BGH: Anbieter eines Produkts auf Amazon haftet nicht für Kundenbewertungen

Den Anbieter eines auf der Online-Handelsplattform Amazon angebotenen Produkts trifft für Bewertungen des Produkts durch Kunden grundsätzlich keine wettbewerbsrechtliche Haftung. Dies hebt der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 20.02.2020 hervor (Az.: I ZR 193/18).

Werbung mit Eignung zu Schmerzbehandlung zu unterlassen

Der Kläger ist ein eingetragener Wettbewerbsverein. Die Beklagte vertreibt Kinesiologie-Tapes. Sie hat diese Produkte in der Vergangenheit damit beworben, dass sie zur Schmerzbehandlung geeignet seien, was jedoch medizinisch nicht gesichert nachweisbar ist. Die Beklagte hat deshalb am 04.11.2013 gegenüber dem Kläger eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben.

Amazon weist Bewertungen Produkten zu

Die Beklagte bietet ihre Produkte auch bei der Online-Handelsplattform Amazon an. Dort wird für jedes Produkt über die EAN (European Article Number) eine diesem Produkt zugewiesene ASIN (Amazon-Standard-Identifikationsnummer) generiert, die sicherstellen soll, dass beim Aufruf eines bestimmten Produkts die Angebote sämtlicher Anbieter dieses Produkts angezeigt werden. Käufer können bei Amazon die Produkte bewerten. Amazon weist eine solche Bewertung ohne nähere Prüfung dem unter der entsprechenden ASIN geführten Produkt zu. Das hat zur Folge, dass zu einem Artikel alle Kundenbewertungen angezeigt werden, die zu diesem – unter Umständen von mehreren Verkäufern angebotenen – Produkt abgegeben wurden.

Rezensionen bestätigen Hilfe bei Schmerzen durch angebotenes Tape

Am 17.01.2017 bot die Beklagte bei Amazon Kinesiologie-Tapes an. Unter diesem Angebot waren Kundenrezensionen abrufbar, die unter anderem die Hinweise "schmerzlinderndes Tape!", "This product is perfect for pain…", "Schnell lässt der Schmerz nach", "Linderung der Schmerzen ist spürbar", "Die Schmerzen gehen durch das Bekleben weg" und "Schmerzen lindern" enthielten.

Wettbewerbsverein fordert Vertragsstrafe

Der Kläger forderte von der Beklagten die Zahlung einer Vertragsstrafe. Die Löschung der Kundenrezensionen lehnte Amazon auf Anfrage der Beklagten ab. Der Kläger begehrt Unterlassung und Zahlung der Vertragsstrafe sowie der Abmahnkosten. Die Beklagte habe sich die Kundenrezensionen zu Eigen gemacht und hätte auf ihre Löschung hinwirken müssen. Falls dies nicht möglich sei, dürfe sie die Produkte bei Amazon nicht anbieten.

Klage in allen Instanzen erfolglos

Das Landgericht hatte in erster Instanz die Klage abgewiesen. Es bestehe kein Anspruch aus §§ 8 Abs. 1, 3a UWG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 HWG. Die Berufung des Klägers hatte ebenso keinen Erfolg. Zwar seien die in den Kundenrezensionen enthaltenen gesundheitsbezogenen Angaben irreführend. Sie stellten aber keine Werbung dar. Zumindest wäre eine solche Werbung der Beklagten nicht zuzurechnen. Der BGH hat jetzt auch die Revision des Klägers zurückgewiesen. Das Berufungsgericht habe mit Recht angenommen, dass die Beklagte für Kundenbewertungen der von ihr bei Amazon angebotenen Produkte keine wettbewerbsrechtliche Haftung trifft. Ein Unterlassungsanspruch des Klägers ergebe sich nicht aus der Vorschrift der §§ 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 und § 11 Abs. 1 S. 2 HWG, die Werbung für Medizinprodukte mit irreführenden Äußerungen Dritter verbieten.

Keine Werbung mit Kundenrezensionen

Die Kundenbewertungen seien zwar irreführende Äußerungen Dritter, weil die behauptete Schmerzlinderung durch Kinesiologie-Tapes medizinisch nicht gesichert nachweisbar ist. Die Beklagte habe mit den Kundenbewertungen aber nicht geworben. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts habe sie weder selbst aktiv mit den Bewertungen geworben oder diese veranlasst, noch habe sie sich die Kundenbewertungen zu eigen gemacht, indem sie die inhaltliche Verantwortung dafür übernommen habe. Die Kundenbewertungen seien vielmehr als solche gekennzeichnet, fänden sich bei Amazon getrennt vom Angebot der Beklagten und würden von den Nutzern nicht der Sphäre der Beklagten als Verkäuferin zugerechnet.

Beklagte musste Irreführung nicht verhindern

Die Beklagte habe auch keine Rechtspflicht getroffen, eine Irreführung durch die Kundenbewertungen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Fall 2 Nr. 1 UWG zu verhindern. Durch ihr Angebot auf Amazon werde keine Garantenstellung begründet, unterstreicht der BGH. Von ausschlaggebender Bedeutung sei dabei, dass Kundenbewertungssysteme auf Online-Marktplätzen gesellschaftlich erwünscht seien und verfassungsrechtlichen Schutz genössen. Das Interesse von Verbrauchern, sich zu Produkten zu äußern und sich vor dem Kauf über Eigenschaften, Vorzüge und Nachteile eines Produkts aus verschiedenen Quellen, zu denen auch Bewertungen anderer Kunden gehören, zu informieren oder auszutauschen, werde durch das Grundrecht der Meinungs- und Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Einer Abwägung mit dem Rechtsgut der öffentlichen Gesundheit, die als Gemeinschaftsgut von hohem Rang einen Eingriff in dieses Grundrecht rechtfertigen könnte, bedürfe es hier nicht, weil Anhaltspunkte für eine Gesundheitsgefährdung bei dem Angebot von Kinesiologie-Tapes fehlten.

BGH, Urteil vom 20.02.2020 - I ZR 193/18

Redaktion beck-aktuell, 20. Februar 2020.