Einzelner Wohnungseigentümer in "Altverfahren" weiter prozessführungsbefugt
Lorem Ipsum
© dbvirago / stock.adobe.com

Ein einzelner Wohnungseigentümer, der Rechte aus dem gemeinschaftlichen Eigentum geltend macht, kann ein Verfahren, das bereits vor Inkrafttreten der WEG-Reform anhängig gewesen ist, fortführen, solange die Eigentümergemeinschaft nicht einschreitet und das Gericht über ihren entgegenstehenden Willen informiert. Dies hat der Bundesgerichtshof im "Zypressenfall“ entschieden und damit eine wichtige Rechtsfrage durch Schließung einer Regelungslücke geklärt.

Auswirkungen der WEG-Reform auf Prozessführungsbefugnis in bereits anhängigen Verfahren?

In dem Fall ging es um einen Nachbarschaftsstreit aus Mannheim. Der Kläger begehrte von seinem Nachbarn die Beseitigung von vier dicht an der Grundstücksgrenze gepflanzten Zypressen, hilfsweise deren Rückschnitt. Der Kläger bildete allerdings mit einer weiteren Person eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Er war ursprünglich prozessführungsbefugt. Denn vor Inkrafttreten der WEG-Reform konnte der einzelne Wohnungseigentümer Ansprüche aus dem gemeinschaftlichen Eigentum der Wohnungseigentümer selbstständig gerichtlich geltend machen, wenn - wie hier - die Wohnungseigentümergemeinschaft die Ausübung nicht an sich gezogen hatte. Nach dem seit Anfang Dezember 2020 geltenden § 9a Abs. 2 WEG liegt die Ausübungsbefugnis für die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte dagegen allein bei der Wohnungseigentümergemeinschaft. 

WEG ohne Überleitungsregelungen

Spezielle Überleitungsregelungen sieht das Wohnungseigentumsgesetz für diese Situation nicht vor. Daher stellte sich die Frage, ob der Kläger mit Inkrafttreten der WEG-Reform seine Prozessführungsbefugnis verloren hatte und die Klage damit als unzulässig abzuweisen war. Das Amtsgericht gab der Klage im Hauptantrag statt. Die dagegen von den Beklagten eingelegte Berufung wies das Landgericht zurück. Mit der Revision wollten die Beklagten die Abweisung der Klage erreichen.

BGH: Bedingtes Fortbestehen der Prozessführungsbefugnis des Wohnungseigentümers

Der BGH hat nun entschieden, dass die Prozessführungsbefugnis des Wohnungseigentümers für die bereits vor dem 01.12.2020 bei Gericht anhängigen Verfahren über diesen Zeitpunkt hinaus in Anwendung des Rechtsgedankens des § 48 Abs. 5 WEG fortbesteht, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs (zum Beispiel Verwalter) über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Kenntnis gebracht wird. Die Übergangsvorschrift des § 48 Abs. 5 WEG enthalte insoweit eine planwidrige Regelungslücke.

Langjährige, nutzlose Verfahren vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt

Ein - zur Unzulässigkeit der Klage führender - Wegfall der Prozessführungsbefugnis des Wohnungseigentümers während des laufenden gerichtlichen Verfahrens hätte zur Folge, dass das Verfahren, selbst wenn es - wie im vorliegenden Fall - schon seit Jahren anhängig und über mehrere Instanzen geführt worden sei, für beide Parteien gänzlich nutzlos gewesen wäre und im Ergebnis nur erheblichen Aufwand und Kosten verursacht hätte. Gegen die Annahme, dass dies dem Plan des Gesetzgebers entspreche und er dies bewusst habe hinnehmen wollen, spreche, dass die Gesetzesbegründung hierzu keine Erläuterung enthält, was bei einem Eingriff dieses Ausmaßes und der Vielzahl der betroffenen Verfahren zu erwarten wäre. Dies gelte umso mehr, als § 9a Abs. 2 WEG für Verfahren, in denen ein Wohnungseigentümer vor Inkrafttreten der Vorschrift Klage erhoben habe und das Verfahren noch nicht abgeschlossen sei, bei einem Wegfall der Prozessführungsbefugnis eine sogenannte unechte Rückwirkung entfalten würde. Hätte der Gesetzgeber der Regelung für bereits anhängige Verfahren eine solche Wirkung beimessen wollen, hätte es nahegelegen, dass er die Gründe hierfür anhand des gesetzgeberischen Ziels erläutert und darstellt, warum dem Vertrauen des Wohnungseigentümers auf den Fortbestand seiner Prozessführungsbefugnis ein geringeres Gewicht zukomme.

Grundgedanke: Änderungen des Verfahrensrechts sollen anhängige Verfahren unberührt lassen

Die Regelungslücke hätte der Gesetzgeber nach Auffassung des BGH, hätte er sie erkannt, mit einer Regelung geschlossen, die sich an der Vorschrift des § 48 Abs. 5 WEG orientiert, zugleich aber auch den Rechtsgedanken des § 9a Abs. 2 WEG einbezieht, der die Durchsetzung der dort genannten Ansprüche der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zuordnet. Der Übergangsregelung in § 48 Abs. 5 WEG liege die Vorstellung des Gesetzgebers zugrunde, dass Änderungen des Verfahrensrechts bereits anhängige Verfahren unberührt lassen. Im Hinblick auf den (auch) verfahrensrechtlichen Charakter von § 9a Abs. 2 WEG sei daher anzunehmen, dass es dem Plan des Gesetzgebers entspricht, die Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers in einem bei Gericht bereits anhängigen Verfahren nicht schon durch das bloße Inkrafttreten der Neuregelung entfallen zu lassen. 

Option des Gesetzgebers

Der Gesetzgeber hätte mit einer solchen Regelung zugleich den Rechten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer Rechnung getragen, der er in § 9a Abs. 2 WEG die alleinige Ausübungsbefugnis für die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte zugewiesen habe. Dementsprechend hätte er das Recht der Gemeinschaft, über die Fortführung des Verfahrens eigenverantwortlich zu entscheiden, unangetastet gelassen. Daraus folge, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer das bereits anhängige Verfahren selber als Partei übernehmen oder aber dem Wohnungseigentümer die Fortführung des Verfahrens untersagen könne, etwa weil sie den Konflikt auf andere Weise als durch einen gerichtlichen Rechtsstreit beilegen will.

Entgegenstehender Wille muss zur Kenntnis gebracht werden

Solange dem Gericht ein entgegenstehender Wille der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer aber nicht zur Kenntnis gebracht werde, bestehe für ein bereits vor dem 01.12.2020 anhängiges Verfahren die Prozessführungsbefugnis des Wohnungseigentümers fort. Dies rechtfertige sich aus der Überlegung, dass die Geltendmachung und Durchsetzung von sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechten, insbesondere die Verfolgung von Ansprüchen wegen einer Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums typischerweise im Interesse der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer liegt. Danach sei die Revision der Beklagten nicht erfolgreich. Der Kläger sei weiterhin prozessführungsbefugt, da ein entgegenstehender Wille der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nicht belegt ist. Das Berufungsgericht habe auch zu Recht einen Anspruch des Klägers gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 4 NRG BW auf Beseitigung der Zypressen bejaht.

BGH, Urteil vom 07.05.2021 - V ZR 299/19

Redaktion beck-aktuell, 7. Mai 2021.