aus dem Zweiten Weltkrieg, die in einem Betonteil einbetoniert war. Bei der Explosion kam der Baggerfahrer ums Leben, zwei weitere Mitarbeiter des Erstbeklagten wurden schwer verletzt. An den auf den angrenzenden Grundstücken stehenden Gebäuden entstanden größere Schäden, welche die Klägerinnen als Gebäudeversicherer reguliert haben.

Gebäudeversicherer wollen Recyclingunternehmen in Haftung nehmen

Die Klägerinnen machen aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmer gemäß § 86 Abs. 1 VVG gegen den Betreiber des Recyclingunternehmens verschuldensunabhängige nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche in entsprechender Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB sowie verschuldensabhängige Ansprüche aus unerlaubter Handlung geltend. Von der Miteigentümerin des Grundstücks verlangt eine Klägerin zudem im Weg der Stufenklage Auskunft hinsichtlich der Ausgestaltung des Nutzungsverhältnisses mit dem Betreiber des Recyclingunternehmens und – ebenfalls aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmer – auf Grundlage nachbarrechtlicher Ausgleichsansprüche eine noch zu beziffernde Entschädigung.

Klagen in den Vorinstanzen erfolglos

Das Landgericht hat die Klagen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichteten Berufungen der Klägerinnen zurückgewiesen. Mit den von dem OLG zugelassenen Revisionen verfolgen die Klägerinnen ihre Klageanträge weiter. Nach Auffassung des OLG scheiden Ansprüche aus unerlaubter Handlung mangels Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht aus. Auch die Voraussetzungen eines – verschuldensunabhängigen - nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs lägen nicht vor.

BGH: Recyclingunternehmen muss Schutt vor Zerkleinerung nicht untersuchen

Der BGH hat die Urteile des OLG im Ergebnis bestätigt und die Revision der Klägerinnen zurückgewiesen. Zu Recht habe das OLG eine Haftung des Erstbeklagten aus unerlaubter Handlung verneint. Ein Bauschutt recycelndes Unternehmen verstoße nicht gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, wenn in seinem Betrieb Betonteile, die nicht bekanntermaßen aus einer Abbruchmaßnahme stammen, bei der mit Bomben im Beton gerechnet werden muss, vor ihrer Zerkleinerung nicht unter Einsatz technischer Mittel auf Explosivkörper untersucht werden. Angesichts der sehr geringen Wahrscheinlichkeit von Bomben in zu recycelnden Betonteilen sei auch von einem verständigen, umsichtigen, vorsichtigen und gewissenhaften Betreiber eines Bauschutt recycelnden Unternehmens eine generelle Untersuchung dieser Stoffe auf Explosivkörper nicht zu verlangen. Zudem lasse sich der mit einer solchen Untersuchung angestrebte Zweck, eine Gefährdung der Bevölkerung zu verhindern, effektiv nur erreichen, wenn der Bauschutt schon vor dem Transport bis zu dem Recyclingunternehmen auf dem Grundstück, auf dem der Abbruch der vorhandenen Bebauung erfolgt, auf das Vorhandensein von Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg untersucht würde. Eine solche Untersuchungspflicht wäre aber überzogen, weil sie ohne konkreten Anlass, gewissermaßen prophylaktisch erfolgen müsste.

Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch: Störereigenschaft und Grundstücksbezug gegeben

Zu Recht habe das OLG auch einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB verneint. Der Erstbeklagte sei zwar als Störer anzusehen. Die Explosion des einbetonierten Blindgängers sei objektiv durch die Arbeiten des Baggerführers ausgelöst worden. Diese seien dem Erstbeklagten als eigene Handlung zuzurechnen. Wer die Beeinträchtigung seines Nachbarn durch eine eigene Handlung verursacht, sei Störer im Sinn von § 1004 Abs. 1 BGB. Die Qualifikation als Störer hänge anders, als bei einem mittelbaren Störer und beim Zustandsstörer, nicht von dem Vorliegen entsprechender Sachgründe dafür ab, ihm die Verantwortung für das Geschehen aufzuerlegen. Der störenden Einwirkung auf die Grundstücke der Versicherungsnehmer der Klägerin fehle auch nicht der erforderliche Grundstücksbezug. Die Arbeiten, die die Explosion ausgelöst haben, seien typisch für die konkrete Nutzung des Grundstücks durch den Erstbeklagten gewesen, der auf dem Grundstück ein Unternehmen zur Weiterverarbeitung von Bauschutt betreibt. Sie hätten aus dessen Sicht nicht ebenso gut an beliebiger anderer Stelle vorgenommen werden können.

Greifen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs hier nicht sachgerecht

Ein nachbarrechtlicher Anspruch gegen den Erstbeklagten scheitere aber daran, dass die Regelung in § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf Beeinträchtigungen nicht entsprechend anwendbar sei, die durch die – unverschuldete – Explosion eines Blindgängers aus dem Zweiten Weltkrieg verursacht werden. Wenn die Explosion eines Blindgängers aus dem Zweiten Weltkrieg – wie hier – nicht in der Nutzung des Grundstücks angelegt ist, stünden der Eigentümer oder Besitzer des Grundstücks, auf dem ein Blindgänger explodiere, dem verwirklichten Risiko nicht näher oder ferner als die übrigen Beteiligten. Die Explosion sei dann nicht mehr Ausdruck der Situationsbezogenheit des Grundstückseigentums oder Folge der in dem Zustand oder in der Nutzung des Grundstücks angelegten Risiken. Sie treffe die Beteiligten gleichermaßen zufällig und schicksalhaft. Ihre Folgen ließen sich generell und gerade auch in dem hier gegebenen Fall einer Verlagerung des Explosionsrisikos mit dem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch nicht sachgerecht bewältigen. Die entsprechende Anwendung der in § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB bestimmten verschuldensunabhängigen Haftung des Eigentümers oder des Besitzers des beeinträchtigenden Grundstücks auf solche Beeinträchtigungen überschritte die Grenzen richterlicher Gestaltungsmacht. Eine solch weitgehende Haftung könnte nur durch den Gesetzgeber angeordnet werden. Der gegen die Zweitbeklagte erhobene Auskunftsanspruch bestehe bereits mangels Haftung entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht, so der BGH abschließend.

BGH, Urteil vom 05.07.2019 - V ZR 96/18

Redaktion beck-aktuell, 5. Juli 2019.