Anforderungen an eine Berufungsbegründung

Eine Berufungsbegründung muss nicht als solche bezeichnet werden, es muss nur erkennbar sein, dass die Ausführungen die Berufung begründen sollen. Eine Verwerfung der Berufung entgegen dieses Grundsatzes verletzt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs das rechtliche Gehör und den effektiven Rechtsschutz der Partei. Der BGH verlangt aber darüber hinaus eine gesetzmäßige Begründung der Berufung, um sie als zulässig zu betrachten.

Berufung begründet oder nicht?

Eine Vermieterin verklagte ihre Mieterin auf Räumung und gewann den Prozess vor dem Amtsgericht Mülheim an der Ruhr. Noch am Tag der Zustellung des Urteils erhob die Mieterin durch ihren Anwalt Berufung und beantragte Vollstreckungsschutz. Im Anschluss an die Anträge erklärte der Prozessbevollmächtigte auf wenigen Zeilen sinngemäß, dass die Mieterin unter schweren Depressionen leide und krankheitsbedingt die Wohnung trotz guten Willens nicht ordnungsgemäß herausgeben könne. Er kündigte eine "weitere Begründung" an, die aber nicht erfolgte. Auf Hinweis des Landgerichts Duisburg, dass keine Begründung eingegangen sei, antwortete der Anwalt, die ersten Zeilen seien die Begründung gewesen, weitere Ausführungen hätten sich "als entbehrlich" erwiesen. Das Gericht verwarf die Berufung als unzulässig, weil sie nicht begründet worden sei. Daraufhin erhob die Mieterin Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof – im Ergebnis ohne Erfolg.

Landgericht hat rechtliches Gehör versagt

Die Karlsruher Richter hoben hervor, dass eine Berufungsbegründung nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht unbedingt als "Begründung" bezeichnet werden muss, um als solche erkannt zu werden. Im Zweifel sei stets das gewollt, was vernünftig ist. Deshalb hätte das LG Duisburg in Betracht ziehen müssen, dass der Text unter den Anträgen eine Begründung sowohl für den Vollstreckungsschutzantrag als auch für die Berufung ist. Dafür spreche das Fehlen von Sinnabschnitten, die sich ausdrücklich auf die Anträge beziehen würden. Der Inhalt der Ausführungen kann nach Ansicht der Bundesrichter auch auf das angegriffene Räumungsurteil bezogen werden. Die Rechtsbeschwerde sei damit zulässig, weil das LG der Mieterin sowohl das rechtliche Gehör als auch den effektiven Rechtsschutz versagt habe.

Berufung war trotzdem unzulässig

Die Ausführungen unter den Anträgen genügten dem VIII. Zivilsenat zufolge aber den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO nicht: Die Begründung hätte danach konkret ausführen müssen, worin die Mieterin die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen im Urteil bezweifle. Auch fehlte eine Bezeichnung der Umstände, aus denen sich aus dem Urteil eine Rechtsverletzung ergebe. Eine bloße Krankheitsbeschreibung lasse einen Bezug zu dem erstinstanzlichen Urteil nicht erkennen: Es sei noch nicht einmal ersichtlich, ob die Berufung das Fehlen oder nur die fehlerhafte Gewichtung dieses Umstandes rüge.

BGH, Beschluss vom 13.12.2022 - VIII ZB 43/22

Redaktion beck-aktuell, 27. Januar 2023.