Eigenbedarf: Auch getrennt lebende Ehegatten privilegiert

Eigenbedarf kann auch zugunsten getrennt lebender oder geschiedener Ehegatten angemeldet werden. Sie gehören unabhängig vom Fortbestand der Ehe "derselben Familie" an. Damit greift die Kündigungssperre bei Veräußerung an mehrere Personen nicht. Das hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 02.09.2020 entschieden.

Ex-Frau benötige Wohnung

Einem Ehepaar war von seinen Vermietern die Bleibe wegen Eigenbedarfs gekündigt worden. Sie hatten das Einfamilienhaus im Juli 2001 zunächst vom Voreigentümer gemietet - dem Vater des jetzigen Vermieters. Im September 2015 veräußerte er das Grundstück an seinen Sohn sowie dessen Ehefrau. Diese lebte seit 2013 von ihrem Mann getrennt. Beide wurden als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Im Juli 2016 ließen sie sich scheiden. Im Mai 2017 kündigten sie das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs und erhoben Räumungsklage. Sie machten geltend, die Ex-Frau benötige das Haus für sich, da sie mit ihren minderjährigen Kindern und ihrem neuen Lebensgefährten in ihr Eigentum einziehen wolle. Zudem würden sich durch den Umzug Schul- und Arbeitswege verkürzen. Das AG Soest und das LG Arnsberg hielten die Eigenbedarfskündigung für begründet und gaben der Räumungsklage statt.

BGH: Familienangehörige trotz räumlicher Trennung

Das sah der BGH genauso und wies die Revision zurück. Zwar hätten die Partner das Grundstück gemeinsam erworben, so dass grundsätzlich drei Jahre lang nicht gekündigt werden dürfe, § 577a Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BGB.  Die Beurteilung des LG Arnsberg, dass die Kündigungssperre keine Anwendung finde, weil die Ehegatten bei Erwerb trotz Trennung "derselben Familie" (§ 577 Abs. 1a Satz 2 BGB) angehörten, sei im Ergebnis richtig. Allerdings, so der VIII. Zivilsenat, ist die Familie auch nicht durch die Scheidung aufgelöst worden. Daher sei die vom westfälischen Gericht getroffene Unterscheidung zwischen Trennung und Scheidung unnötig.

Anknüpfungspunkt im Zeugnisverweigerungsrecht

Als Anknüpfungspunkt, wie weit der Kreis der Familienangehörigen bei der Eigenbedarfskündigung, § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, zu ziehen ist, sind dem BGH zufolge die Regelungen über ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen heranzuziehen. Diese konkretisierten mit Rücksicht auf eine typisierte persönliche Nähebeziehung den Kreis privilegierter Familienangehöriger, und zwar unabhängig davon, ob tatsächlich eine persönliche Bindung bestehe. Aus Sicht der Karlsruher Richter sind damit diejenigen Personen, denen das Prozessrecht ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gewährt, Familienangehörige, zu deren Gunsten eine Eigenbedarfskündigung ausgesprochen werden kann. Dies gelte unabhängig vom Vorliegen eines konkreten, tatsächlichen Näheverhältnisses. Hierunter fielen Ehegatten auch dann, wenn sie getrennt lebten, ein Scheidungsantrag bereits eingereicht oder die Scheidung vollzogen sei. Denn gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO sei ein Ehegatte selbst dann zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt, wenn die Ehe nicht mehr bestehe. Der BGH räumte den Mietern eine Räumungsfrist bis Ende Januar 2021 ein.

BGH, Urteil vom 02.09.2020 - VIII ZR 35/19

Redaktion beck-aktuell, 24. September 2020.