"Gutachten" einer Hausärztin in Betreuungssache

Der Bundesgerichtshof hat den Vorinstanzen in einer Betreuungssache deutlich die Leviten gelesen: Es befand die vom Amtsgericht beauftragte Gutachterin, die Hausärztin der Betroffenen, für nicht sachkundig. Auch inhaltlich genügte deren Expertise nicht den gesetzlichen Anforderungen. Und schließlich unterblieb auch noch eine notwendige Anhörung.

Praktische Ärztin erstellt Betreuungsgutachten

Eine Frau wehrte sich gegen die für sie eingerichtete Betreuung. Das Amtsgericht Neubrandenburg hatte zunächst ihre Hausärztin mit der Anfertigung eines Gutachtens beauftragt. Eine Einschätzung ihrer Betreuungsbedürftigkeit erhielt die Betroffene zu diesem Zeitpunkt nicht. Das AG hörte die Frau an und bestellte mit ihrer Einwilligung einen Berufsbetreuer. Kurze Zeit später wollte sie an ihrer Zustimmung nicht mehr festhalten. Das LG Neubrandenburg wies ihre Beschwerde zurück, ohne sie erneut anzuhören.

BGH: Fehlende Sachkunde

Der BGH hat auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen den Beschluss des LG aufgehoben und die Sache an eine andere Kammer des Gerichts zurückverwiesen. Aus Sicht der Bundesrichter genügt das vom Berufungsgericht eingeholte Gutachten nicht den Anforderungen nach § 280 Abs. 1 Satz 2 FamFG, wonach der in einem Betreuungsverfahren beauftragte Gutachter Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein sollte. Das AG hatte als Sachverständige die Hausärztin der Betroffenen bestellt, ausweislich ihres Gutachtens eine "Praktische Ärztin". Aus Sicht des BGH sind in einem solchen Fall weitere Darlegungen über die Sachkunde erforderlich, die weder die amtsgerichtliche noch die landgerichtliche Entscheidung enthielten. Zudem genügte das Gutachten nach der Entscheidung des XII. Zivilsenats auch inhaltlich nicht den gesetzlichen Anforderungen, da sich ihm die durchgeführten Untersuchungen und die zugrunde liegenden Forschungserkenntnisse nicht entnehmen ließen.

Persönliche Anhörung ist zwingend erforderlich

Dem BGH zufolge hätte das LG zudem die Betroffene im Beschwerdeverfahren nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG erneut anhören müssen. Zum einen sei die Anhörung durch das AG nicht verfahrensgemäß gewesen, weil die Betroffene zu diesem Zeitpunkt das Sachverständigengutachten nicht kannte. Zum anderen hätte das LG sie auch unabhängig davon nochmals anhören müssen, weil sie mit ihrer Beschwerde zum Ausdruck gebracht habe, dass sie an ihrer in erster Instanz erklärten Einwilligung nicht mehr festhalten wolle.

Am Schluss seiner Entscheidung weist der BGH noch darauf hin, dass allein die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Betreuer das Gericht – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 276 FamFG – nicht davon enthebe, der Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen.

BGH, Beschluss vom 16.09.2020 - XII ZB 203/20

Redaktion beck-aktuell, 19. Oktober 2020.