Keine pauschale Regel für gewerbliche Mietzahlungen im Lockdown
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© Torsten Sukrow / SULUPRESS.DE

Mieter gewerblich genutzter Räume können in Folge des Corona-Lockdowns nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs Anspruch auf eine Anpassung der Miete haben. Es müssten aber immer sämtliche Umstände des Einzelfalls wie Umsatzeinbußen für das konkrete Objekt, staatliche Hilfen oder Versicherungsleistungen berücksichtigt werden, entschieden die Richter am Mittwoch in Karlsruhe. Im konkreten Fall ging es um eine Filiale des Textil-Discounters Kik im Raum Chemnitz.

Kik-Filiale musste für einen Monat schließen

Die Filiale des Textil-Discounters Kik im Raum Chemnitz hatte vom 19.03. bis 19.04.2020 schließen müssen. Der Vermieter verlangt für diese Zeit die volle Miete von rund 7.850 Euro. Das Oberlandesgericht Dresden hatte entschieden, dass Kik nur etwa die Hälfte zahlen muss. Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil auf, das Gericht in Dresden muss die Sache noch einmal verhandeln.

Störung der Geschäftsgrundlage kommt in Betracht 

Die BGH-Richter haben entschieden, dass im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommt. Die Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften und der Regelungen des allgemeinen schuldrechtlichen Leistungsstörungsrechts, insbesondere des § 313 BGB zum Wegfall der Geschäftsgrundlage, sei nicht durch die für die Zeit vom 01.04.2020 bis zum 30.09.2022 geltende Vorschrift des Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen. Diese Vorschrift habe nach ihrem eindeutigen Wortlaut und ihrem Gesetzeszweck allein eine Beschränkung des Kündigungsrechts des Vermieters zum Ziel und sage nichts zur Höhe der geschuldeten Miete aus.  

Kein Mangel des Mietgegenstandes

Die auf den Allgemeinverfügungen des Sächsischen Staatsministeriums beruhende Betriebsschließung habe jedoch nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands im Sinn von § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB geführt, weshalb das OLG zu Recht eine Minderung der Miete nach § 536 Abs. 1 BGB abgelehnt habe. Voraussetzung für einen Mangel wäre, dass die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang steht. Das sei hier aber nicht der Fall. Die behördlich angeordnete Geschäftsschließung knüpfe vielmehr allein an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr an, der die Gefahr einer verstärkten Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus begünstigt und der aus Gründen des Infektionsschutzes untersagt werden sollte. Durch die Allgemeinverfügung werde jedoch weder der Beklagten die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume im Übrigen noch der Klägerin tatsächlich oder rechtlich die Überlassung verboten. Das Mietobjekt habe daher trotz der Schließungsanordnung weiterhin für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung gestanden. 

Mangel ergibt sich auch nicht aus Mietzweck

Das Vorliegen eines Mangels im Sinn von § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB ergebe sich auch nicht aus dem im vorliegenden Fall vereinbarten Mietzweck der Räumlichkeiten zur "Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art, sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs". Kik habe nicht davon ausgehen können, dass die Klägerin mit der Vereinbarung des konkreten Mietzwecks eine unbedingte Einstandspflicht auch für den Fall einer hoheitlich angeordneten Öffnungsuntersagung im Fall einer Pandemie übernehmen wollte. 

Große Geschäftsgrundlage betroffen

Dem Mieter von gewerblich genutzten Räumen könne jedoch im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen. Dies habe das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt. Seine Erwägungen zu einer möglichen Vertragsanpassung seien jedoch nicht frei von Rechtsfehlern. Aufgrund der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und der damit verbundenen massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 sei im vorliegenden Fall die sogenannte große Geschäftsgrundlage betroffen. Darunter verstehe man die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde. Diese Erwartung der Parteien wurde durch die erzwungene Schließung schwerwiegend gestört.  

Voraussetzung für Anpassung: Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag

Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB berechtige jedoch noch nicht zu einer Vertragsanpassung, so der BGH weiter. Vielmehr verlange die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Hier beruhe die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters auf einer hoheitlichen Maßnahme und umfangreichen staatlichen Eingriffen in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie. Es habe sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden könne. Auch dies bedeute aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen könne. 

Umfassende Abwägung ohne Pauschalierung erforderlich

Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar sei, bedürfe auch in diesem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien. Eine pauschale Betrachtungsweise werde den Anforderungen an dieses normative Tatbestandsmerkmal der Vorschrift nicht gerecht. Deshalb komme die vom OLG vorgenommene Vertragsanpassung dahingehend, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt wird, weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Mietvertragsparteien allein trifft, nicht in Betracht. Es bedürfe vielmehr einer umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung, bei der zunächst von Bedeutung sei, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Diese würden bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung bestehen, wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen sei. Zu berücksichtigen könne auch sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen habe oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern. 

Erlangte Ausgleiche des Mieters sind gegenzurechnen

Da eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen dürfe, seien bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt habe. Dabei könnten auch Leistungen einer gegebenenfalls einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters zu berücksichtigen sein. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, blieben hingegen bei der gebotenen Abwägung außer Betracht, weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreiche. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters sei nicht erforderlich. Schließlich seien bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen. Das OLG habe nach der Zurückverweisung nunmehr zu prüfen, welche konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen die Geschäftsschließung in dem streitgegenständlichen Zeitraum für die Beklagte hatte und ob diese Nachteile ein Ausmaß erreicht haben, das eine Anpassung des Mietvertrags erforderlich macht.

Textilbranche mit Urteil zufrieden

Kik-Chef Patrick Zahn sagte: "Der Bundesgerichtshof hat mit seiner heutigen Stellungnahme Kik in seiner Praxis bestätigt, mit allen Vermietern in Einzelgesprächen über Kompensationen zu verhandeln." Mit dem überwiegenden Teil aller Vermieter seien außergerichtliche Einigungen über die Teilung der Mietkosten oder Kompensationen getroffen worden. Auch mit der Beklagten, bei der Kik zwei Ladenflächen angemietet habe, gebe es für das Jahr 2021 "partnerschaftliche Einigungen". Der BTE Handelsverband Textil Schuhe Lederwaren bezeichnete es als "nur fair", dass Kosten und Nachteile einer erzwungenen Schließung auf Mieter und Vermieter verteilt würden. "Von dem Urteil können tausende Textil-, Schuh- und Lederwarengeschäfte profitieren, die vor allem in den Innenstädten oft hohe Mieten zahlen und sich längst nicht immer mit ihren Vermietern über eine Mietminderung während des Lockdowns einigen konnten", so Hauptgeschäftsführer Rolf Pangels. Auch der Handelsverband Deutschland begrüßte das Urteil.

Immobilienverband plädiert für einvernehmliche Lösungen

Der Immobilienverband Deutschland IVD betonte, dass es insbesondere auf die Umstände auf Seite des Mieters ankomme - wenngleich das Urteil so verstanden werden könne, "dass der Vermieter einen gewissen Teil nachlassen muss". "Am Ende sitzen Mieter und Vermieter in einem Boot und sind mit einer Situation konfrontiert, die so für sie nicht absehbar war", teilte Verbandspräsident Jürgen Michael Schick mit. Prozesse sollten aber die Ausnahme sein: "Einen Rechtsstreit zu vermeiden und eine einvernehmliche Lösung zu finden, wäre der beste Weg."

BGH, Urteil vom 12.01.2022 - XII ZR 8/21

Redaktion beck-aktuell, 12. Januar 2022 (ergänzt durch Material der dpa).