BGH: Beruht die Motivation für einen Suizid auf der Nachstellung kann dies den erforderlichen tatbestandspezifischen Zusammenhang begründen

StGB §§ 18, 238 I Nr. 1, Nr. 2, Nr. 4, III

Führt das Opfer einer Nachstellung den tödlichen Erfolg durch ein selbstschädigendes Verhalten herbei, ist der erforderliche tatbestandsspezifische Zusammenhang bereits dann zu bejahen, wenn das Verhalten des Opfers motivational auf die Verwirklichung des Grundtatbestandes zurückzuführen ist und diese Motivation handlungsleitend war. (Leitsatz der Verfasserin)

BGH, Beschluss vom 15.02.2017 - 4 StR 375/16, BeckRS 2017, 113612

Anmerkung von
Rechtsanwältin Simone Weber, Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 13/2017 vom 06.07.2017

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Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten (A) ua wegen Nachstellung mit Todesfolge verurteilt. A und die zum damaligen Zeitpunkt gesunde B nahmen eine Beziehung auf. A, der während der Beziehung zunehmend eifersüchtiger wurde, beendete diese, weil B ihn mit dem Namen ihres früheren Freundes ansprach. A versandte darauf an B über mehrere Tage zahlreiche Nachrichten mit hasserfüllten Beleidigungen und Bedrohungen, ua Ankündigungen einer baldigen Tötung von B. Wie A wusste, nahm B diese Drohungen ernst. Ferner hinterließ er eine Vielzahl von Nachrichten auf ihrem Anrufbeantworter und rief zur Nachtzeit an, bis A schließlich ihr Telefon abschaltete. Nachdem B den A einige Zeit später bei WhatsApp gesperrt und ihren Facebook-Account geändert hatte, versandte A E-Mails. Er drohte B mit der Erstattung einer Strafanzeige und gab vor, ihre Kommunikation in sozialen Netzwerken zu überwachen. A sandte zudem E-Mails mit beleidigenden und obszönen Mitteilungen über B an ihren Arbeitgeber. Auch persönlich suchte A Kontakt zu B und betrat in ihrer Abwesenheit ihre Wohnung. B ließ daher das Wohnungsschloss austauschen. A lauerte B auch auf dem Parkplatz auf und fuhr an dem Haus ihrer Eltern vorbei. Er zerstach die Reifen des PKWs von B, einer Freundin und ihrem Vater. Mit seinem Verhalten ging es A ausschließlich darum, B zu demütigen, in Angst zu versetzen und sie in ihrer gesamten Lebensführung zu beeinträchtigen. B war verängstigt, nicht mehr arbeitsfähig und übernachtete dauerhaft bei ihren Eltern. Sie entwickelte eine depressive Störung, die sich nachhaltig verstärkte. Sie unternahm einen ersten Suizidversuch, den sie jedoch abrach. Darauf wurde B in eine psychiatrische Abteilung eingewiesen, wo sie mit der Diagnose einer schweren depressiven Episode behandelt wurde. Nach der Entlassung verblieb sie in einer depressiven Störung mit Suizidgedanken. Sie litt unter Panikattacken und Angstzuständen. Zur Vermeidung der zwangsweisen Unterbringung erklärte sich B mit einer erneuten stationären Einweisung einverstanden. Dort angekommen lehnte sie aber jegliche Behandlung ab, setzte dann aber die ambulante Behandlung fort. Im November 2015 begab sie sich in ihre Wohnung und erhängte sich mit einem Seil und einem Schal in ihrem Keller.

Rechtliche Wertung

Die Revision des A hat keinen Erfolg, die Verurteilung wegen Nachstellung mit Todesfolge hält rechtlicher Nachprüfung stand. Der Tatbestand setze als erfolgsqualifiziertes Delikt voraus, dass „durch die Tat" der Tod des Opfers verursacht worden sei, wobei dem Täter hinsichtlich dieser Tatfolge wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fallen müsse. Erfolgsqualifizierte Delikte sollen der mit der Verwirklichung des Grundtatbestandes verbundenen Gefahr des Eintritts der qualifizierenden Todesfolge entgegenwirken und setzen deshalb einen spezifischen Ursachenzusammenhang zwischen beidem voraus, ein rein ursächlicher Zusammenhang genüge nicht. Welche Anforderungen an das Vorliegen dieses Zusammenhangs zu stellen seien, könne nur für jeden Straftatbestand nach dessen Sinn und Zweck ermittelt werden. Im vorliegenden Fall sei der spezifische Ursachenzusammenhang gegeben, wenn der Tod des Opfers unmittelbare Folge der durch die Nachstellungen verursachten schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung sei. Gerade die der Nachstellung innewohnende spezifische Gefahr müsse sich im tödlichen Ausgang niederschlagen. Ausgehend von der Deliktsstruktur und mit Blick auf den Schutzzweck der Nachstellung sei dieser Zusammenhang zu bejahen, wenn das Verhalten des Opfers motivational auf die Verwirklichung des Grundtatbestandes zurückzuführen und diese Motivation für sein selbstschädigendes Verhalten handlungsleitend gewesen sei. Liegen diese Voraussetzungen vor, stehe die Herbeiführung des tödlichen Erfolgs durch das Opfer selbst der Annahme eines spezifischen Gefahrzusammenhangs nicht entgegen. Der Grundtatbestand bezwecke gerade den Schutz des Opfers vor selbstschädigendem Verhalten unter dem Einfluss der normierten Nachstellungshandlungen. Insoweit setze die Bestimmung einen Taterfolg in Gestalt einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers voraus, der darin bestehe, dass es gravierende Einschränkungen in seiner Lebensführung vornehme. Unrechtskern der Vorschrift sei danach die Einschränkung der Autonomie des Opfers durch Einwirkungen des Täters. Da diese Einwirkungen im Regelfall psychischer Natur seien, könne das Maß einer noch verbleibenden Autonomie bei der Entscheidung des Opfers, dem psychischen Druck nachzugeben, rechtlich keine Bedeutung haben. Daher könne die Selbsttötung des Opfers die Zurechnung des Todeserfolges nach dem Grundsatz eigenverantwortlichen Handelns nicht ausschließen, wenn ein motivationaler Zusammenhang mit der Nachstellungshandlung gegeben und diese Motivation für das Tatopfer handlungsleitend gewesen sei. Vielmehr stelle sich der durch den selbstschädigenden Akt des Suizids herbeigeführte Tod nur als (letzte) Steigerung der tiefgreifenden Beeinträchtigung der Lebensführung des Opfers dar, die als schwere Folge nach dem Willen des Gesetzgebers der höheren Strafdrohung unterliegen solle.

Praxishinweis

Der erste Absatz des Tatbestands der Nachstellung wurde durch Gesetz vom 1.3.2017 mit Wirkung zum 10.3.2017 neu gefasst. War nach früherer Gesetzeslage, wie bereits das LG und dann auch der BGH treffend subsumieren, erforderlich, dass durch die Nachstellungshandlungen die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend beeinträchtigt wurde, also die Handlungen des Täters zu einer (erzwungenen) Veränderung der bisherigen Lebensumstände und so zu einer Einbuße von Lebensqualität führen, ist nun nur noch die Eignung zu einer solchen Beeinträchtigung erforderlich. Der Wandel des erst 2007 eingeführten Delikts vom Erfolgs- zum Eignungsdelikt soll verhindern, dass eine Anklage oder Verurteilung ausbleibt, weil das konkrete Opfer besonders robust und wenig anfällig für die tatbestandlichen Nachstellungshandlungen ist oder aber sich die Veränderung der Lebensumstände schlicht nicht leisten kann. In Zusammenschau mit obiger Entscheidung, die für den tatbestandsspezifischen Zusammenhang zwischen Grunddelikt und qualifizierter Folge einen motivationalen Zusammenhang zwischen Nachstellung und Suizid des Opfers genügen lässt, wenn dieser handlungsleitend war, ergibt sich ein bedenklich weiter und unbestimmter Anwendungsbereich der Vorschrift. Auch auf Seiten des Gesetzgebers scheint bei der Fassung der Erfolgsqualifikation bereits vor zehn Jahren eine gewisse Unsicherheit mitgeschwungen zu sein, hat er diese doch für eine solche mit einer relativ niedrigen Strafandrohung von einem Jahr bis zu zehn Jahren versehen.

Redaktion beck-aktuell, 12. Juli 2017.