BGH: Auszahlung von Bewertungsreserven nach Ablauf einer kapitalbildenden Lebensversicherung

VVG § 153 III 3; VAG § 81c I, III

Die Bestimmung zum Vorbehalt aufsichtsrechtlicher Regelungen bei der Ermittlung der Bewertungsreserven in § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG in der Fassung des Lebensversicherungsreformgesetzes vom 01.08.2014 (BGBl. I 2014, S. 1330) ist nicht verfassungswidrig. Dies hat der Bundesgerichtshof entschieden.

BGH, Urteil vom 27.06.2018 - IV ZR 201/17 (LG Düsseldorf), BeckRS 2018, 14724

Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 15/2018 vom 26.07.2018

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Sachverhalt

Der Kläger, ein gemeinnütziger Verbraucherschutzverein, begehrt vom beklagten Lebensversicherer aus abgetretenem Recht eines Versicherungsnehmers die Auszahlung weiterer Bewertungsreserven nach Ablauf einer kapitalbildenden Lebensversicherung. Die 1999 abgeschlossene Lebensversicherung wurde zum 01.09.2014 planmäßig beendet. Kurz zuvor kündigte die Beklagte dem Versicherungsnehmer zum Vertragsablauf eine Versicherungsleistung an, die eine Beteiligung an den Bewertungsreserven von 2.821,35 Euro enthalten sollte. Die Beklagte wies dabei darauf hin, dass die Bewertungsreserven endgültig erst zum Fälligkeitstermin feststünden und gegebenenfalls auch niedriger ausfallen könnten.

Im Zuge der Auszahlung der Versicherungsleistung teilte die Beklagte unter Berufung auf ihren Sicherungsbedarf gemäß § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG mit, dass auf die Bewertungsreserve nur ein Betrag von 148,95 Euro entfalle. Mit der Klage wird im Hauptantrag der Differenzbetrag von 2.672,40 Euro gefordert.

Die Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Der BGH hob das Berufungsurteil des LG Düsseldorf (Urteil vom 13.07.2017 – 9 S 46/16, BeckRS 2017, 116965; Anmerkung Grams, FD-VersR 2017, 393760) auf und verwies die Sache zurück.

Rechtliche Wertung

Allerdings hält der BGH die durch das Lebensversicherungsreformgesetz vom 01.08.2014 erfolgte Neuregelung des § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG nicht für verfassungswidrig. Dies hätten die Vorinstanzen richtig entschieden. Die Neuregelung führe dazu, dass ein Versicherer Bewertungsreserven aus festverzinslichen Anlagen und Zinsabsicherungsgeschäften bei der Beteiligung der Versicherungsnehmer an Bewertungsreserven nur insoweit berücksichtigen dürfe, als sie einen etwaigen Sicherungsbedarf aus den Verträgen mit Zinsgarantie überschreiten. Grund für diese Neuregelung sei gewesen, dass nach Auffassung des Gesetzgebers das lang anhaltende Niedrigzinsumfeld mittel- bis langfristig die Fähigkeit der privaten Lebensversicherer bedrohe, die den Versicherten zugesagten Zinsgarantien zu erbringen (BT-Drucks. 18/1772, S. 1).

Die Neuregelung enthalte eine unter dem Gesichtspunkt der Normenbestimmtheit und -klarheit präzisere Regelung gegenüber § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG a. F., die lediglich bestimmt habe, dass aufsichtsrechtliche Regelungen zur Kapitalausstattung unberührt bleiben.

Sie stelle auch keine unzulässige Rückwirkung auf bereits abgeschlossene Lebenssachverhalte dar. Die Regelung finde auf alle Verträge Anwendung, die im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens noch nicht beendet waren (sogenannte unechte Rückwirkung). Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz gehe nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Der Gesetzgeber müsse allerdings, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maße Rechnung tragen. Dies sei hier erfüllt.

Der Gesetzgeber habe verschiedene Maßnahmen getroffen, die sowohl die Interessen der ausscheidenden Versicherungsnehmer als auch derjenigen, die ihre Verträge noch in der Zukunft fortführen, sowie diejenigen der Anteilseigner berücksichtigen. Unter anderem habe er Änderungen der Mindestzuführungsverordnung vorgenommen, die zu einer höheren Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Risikoüberschüssen führten. Außerdem habe er den Höchstsatz für die bilanzielle Anrechnung von Abschlusskosten herabgesetzt, um Vertriebskosten zu senken. Schließlich dürfe ein Bilanzgewinn an Anteileigner nur ausgeschüttet werden, wenn er einen etwaigen Sicherungsbedarf übersteigt. Verfassungsrechtliche Bedenken an der Wirksamkeit der gesetzlichen Neuregelung bestünden daher unter Berücksichtigung des Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht. Im Einzelfall auftretende Härten führten nicht zur Verfassungswidrigkeit der Regelung insgesamt.

Der Gesetzgeber habe von der Regelung auch nicht deshalb Abstand nehmen müssen, weil die von den Versicherern versprochenen Zinsgarantien Teil ihres wirtschaftlichen Risikos wären. Lebensversicherungsverträge seien üblicherweise auf längere Zeit, häufig Jahrzehnte, angelegt. Komme es aus im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht absehbaren Umständen, wie hier der langanhaltenden Niedrigzinsphase, die in den Risikobereich keiner der beiden Vertragsparteien falle, zu nachhaltigen Störungen der Geschäftsgrundlage, sei der Gesetzgeber nicht gehindert, hierauf durch eine gesetzliche Regelung zu reagieren, deren Ziel es ist, den Versicherern auch mittel - und langfristig die Erfüllung der von ihnen den Versicherten zugesagten Zinsgarantien zu ermöglichen.

Gleichwohl hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück, weil dieses keine Feststellungen zu der streitigen Frage getroffen habe, ob die einfach-rechtlichen Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Bewertungsreserve wegen eines Sicherungsbedarfs der Beklagten bestanden.

Praxishinweis

Das Urteil ist zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen. Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit in einer wichtigen, bislang nicht einheitlich beantworteten Frage.

Wie jetzt der BGH auch schon OLG München, Beschluss vom 13.01.2017 - 25 U 4117/16, BeckRS 2017, 103732, Anmerkung Günther, FD-VersR 2017, 388254; Reiff in Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 153 Rn. 28 a-c; ders. ZRP 2014, 198, 200 f.; HK-VVG/Brambach, 3. Aufl. § 153 Rn. 84 f.; Krause in Looschelders-Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 153 Rn. 74; a.A. Schwintowski/Brömmel­meyer/Ortmann/Rubin, PK-VersR 3. Aufl. § 153 VVG Rn. 102.

Redaktion beck-aktuell, 10. August 2018.