Betrugsprozess gegen Anwalt um erfundenes NSU-Opfer gestartet

Vor dem Landgericht Aachen hat am 07.08.2020 ein Betrugsprozess gegen einen Anwalt begonnen, dem vorgeworfen wird, ein NSU-Opfer erfunden und für dessen Vertretung im NSU-Prozess über 200.000 Euro aus der Staatskasse erhalten zu haben. Auch soll er versucht haben, ein Pseudo-Opfer der Loveparade-Katastrophe zu vertreten.

Angeklagter Anwalt soll NSU-Opfer erfunden haben

Meral Keskin - so hieß das angebliche Opfer des Nagelbombenanschlags des NSU in der Kölner Keupstraße. Fakt ist: Der Anschlag war furchtbar. 22 Menschen wurden verletzt, vier davon schwer. Viele wurden extrem traumatisiert. Nur eben nicht Meral Keskin - denn die hat es nachweislich nie gegeben. Der Anwalt wusste das Oberlandesgericht München laut Anklage dennoch von ihrer Existenz zu überzeugen. Dafür habe er falsche medizinische und psychologische Bescheinigungen vorgelegt und auf eine Fernsehreportage verwiesen: Darin gebe es sogar Bilder von Meral Keskin.

Nebenkläger aus NSU-Prozess soll Komplize gewesen sein

Nach Darstellung des Staatsanwalts spielte der Anwalt dem Oberlandesgericht sogar vor, dass seine Mandantin in Berlin den Bundespräsidenten getroffen und von Bundeskanzlerin Angela Merkel empfangen worden sei. Bei dem Betrug arbeitete er laut Anklage mit einem echten Nebenkläger aus dem NSU-Prozess zusammen. Dieser ist mittlerweile gestorben. Nachdem die Vorwürfe gegen den Anwalt 2015 bekannt geworden waren, hatte sich dieser damit gerechtfertigt, dass er von dem Mann hereingelegt worden sei. Er sei immer davon überzeugt gewesen, dass seine Mandantin wirklich existierte.

Anwalt soll 211.000 Euro abkassiert haben

Über fünf Jahre waren am Oberlandesgericht München die NSU-Morde zwischen 2000 und 2006 sowie der Mord an einer Polizistin verhandelt worden. 2018 wurde Beate Zschäpe wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Da sich der Prozess so lange hinzog, nahm der Anwalt aus Eschweiler an zahlreichen Verhandlungen teil und kassierte dafür der Anklage zufolge die Erstattung von Reisekosten und Vorschüsse auf Sitzungsgebühren. Außerdem habe er 5.000 Euro Härteleistung für das Opfer bezogen. Insgesamt kamen so laut Staatsanwalt 211.000 Euro zusammen. Nur 1.500 Euro soll er bisher an die Staatskasse zurückbezahlt haben.

Auch Vorwurf versuchter Vertretung eines Pseudo-Opfers der Loveparade-Katastrophe

Angeklagt ist der Anwalt auch im Zusammenhang mit dem Prozess um die Loveparade-Katastrophe in Duisburg. In diesem Prozess soll er - erfolglos - versucht haben, ein vermeintliches Opfer der Techno-Party zu vertreten. Dabei soll ihm bewusst gewesen sein, dass der Betroffene eine Erkrankung als Folge der Katastrophe nur vorgeschoben hatte. In München flog der mutmaßliche Betrug auf, als das Gericht Meral Keskin vorlud, in Duisburg, als die Staatsanwaltschaft ärztliche Belege einforderte. Ein Urteil in dem Aachener Prozess ist erst in einigen Monaten zu erwarten.

Mögliche Straferwartung

Im Falle eines Schuldspruchs drohen dem 52 Jahre alten Angeklagten eine Geldstrafe oder bis zu fünf Jahre Haft, wie ein Gerichtssprecher sagte. In einem besonders schweren Betrugsfall seien sogar bis zu zehn Jahre möglich. Es geht in dem Prozess auch um die Frage, ob der Anwalt aus Eschweiler bei Aachen seinen Beruf weiter ausüben darf. Es werden ihm Betrug, versuchter Betrug, Urkundenfälschung und Anstiftung zur falschen Versicherung an Eides statt vorgeworfen.

Redaktion beck-aktuell, 7. August 2020 (dpa).