Verjährung: Genussrechtsbedingungen in der Insolvenz

Eine nicht formularmäßige Verjährungsvereinbarung erstreckt sich im Zweifel auch auf Ansprüche, welche die Hauptforderung wirtschaftlich ersetzen oder mit ihr konkurrieren. Bei Genussrechten kommt es für die Frage, ob Ausschüttungen erfolgen müssen, auf die tatsächliche Ertragslage der Gesellschaft an. Dies gilt jedenfalls bei einer Kombination einer gewinnorientierten und gewinnabhängigen Verzinsung, wie der Bundesgerichtshof entschieden hat.

Schenkungsanfechtung

Ein Insolvenzverwalter verlangte die von einem Wertpapierunternehmen erbrachten Ausschüttungen von dessen Kleinanlegerin aufgrund einer Schenkungsanfechtung zurück. Das Unternehmen war auf dem Grauen Kapitalmarkt tätig gewesen. Die Anlegerin zeichnete bei der Gesellschaft Genussrechte. Diesen lagen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Unternehmens zugrunde. Berechnet wurden die Ausschüttungen aufgrund einer Kombination einer gewinnorientierten und gewinnabhängigen Verzinsung. Die Investorin erhielt von der Aktiengesellschaft für die Geschäftsjahre 2009 bis 2013 eine Basisdividende und eine Übergewinnbeteiligung von insgesamt rund 6.900 Euro. Die hinter der Gesellschaft stehenden Akteure gerieten wegen des Verdachts des Kapitalanlagebetrugs ins Visier der Ermittlungsbehörden. Im Oktober 2013 kam es zu Durchsuchungen und einem dinglichen Arrest in das Vermögen der AG. Im April 2014 wurde das Insolvenzverfahren gegen sie eröffnet. Im Juli 2018 wurden ein Vorstandsmitglied der AG und andere Verantwortliche der Finanzgruppe zu mehrjährigen Freiheitsstrafen unter anderem wegen Kapitalanlagebetrugs verurteilt.

Verjährungsverzicht auf Anfechtungsansprüche beschränkt

Der Abwickler machte geltend, die vertraglichen Voraussetzungen der Ausschüttung von Dividende und Übergewinnbeteiligung hätten in den maßgeblichen Jahren nicht vorgelegen und erhob Klage – nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist. Das LG Flensburg wies die Klage ab. Die dagegen gerichtete Berufung vor dem OLG Schleswig blieb ohne Erfolg: Die Ausschüttungen der Dividenden und des Übergewinns seien nicht nach § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar. Sie seien zwar unentgeltlich, aber nicht in Kenntnis der Nichtschuld vorgenommen worden, § 814 BGB. Auch der Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB sei verjährt. Die Anlegerin habe am 27.10.2017 zwar rechtzeitig einen Verjährungsverzicht erklärt, dieser sei aber auf die Anfechtungsansprüche beschränkt gewesen.

BGH: Tatsächliche Ertragslage der Gesellschaft entscheidend

Die Revision war vor dem BGH erfolgreich. Er verwies die Sache an das OLG Schleswig zurück. Aus Sicht der Bundesrichter lässt sich der Rückgewähranspruch des Konkursverwalters nach den §§ 143, 134 InsO nicht mit der Begründung des OLG Schleswig verneinen. Die Kleinanlegerin habe aufgrund des zwischen der AG und ihr bestehenden Vertrags keinen Anspruch auf Ausschüttungen gehabt. Aus Sicht des BGH hat das OLG dabei die Auslegung der Genussrechtsbedingungen zu sehr auf die Insolvenzsituation verengt. Nicht die Jahresabschlüsse seien maßgeblich gewesen. Vielmehr ließen sich die Voraussetzungen der Ausschüttungen anhand der tatsächlichen Ertragslage der Gesellschaft bestimmen. Damit fehle eine Grundlage für die Ausführungen des Oberlandesgerichts zur fehlenden Kenntnis der Nichtschuld. Hier habe es Anhaltspunkte für ein Schneeballsystem gegeben.

Bereicherungsrechtliche Ansprüche nicht vom Verzicht ausgenommen

Aus Sicht der Bundesrichter hätte das OLG einen Bereicherungsanspruch des Masseverwalters nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB nicht wegen Verjährung abweisen dürfen. Es sei nicht auszuschließen, dass die Anlegerin mit ihrem Schreiben vom 27.10.2017 darauf verzichtet habe, bis zum 30.06.2018 die Verjährungseinrede zu erheben. Ob der Verjährungsverzicht nur den Anspruch auf Rückgewähr der Ausschüttungen nach § 143 InsO erfasste, was möglich sei, oder auch den konkurrierenden Bereicherungsanspruch, erschließe sich aus einer Auslegung der Erklärung. Sie habe ausdrücklich nur "bezüglich der Rückzahlungsansprüche aufgrund der Insolvenzanfechtung wegen der Ausschüttungen, die der Insolvenzverwalter […] mit Schreiben vom 05.09.2017 geltend gemacht hat", einen Verjährungsverzicht erklärt. Der BGH verweist aber auf die Gesetzesbegründung zu § 202 BGB, wonach im Zweifel auch konkurrierende oder ersetzende Ansprüche erfasst seien.

BGH, Urteil vom 01.10.2020 - IX ZR 247/19

Redaktion beck-aktuell, 26. Oktober 2020.