BGH: Obliegenheit zur Vorlage eines ärztlichen Attestes in Reiseabbruchversicherung

VVG §§ 6 III, 28 II-IV, 32 Satz 1, 186; VB-ERV 2014 B Ziff. 1, 4, 13.2 B), 14; UKlaG § 8 I Nr. 1; BGB §§ 242, 307 I 1, II

Die in den Bedingungen einer Reiseabbruchversicherung enthaltene Bestimmung «Welche Obliegenheiten haben Sie nach Eintritt des Versicherungsfalles? … Damit wir Ihren Versicherungsfall bearbeiten können, müssen Sie … die folgenden Unterlagen bei uns einreichen: … Bei unerwarteter schwerer Erkrankung; schwerer Unfallverletzung; Schwangerschaft; Bruch von Prothesen; Lockerung von implantierten Gelenken: Ein ärztliches Attest mit Diagnose und Behandlungsdaten eines Arztes am Aufenthaltsort.» verstößt nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dies hat der Bundesgerichtshof entschieden. Der Wirksamkeit der Regelung stehe auch nicht entgegen, dass in der anschließenden Bestimmung über die Folgen der Verletzung von Obliegenheiten zwar auf den vollständigen oder teilweisen Verlust des Versicherungsschutzes nach § 28 Abs. 2 und 3 VVG, nicht aber auf die Hinweispflicht des § 28 Abs. 4 VVG verwiesen wird.

BGH, Urteil vom 04.04.2018 - IV ZR 104/17 (OLG München), BeckRS 2018, 5170

Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 9/2018 vom 03.05.2018

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Sachverhalt

Der Kläger, der als qualifizierte Einrichtung im Sinn von §§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 UKlaG eingetragen ist, verlangt von der Beklagten die Unterlassung der Verwendung einer Klausel in einer Reiseabbruchversicherung. In den von der Beklagten verwendeten Versicherungsbedingungen VB-ERV 2014 heißt es:

«13. Welche Obliegenheiten haben Sie nach Eintritt des Versicherungsfalles? …
13.2 Damit wir Ihren Versicherungsfall bearbeiten können, müssen Sie oder bei Tod Ihr Rechtsnachfolger die folgenden Unterlagen bei uns einreichen: …
B) Bei unerwarteter schwerer Erkrankung; schwerer Unfallverletzung; Schwangerschaft; Bruch von Prothesen; Lockerung von implantierten Gelenken: Ein ärztliches Attest mit Diagnose und Behandlungsdaten eines Arztes am Aufenthaltsort. …»

Unter Ziff. 14. VB-ERV 2014 sind die Folgen von Obliegenheitsverletzungen gemäß § 28 Abs. 2 und 3 VVG dargestellt.

Die Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Der BGH wies die vom OLG zugelassene Revision des Klägers als unbegründet zurück.

Rechtliche Wertung

Die Klausel in Ziff. 13.2 B) VB-ERV 2014 genügt nach Meinung des BGH dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Zwar habe der Verwender von AGB die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dies gelte insbesondere bei Obliegenheiten. Jedoch bedürfe es weder eines solchen Grades an Konkretisierung, dass alle Eventualitäten erfasst sind und im Einzelfall keinerlei Zweifelsfragen auftreten können, noch sei ein Verstoß gegen das Transparenzgebot schon dann zu bejahen, wenn Bedingungen noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können.

Die Regelung, wonach der Versicherungsnehmer ein ärztliches Attest mit Diagnose und Behandlungsdaten eines Arztes am Aufenthaltsort einzuholen habe, habe den für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbaren Sinn und Zweck, durch eine orts- und zeitnahe ärztliche Dokumentation nachzuweisen, dass ein Versicherungsfall innerhalb des versicherten Zeitraums und an einem Aufenthaltsort während der Reise eingetreten ist, welcher den Versicherungsnehmer sodann zum Abbruch der Reise veranlasst hat.

Der Versicherungsnehmer werde die Klausel so verstehen, dass er lediglich gehalten sei, sich noch während seiner Reise und nicht erst nach der Rückkehr an seinen Heimatort zu dem Arzt zu begeben, welcher je nach Art des Versicherungsfalles, Schwere der Erkrankung und örtlichen Gegebenheiten während der Reise am besten geeignet ist, eine Diagnose zu erstellen und ihn zu behandeln. Die vom Kläger angeführten Beispiele für mögliche Zweifelsfragen (längere Busreise, Ausflug, Transferfahrt, unterschiedliche Aufenthaltsorte bei Unfall und späterer Entscheidung zum Reiseabbruch, mangelnde Verfügbarkeit eines Arztes am unmittelbaren Aufenthaltsort) seien nicht geeignet, eine Intransparenz der Klausel zu begründen.

Die Klausel stelle auch keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmer im Sinn von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB dar. Der Zweck der Regelung, eine zeitnahe Feststellung und Dokumentation des Versicherungsfalles zu gewährleisten, sei legitim.

Die Klausel sei auch nicht deswegen unwirksam, weil in der anschließenden Regelung zu den Obliegenheiten des Versicherungsnehmer zwar auf die Folgen von Obliegenheitsverletzungen nach § 28 Abs. 2 und 3 VVG, nicht aber auf die in § 28 Abs. 4 VVG normierte Hinweispflicht des Versicherers verwiesen werde. Ein solcher zusätzlicher «Hinweis auf die Hinweispflicht» bereits in den Versicherungsbedingungen sei vom Versicherer nach § 28 Abs. 4 VVG nicht geschuldet. Ein solcher zusätzlicher Hinweis sei auch zum Schutz des Versicherungsnehmer nicht erforderlich. Entscheidend und ausreichend sei, dass der Versicherungsnehmer bei Eintritt des Versicherungsfalles, wenn er seine Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten zu erfüllen habe, gemäß § 28 Abs. 4 VVG belehrt werde.

Praxishinweis

Das Urteil enthält zunächst wieder einmal hilfreiche und praxisgerechte, höchstrichterliche Hinweise zur Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen.

Die eigentliche Bedeutung der Entscheidung liegt aber in den Ausführungen zur Hinweispflicht des Versicherers nach § 28 Abs. 4 VVG. Hiermit hat der BGH einen in Rechtsprechung und Literatur bestehenden Meinungsstreit höchstrichterlich (und auch zutreffend) entschieden. Die jetzt vom BGH bestätigte Auffassung wurde z.B. vertreten von OLG Hamm, r+s 2017, 467; OLG Celle, r+s 2018, 132; Grams, FD-VersR 2018, 400488; Schreiner, r+s 2017, 345; Günther, FD-VersR 2017, 394049; vgl. auch Rixecker, ZfS 2017, 273).

Die Gegenauffassung wurde z.B. vertreten von LG Berlin, r+s 2017, 344; MüKo-VVG/Wandt, 2. Aufl. § 28 Rn. 216; Pohlmann in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 28 Rn. 116; Marlow, VersR 2017, 1500; Schimikowski).

Mit der Entscheidung traf der Senat auch eine Klarstellung zu seiner Entscheidung vom 02.04.2014 - IV ZR 124/13, r+s 2014, 282 (Anmerkung Günther in FD-VersR 2014, 358117). In der dortigen Entscheidung zu § 17 (6) ARB-RU 2000 hatte der BGH eine noch an § 6 Abs. 3 VVG a. F. angelehnte Klausel als mit § 28 VVG nicht mehr vereinbare Altregelung für unwirksam erklärt. Der Senat stellte nun klar, dass er damit keine Verpflichtung des Versicherers zur Erteilung eines Hinweises nach § 28 Abs. 4 VVG bereits in den AVB habe statuieren wollen.

Die Klärung dieser Rechtsfrage durch den BGH ist aus Praktikersicht auch deswegen zu begrüßen, weil der Senat die Möglichkeit gehabt hätte, sich darauf zurückzuziehen, dass dieser Punkt zwar von der Revision aufgeworfen worden, aber gar nicht Gegenstand des ursprünglichen Klageantrags war.

Redaktion beck-aktuell, 16. Mai 2018.