NSU-Urteile gegen Zschäpe und zwei Helfer rechtskräftig
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© Peter Kneffel / dpa

Beate Zschäpe ist rechtskräftig als Mittäterin der Neonazi-Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) verurteilt. Der Bundesgerichtshof verwarf ihre Revision mit schriftlichem Beschluss und strich nur eine Einzelstrafe, wie das Karlsruher Gericht am Donnerstag mitteilte. "Die lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe und die festgestellte besondere Schuldschwere sind hiervon jedoch unberührt geblieben." Auch die Urteile gegen die NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben und Holger G. sind rechtskräftig.

NSU-Mitglieder zu langen Haftstrafen verurteilt

Mit Urteil vom 11.07.2018 hatte das Oberlandesgericht München die Angeklagte Zschäpe wegen einer Vielzahl von Fällen des vollendeten und versuchten Mordes, des vollendeten und versuchten besonders schweren Raubes, der besonders schweren räuberischen Erpressung und der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung sowie zahlreicher weiterer – hiermit tateinheitlich verwirklichter – Delikte zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Den Angeklagten Wohlleben hatte es der Beihilfe zum vielfachen Mord schuldig gesprochen und gegen ihn auf eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren erkannt. Den Angeklagten G. hatte es wegen mehrfacher Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

Angeklagte legten Revision ein

Nach den vom OLG getroffenen Feststellungen teilte die Angeklagte Zschäpe mit den mittlerweile verstorbenen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos eine rassistische, antisemitische und staatsfeindliche Ideologie. Zusammen mit den weiteren Angeklagten Wohlleben und G. kamen sie überein, eine Vielzahl willkürlich ausgewählter Menschen wegen deren südländischer, vornehmlich türkischer Herkunft oder als Repräsentanten des Staates zu töten und erklärten sich nachträglich hierfür als "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) verantwortlich. Mit ihren Revisionen rügten die drei Angeklagten die Verletzung sachlichen Rechts. Die Angeklagten Zschäpe und Wohlleben hatten darüber hinaus das erstinstanzliche Verfahren beanstandet.

BGH verwirft Revisionen – Geringfügige Schuldspruchänderung bei Zschäpe

Der BGH hat die Revisionen der Angeklagten Zschäpe, Wohlleben und Holger G. verworfen, das Rechtsmittel der Angeklagten Zschäpe unter geringfügiger Änderung des Schuldspruchs. Die Schuldspruchänderung bei Zschäpe habe zwar zum Wegfall einer Einzelstrafe geführt, die lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe und die festgestellte besondere Schuldschwere blieben davon aber unberührt. Die Beweiswürdigung sei nicht zu beanstanden. Auch soweit das OLG festgestellt habe, Zschäpe habe an der Planung jeder einzelnen Tat mitgewirkt, sei dies nachvollziehbar und in hohem Maße plausibel. Die Angeklagte habe zwar keinen tatherrschaftsbegründenden Beitrag im Ausführungsstadium der Taten geleistet. Sie habe jedoch maßgeblichen Einfluss auf die Planung der Taten sowie auf den gemeinsamen Tatentschluss und den weiteren Willen ihrer beiden Komplizen zur Tatbegehung geleistet. Darüber hinaus habe sie durch die Zusage der von ihr vorzunehmenden Handlungen (Legendierungstätigkeit, Beweismittelvernichtung, Tatbekennung) wesentlich die Deliktsverwirklichung beeinflusst und insoweit – zusätzlich über die Beteiligung an der Tatplanung hinaus – einen hierfür bedeutenden objektiven Tatbeitrag erbrachte. Ohne das von ihr versprochene Verhalten hätten die nach dem Vereinigungskonzept verfolgten Ziele der Taten nicht erreicht werden können.

Zschäpes starkes Tatinteresse rechtfertigt Annahme von Mittäterschaft

Besonders schwer wiege, dass Zschäpes Tatinteresses nicht hinter demjenigen von Böhnhardt und Mundlos zurückgestanden habe. Dem starken Interesse an der Durchführung und dem Gelingen der Taten komme entscheidende Bedeutung für die Mittäterschaft zu, weil es sich mit den übergeordneten gemeinsamen Zielen aller dem "NSU" zugehörigen Personen gedeckt habe. Zwar führe die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung für sich gesehen nicht zur Zurechnung der Tat an das einzelne Mitglied. Ein weltanschaulich-ideologisches, religiöses oder politisches Ziel der Tatbegehung könne jedoch sowohl den Charakter eines hierauf gerichteten Personenzusammenschlusses bestimmen als auch erhebliche Bedeutung für die Qualifizierung der Tatbeteiligung als Täterschaft anstelle Teilnahme haben.

Mündliche Verhandlung in Verfahren gegen André E.

Das OLG München hatte den Angeklagten André E. wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von weiteren Vorwürfen (Beihilfe zum versuchten Mord, Beihilfe zum Raub, weitere Unterstützung einer terroristischen Vereinigung u.a.) hatte es ihn freigesprochen. Gegen das Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch der Generalbundesanwalt Revision eingelegt. Die Revisionen sind jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützt. Bezüglich beider Rechtsmittel hat der BGH Termin zur Hauptverhandlung auf den 02.12.2021 bestimmt. Als Termin zur Verkündung einer Entscheidung ist der 15.12.2021 in Aussicht genommen.

Opfervertreterin erleichtert

Die Frankfurter Rechtsanwältin und Opfervertreterin Seda Basay-Yildiz hat sich erleichtert gezeigt über die rechtskräftig gewordene Verurteilung Zschäpes als Mittäterin. Im "schlimmsten Fall" hätte es passieren können, dass Zschäpe frei komme, sagte Basay-Yildiz am Donnerstag in Frankfurt der Deutschen Presse-Agentur. Doch nun sei das Urteil "Gott sei Dank" rechtskräftig. Auch ihre Mandaten seien erleichtert. Basay-Yildiz hatte im Münchner NSU-Prozess als Nebenklageanwältin Angehörige des ersten Mordopfers des NSU vertreten. Der Blumenhändler Enver Simsek aus Schlüchtern im Main-Kinzig-Kreis war im Jahr 2000 in Nürnberg erschossen worden. Auch SPD-Chef Norbert Walter-Borjans zeigte sich erleichtert. "Den Hinterbliebenen der Mordopfer des NSU hilft die Bestätigung des Urteils gegen eine der Hauptverantwortlichen sicher, ihren inneren Frieden zu finden", sagte er in Berlin. Ihn habe die Nachricht vom Spruch des BGH in Zwickau bei einem Besuch der zehn Erinnerungsbäume für die NSU-Mordopfer erreicht. Der von der ehemaligen Oberbürgermeisterin Pia Findeiß initiierte Park in Nachbarschaft zum Mahnmal gegen den Faschismus unterstreiche die Bedeutung des Eintretens für Offenheit und Toleranz, so Walter-Borjans.

Zschäpe-Anwalt: BGH setzt "Spekulation" von Münchner Gericht fort 

Ein Verteidiger Zschäpes, Wolfgang Heer, hat die Verwerfung der Revision durch den Bundesgerichtshof mit deutlichen Worten kritisiert. Der Bundesgerichtshof setze bei seinen Annahmen "die Zirkelschlüssigkeit und in weiten Teilen reine Spekulation des Oberlandesgerichts München" fort, Zschäpe habe maßgeblichen Einfluss auf die Planung der Morde und Anschläge ihrer Freunde, den gemeinsamen Tatentschluss und den Willen zur Tatbegehung gehabt, erklärte Heer am Donnerstag. Heer sagte zu der BGH-Argumentation unter anderem: "Die eigenen Grundsätze, nämlich dass die Zurechnung der Tat eines anderen nicht allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Organisation geschlossen werden könne, sondern ein wesentlicher Tatbeitrag nach allgemeinen Kriterien für jede einzelne Tat zu prüfen sei, wendet der Senat nicht konsequent an." Denn der BGH stelle "eben nicht auf die einzelne Tat ab, sondern auf die Tatserie insgesamt", kritisierte Heer. Der Vertrauensanwalt Zschäpes, Mathias Grasel, bezeichnete die Entscheidung als bedauerlich. Die Richter hätten offenbar nicht den Mut gehabt, "das von vielen Fachleuten zurecht kritisierte Urteil des Oberlandesgerichts aufzuheben", teilte Grasel am Donnerstag in München mit. "Ich werde die Entscheidung des Revisionsgerichts zeitnah mit meiner Mandantin besprechen und wir werden anschließend gemeinsam überlegen, ob hiergegen weitere rechtliche Schritte unternommen werden sollen."

BGH, Beschluss vom 12.08.2021 - 3 StR 441/20

Redaktion beck-aktuell, 19. August 2021 (ergänzt durch Material der dpa).