Facebooks "Gemeinschaftsstandards" gegen "Hassrede" unwirksam
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Die Geschäftsbedingungen von Facebook vom 19.04.2018 zur Löschung von Nutzerbeiträgen und zur Kontensperrung bei Verstößen gegen Kommunikationsstandards sind unwirksam. Laut Bundesgerichtshof müssen die Betroffenen zwingend vor einer drohenden Sperrung informiert werden und die Möglichkeit bekommen, sich zu erklären. Über die Entfernung eines Beitrags muss Facebook zumindest nachträglich informieren.

Streit um Teilsperrung der Nutzerkonten und Löschung von Kommentaren

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer vorübergehenden Teilsperrung der Facebook-Nutzerkonten der Kläger und der Löschung ihrer Kommentare durch die Beklagte. Die Kläger unterhalten jeweils ein Nutzerkonto für das von der Muttergesellschaft der Beklagten betriebene weltweite soziale Netzwerk Facebook, dessen Anbieterin und Vertragspartnerin für Nutzer mit Sitz in Deutschland die Beklagte ist. Sie nehmen die Beklagte auf Freischaltung der von ihnen in dem Netzwerk veröffentlichten und von der Beklagten gelöschten Beiträge, auf Unterlassung einer erneuten Sperre ihrer Nutzerkonten und Löschung ihrer Beiträge sowie – in einem der Revisionsverfahren – auf Auskunft über ein mit der Durchführung der Kontosperre beauftragtes Unternehmen in Anspruch. 

Kläger schimpften gegen Migranten

Nach den Nutzungsbedingungen von Facebook in der seit dem 19.04.2018 geltenden Fassung darf nicht gegen die "Gemeinschaftsstandards" verstoßen werden. Diese verbieten eine dort näher definierte "Hassrede". Im Verfahren III ZR 179/20 stellte die Klägerin folgenden Beitrag ein: "Schon der Wahnsinn, kann mich nicht an ein Attentat erinnern, das sog. Reichsbürger verübt haben. Im Gegensatz dazu dann die Morde von islamischen Einwanderern, die man zwar beobachtet hat, aber nichts dazu machen konnte. Deutsche Menschen werden kriminalisiert, weil sie eben eine andere Ansicht von ihrem Heimatland haben als das Regime. Migranten können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert's! Da würde ich mir mal ein Durchgreifen des Verfassungsschutzes wünschen." Im Verfahren III ZR 192/20 kommentierte der Kläger den Beitrag eines Dritten, der ein Video beinhaltet, in dem eine Person mit Migrationshintergrund es ablehnt, von einer Polizistin kontrolliert zu werden, wie folgt: "Was suchen diese Leute hier in unserem Rechtsstaat … kein Respekt … keine Achtung unserer Gesetze … keine Achtung gegenüber Frauen … DIE WERDEN SICH HIER NIE INTEGRIEREN UND WERDEN AUF EWIG DEM STEUERZAHLER AUF DER TASCHE LIEGEN … DIESE GOLDSTÜCKE KÖNNEN NUR EINES MORDEN … KLAUEN … RANDALIEREN … UND GANZ WICHTIG … NIE ARBEITEN."

Klagen gegen Löschungen und Sperrungen in Vorinstanzen erfolglos

Die Beklagte löschte diese Äußerungen im August 2018, da sie gegen das Verbot der "Hassrede" verstießen. Sie sperrte vorübergehend die Nutzerkonten, sodass die Kläger in dieser Zeit nichts posten, nichts kommentieren und auch die Messenger-Funktion nicht nutzen konnten. Mit ihren Klagen machen die Kläger geltend, die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, ihre Beiträge zu löschen und ihre Nutzerkonten zu sperren. in den ersten beiden Instanzen blieben sie weitgehend erfolglos. Der BGH hat die Berufungsurteile nun teilweise aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die von ihr gelöschten Beiträge der Kläger wieder freizuschalten. Darüber hinaus hat er im Verfahren III ZR 179/20 die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, die Klägerin für das Einstellen ihres Beitrags erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen.

Nutzungsbedingungen wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam

Die Beklagte sei nicht aufgrund ihrer Nutzungsbestimmungen und Gemeinschaftsstandards zur Löschung der Beiträge der Kläger und Sperrung ihrer Nutzerkonten berechtigt gewesen, meint der BGH. Zwar seien die geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten in der Fassung vom 19.04.2018 wirksam in das Vertragsverhältnis der Parteien dadurch einbezogen worden, dass die Kläger auf die ihnen in Form eines Pop-up-Fensters zugegangene Mitteilung der Beklagten über die beabsichtigte Änderung die entsprechende, mit "Ich stimme zu" bezeichnete Schaltfläche angeklickt hätten. Die in den geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten eingeräumten Vorbehalte betreffend die Entfernung von Nutzerbeiträgen und die Sperrung von Nutzerkonten seien jedoch gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil dadurch die Nutzer des Netzwerks entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt werden.

Facebook darf grundsätzlich bestimmte Kommunikationsstandards vorgeben

Bei der Prüfung, ob eine Klausel unangemessen im Sinn von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist, bedarf es laut BGH einer umfassenden Würdigung und Abwägung der wechselseitigen Interessen. Dabei seien vorliegend die kollidierenden Grundrechte der Parteien – auf Seiten der Nutzer die Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, auf Seiten der Beklagten vor allem die Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG – zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Diese Abwägung ergebe, dass die Beklagte grundsätzlich berechtigt ist, den Nutzern ihres Netzwerks die Einhaltung bestimmter Kommunikationsstandards vorzugeben, die über die strafrechtlichen Vorgaben (zum Beispiel Beleidigung, Verleumdung oder Volksverhetzung) hinausgehen. Sie dürfe sich das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen die Kommunikationsstandards Beiträge zu entfernen und das betreffende Nutzerkonto zu sperren.

Information über geplante Beitragslöschung und Kontosperrung erforderlich

Für einen interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechte und damit die Wahrung der Angemessenheit im Sinn von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sei jedoch erforderlich, dass sich die Beklagte in ihren Geschäftsbedingungen verpflichtet, den betreffenden Nutzer über die Entfernung eines Beitrags zumindest nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt. Diesen Anforderungen würden die Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte in den Geschäftsbedingungen der Beklagten nicht gerecht. Facebook sei daher nicht berechtigt gewesen, die Beiträge der Kläger zu löschen und ihre Nutzerkonten zu sperren. Sie müsse die Beiträge wiederherstellen und habe eine Sperrung der Nutzerkonten und Löschung der Beiträge bei deren erneuter Einstellung zu unterlassen. Der entsprechende Unterlassungsantrag des Klägers scheiterte im Verfahren III ZR 192/20 laut BGH indes an den Besonderheiten des dortigen Prozessverlaufs.

Facebook begrüßt Bestätigung des Rechts auf eigene Standards

Facebook begrüßte in einer ersten Reaktion die BGH-Feststellung, dass das Netzwerk grundsätzlich berechtigt sei, Inhalte nach eigenen Richtlinien zu entfernen und die betreffenden Nutzerkonten zu sperren. "Wir tolerieren keine Hassrede und setzen uns dafür ein, unzulässige Inhalte von Facebook zu entfernen", betonte ein Sprecher. Man werde die BGH-Entscheidung "sorgfältig prüfen, um sicherzustellen, dass wir weiterhin effektiv gegen Hassrede in Deutschland vorgehen können". Die Position des Gerichts hatte sich bereits bei der Verhandlung vergangene Woche abgezeichnet. Damals hatte der BGH-Anwalt Christian Rohnke als Vertreter von Facebook eine vorherige Anhörung vor Sperrungen als "vollständig unpraktikabel" bezeichnet. Tag für Tag gebe es Hunderte Fälle, und jede neue Beleidigung ermutige Gleichgesinnte.

BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 179/20

Redaktion beck-aktuell, 29. Juli 2021 (ergänzt durch Material der dpa).