BGH entlastet Opfer von Schneeballsystemen von Beweispflicht

Der Geschädigte eines "Schneeballsystems" genügt seiner Darlegungslast regelmäßig bereits dadurch, dass er Umstände vorträgt, die das (weitere) Betreiben eines solchen Systems als naheliegend erscheinen lassen. Den Gegner trifft laut Bundesgerichtshof in solchen Fällen eine sekundäre Darlegungslast. Er hat sich im Rahmen der ihm nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei zu äußern.

Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung regelmäßig erfüllt

Weiter entschieden die Richter, dass es regelmäßig sowohl die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB als auch diejenigen eines Eingehungsbetrugs gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB erfüllt, wenn vorhersehbar ist, dass bei einem Anlagemodell die den Anlegern versprochene Rendite nicht aus den Erträgen des Anlageobjekts, sondern aus den Einlagen weiterer Anleger bedient werden wird (sogenanntes "Schneeballsystem"). In diesen Fällen sei die Absicht des Täters, Anleger zu schädigen, so greifbar, dass der Sittenverstoß unmittelbar aus dem Gegenstand der Anlage selbst abgeleitet werden könne, heißt es in dem Urteil. Die Rendite der Anleger hänge davon ab, dass fortwährend neue Anleger für das System gefunden würden - und zwar in einem Maß, das wegen der Marktverhältnisse vernünftigerweise nicht zu erwarten sei.

Anleger sollten ihre Vermögensanlagen kündigen

Der Beklagte war Alleinaktionär, alleiniges Mitglied des Verwaltungsrats und Hauptentscheidungsträger der in der Schweiz ansässigen und in Deutschland tätigen S. AG. Diese bot über eine von ihr beherrschte AG ein als "Cashselect" bezeichnetes Anlagemodell an. Danach sollten die Anleger ihre Versicherungen, Bausparverträge und ähnliche Kapitalanlagen kündigen beziehungsweise kündigen lassen, um die Rückkaufswerte dann der S. AG zur Verfügung zu stellen. Das Geld sollte gewinnbringend - zuletzt vornehmlich in Unternehmen aus der Branche der erneu-erbaren Energien - investiert werden. Die Anleger schlossen dafür Verträge über den "Ankauf von Rückkaufswerten aus Vermögensanlagen", die als Kaufpreis für die erworbenen Rückkaufswerte spätere Auszahlungen der S. AG vorsahen, die - je nach Preismodell - entweder in Raten oder als einmalige Zahlung an den Anleger geleistet werden sollten und eine erhebliche Verzinsung vorsahen. Über eine Erlaubnis nach dem Schweizer Bankgesetz oder nach dem Kreditwesengesetz verfügte die S. AG nicht.

OLG muss erneut verhandeln

Ein Mann aus Bayern nutzte das Modell für seine Lebensversicherung. Doch die Schweizer Finanzmarktaufsicht untersagte der AG den Vertrieb. Eine in Deutschland neu gegründete GmbH, die die Verträge übernahm, ging ebenfalls insolvent. Das Landgericht München I verurteilte den Beklagten 2018 zu mehreren Jahren Gefängnis. Der hier klagende Anleger sah kein Geld und scheiterte mit seiner Forderung nach Erstattung von mehr als 60.000 Euro vor dem Landgericht Schweinfurt und dem Oberlandesgericht Bamberg. Die obersten Zivilrichter entschieden nun, dass das OLG neu verhandeln muss. Die Revision wandte sich mit Erfolg gegen die Beurteilung der Vorinstanz, der Kläger habe die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 826 BGB oder aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB gegen den Beklagten nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Das OLG habe die Anforderungen, die an die Substanz des Klägervortrags zu stellen sind, überspannt und die sekundäre Darlegungslast des Beklagten nicht berücksichtigt. Infolgedessen habe es sich mit dem Klägervorbringen verfahrensfehlerhaft nicht mehr näher befasst.

Kläger hat ausreichend vorgetragen

Nach der schlüssigen Darstellung des Klägers war das von dem Beklagten verantwortete Geschäftsmodell von vornherein auf Täuschung und Schädigung der Kunden angelegt, weshalb unter Zugrundelegung der vorstehenden Ausführungen ein vorsätzlicher - zumindest billigend in Kauf genommener - Sittenverstoß ebenso schlüssig vorgetragen ist wie ein (bedingt) vorsätzlicher Eingehungsbetrug. Angesichts dessen durfte vom Kläger in diesem Verfahrensstadium nicht die Darlegung weiterer tatsächlicher Anhaltspunkte zur Substantiierung seiner Behauptungen verlangt werden. Vielmehr wäre es Sache des Beklagten gewesen, eine qualifizierte Gegendarstellung abzugeben, weil etwaige Umstände, die gegen den Vortrag des Klägers streiten könnten, allein der Kenntnissphäre des Beklagten zuzuordnen sind. Dessen pauschales Bestreiten, im fraglichen Zeitraum ein Schneeballsystem betrieben zu haben, genügte nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht.

BGH, Urteil vom 04.02.2021 - III ZR 7/20

Redaktion beck-aktuell, 7. Mai 2021.