Gehörsverletzung durch überspannte Anforderungen an Parteivortrag

Überspannt ein Gericht die Anforderungen an die Substantiierung und erhebt nicht die von der Partei angebotenen Beweise, verletzt es den Anspruch auf rechtliches Gehör. Es muss zur Ermittlung des Unfallhergangs bei komplexen Unfallgeschehen ein Sachverständigengutachten einholen oder eigene Sachkunde auf dem Gebiet der Unfallanalytik darlegen. Das hat der Bundesgerichtshof in einem Beschluss vom 07.07.2020 entschieden.

Beachtliches Bestreiten

Ein Unternehmer verlangte von einer Radfahrerin Schadensersatz wegen Beschädigung seines Taxis durch einen Verkehrsunfall. Der Unfall ereignete sich auf der Höhe eines Taxistands. Die Frau war mit ihrem Rad vom linken Gehweg auf die gegenüberliegende Straßenseite gefahren. Auf der Fahrbahn war sie von einem entgegenkommenden Auto frontal erfasst worden, auf die Motorhaube geflogen und vor dem Wagen auf die Straße gefallen. Der Inhaber trug vor, die Radfahrerin sei plötzlich vom Gehweg auf die Fahrbahn gefahren. Sie wiederum erklärte, sie habe das Fahrzeug vor dem Zusammenstoß gar nicht als Teil des fließenden Verkehrs wahrnehmen können. Das LG Berlin gab der Schadensersatzklage statt. Die Widerklage der Frau hatte keinen Erfolg. Das Kammergericht wies ihre Berufung überwiegend zurück und verurteilte sie auf die Anschlussberufung des Unternehmers zur Zahlung von rund 3.100 Euro für Sachschäden sowie rund 360 Euro für Rechtsverfolgungskosten: Sie habe die Reparaturkosten nicht in beachtlicher Weise bestritten. Ihrem Beweisantrag zum Unfallhergang ging das Gericht ebenfalls nicht nach.

BGH: Anforderungen an Parteivortrag überspannt

Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH hatte Erfolg. Er verwies die Sache an das KG zurück. Die Radfahrerin sei in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Aus Sicht der Karlsruher Richter hat das Berufungsgericht verkannt, dass das Bestreiten der Reparaturkosten nicht als "unbeachtlich" anzusehen war. Es habe die Anforderungen an die Substantiierung des Parteivortrags überspannt und offenkundig unrichtig gehandhabt. Die Radfahrerin habe die Schadenspositionen im Einzelnen benannt und die Schadenshöhe bestritten. Es sei nicht erkennbar, weshalb das KG diese konkreten Einwände als "lediglich destruktives" Bestreiten qualifiziert habe. Aus Sicht des Senats hätte das KG auch dem von der Frau gestellten Antrag auf Einholung eines Gutachtens zum Unfallhergang nachkommen müssen. Der Antrag sei weder offenkundig ungeeignet gewesen, noch habe das Berliner Gericht eigene Sachkunde auf dem Gebiet der Unfallanalytik für sich in Anspruch genommen.

BGH, Beschluss vom 07.07.2020 - VI ZR 212/19

Redaktion beck-aktuell, 3. August 2020.