Keine Anwaltshaftung mangels Schutzwirkung zugunsten Dritter

Ein Anwaltsvertrag hat auch ohne eine ausdrückliche Regelung Schutzwirkungen zugunsten Dritter, wenn diese mit der Hauptleistung des Rechtsanwalts bestimmungsgemäß in Berührung kommen. Inwieweit ein Näheverhältnis besteht, hängt entscheidend von Ausprägung und Inhalt des anwaltlichen Beratungsvertrags ab. Das hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 09.07.2020 entschieden.

Keine Schutzwirkung zugunsten Dritter

Zwei Schwestern verlangten von dem Rechtsanwalt ihrer Mutter die Zahlung von Schadensersatz wegen fehlerhafter Rechtsberatung nach einem Verkehrsunfall. Die Mutter war seit dem Unfall schwerstbehindert, auf einen Rollstuhl angewiesen und dauerhaft pflegebedürftig. Ihre Töchter wurden nur leicht verletzt. Zunächst hatte die Frau eine Anwältin beauftragt. Ende 2006 bestätigte der Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers seine volle Einstandspflicht dem Grunde nach. Ende 2007 beauftragte sie einen anderen Anwalt mit der Weiterverfolgung der unfallbedingten Ansprüche. Das Mandat endete im Mai 2016. Die Töchter befanden sich seit April 2013 bzw. Oktober 2016 in psychotherapeutischer Behandlung ihrer Schuldgefühle. Sie fanden, der Jurist hätte auch sie über ihre Ansprüche aufklären und beraten müssen. Das LG Berlin wies die Klage ab. Die Berufung hatte vor dem Kammergericht keinen Erfolg: Den Schwestern stünden gegen den Anwalt keine Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung einer Pflicht aus dem Anwaltsvertrag nach §§ 675, 328 BGB zu. Denn dieser entfalte keine Schutzwirkung zugunsten Dritter. Es fehle bereits an einem ausreichenden Näheverhältnis.

BGH: Allenfalls mittelbar betroffen

Der BGH sah das genauso und wies die Revision zurück. Aus Sicht der Karlsruher Richter fehlte es bereits an der Einbeziehung der Töchter in den Schutzbereich des zwischen ihrer Mutter und dem Anwalt geschlossenen Anwaltsvertrags. Eine ausdrückliche Regelung hierüber sei nicht behauptet worden. Eine Einbeziehung ergebe sich auch nicht aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Gegenstand des zwischen der Mutter und dem Anwalt geschlossenen Anwaltsvertrags sei die Weiterverfolgung der unfallbedingten Schadensersatzansprüche der Mutter gegenüber dem Haftpflichtversicherer gewesen. Laut BGH machte der Anwaltsvertrag nach den Auswirkungen der vertragsgemäßen Leistung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben die Einbeziehung der Kinder in seinen Schutzbereich nicht erforderlich. Die beiden seien an den Rechtsverhältnissen nicht persönlich beteiligt und hierdurch in ihren Rechtspositionen allenfalls mittelbar betroffen gewesen. Aus Sicht des Senats musste sich nicht bereits mit Übernahme des Mandats aufdrängen, dass die Schwestern sechs und zehn Jahre später psychisch erkranken würden und ihnen hieraus möglicherweise eigene Ansprüche zustehen könnten. 

BGH, Urteil vom 09.07.2020 - IX ZR 289/19

Redaktion beck-aktuell, 11. August 2020.