Anhörung: Experten sehen Korrekturbedarf beim Gesetzentwurf zur Entlastung der gesetzlich Krankenversicherten

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Entlastung der gesetzlich Krankenversicherten (BT-Drs. 19/4454), der unter anderem die Rückkehr zur vollständigen paritätischen Beitragsfinanzierung vorsieht, ist bei Experten in einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages am 08.10.2018 in weiten Teilen auf Zustimmung gestoßen. Dies teilte der parlamentarische Pressedienst mit. Allerdings sähen die Experten bei einigen Regelungen Korrekturbedarf. Arbeitgeber warnten vor höheren Lohnzusatzkosten. Ferner seien etwa die Absenkung der Mindestbeitragsbemessungsgrenze für kleine Selbstständige und die Abschmelzung großer Rücklagen bei den Kassen im Detail strittig.

Entwurf: Paritätische Finanzierung des Zusatzbeitrags

Mit dem Versichertenentlastungsgesetz soll in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ab 2019 die vollständige paritätische Finanzierung wieder eingeführt werden. So wird der Zusatzbeitrag, der bisher nur von den Versicherten getragen wird, künftig wieder zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt. Der paritätisch finanzierte allgemeine Beitragssatz in Höhe von 14,6 Prozent bleibt erhalten. Die Beitragszahler sollen mit dem Gesetz um insgesamt rund acht Milliarden Euro pro Jahr entlastet werden.

Absenkung der Mindestbemessungsgrundlage für hauptberuflich Selbstständige

Der Gesetzentwurf sieht auch eine Entlastung kleiner Selbstständiger vor, die sich in der GKV versichern wollen. Demnach soll der monatliche Mindestbeitrag für Selbstständige ab 2019 auf rund 171 Euro halbiert werden. Zugleich sollen die Krankenkassen dazu verpflichtet werden, "passive" Mitgliedschaften zu beenden, um eine weitere Anhäufung von Beitragsschulden zu verhindern.

Abschmelzen von Rücklagen der Krankenkassen

Angesichts der zum Teil hohen Rücklagen von Krankenkassen sollen diese dazu verpflichtet werden, ihre Finanzreserven abzuschmelzen. Die Rücklagen dürfen dem Entwurf zufolge künftig eine Monatsausgabe nicht mehr überschreiten. Überschüssige Beitragseinnahmen müssen ab 2020 innerhalb von drei Jahren abgebaut werden. Krankenkassen mit einer Reserve von mehr als einer Monatsausgabe dürfen ihren Zusatzbeitrag nicht anheben. Zugleich soll der sogenannte Risikostrukturausgleich (RSA) reformiert werden.

Sozialverband: Zusatzbeitrag streichen - kassenindividuellen Beitragssatz einführen

Nach Ansicht des Sozialverbandes Deutschland hat mit der Wiederherstellung der Parität der Zusatzbeitrag ausgedient. Sinnvoll wäre die Einführung eines kassenindividuellen Beitragssatzes. Der Arbeitgeberverband BDA erinnerte daran, dass die Unternehmen allein die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall finanzieren. Bei einer Beteiligung der Arbeitgeber am Zusatzbeitrag sollte die günstigste Kasse zugrunde gelegt werden.

Selbstständigenverbände: Mindestbemessungsgröße einheitlich auf 450 Euro absenken

Die geplante Absenkung der Mindestbemessungsgrundlage für hauptberuflich Selbstständige hält der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für sinnvoll. Damit werde anerkannt, dass die jetzige Beitragsfestsetzung "der veränderten Lebens- und Einkommenssituation dieser Mitgliedergruppe" nicht mehr gerecht werde. Selbstständigenverbände fordern eine Absenkung der Mindestbemessungsgröße auf einheitlich 450 Euro, damit die Beiträge auch für Teilzeit-Selbstständige mit geringem Einkommen erschwinglich werden.

Betriebskrankenkassen: Geplante zwingende Rücklagenabsenkung kann Existenz kleiner Kassen gefährden

Von Krankenkassen kritisch gesehen wird die Regelung zur Absenkung ihrer Rücklagen. Nach Ansicht der Betriebskrankenkassen (BKK) birgt die verpflichtende Senkung des Zusatzbeitrags ab einer bestimmten Obergrenze "erhebliche Risiken und Wettbewerbsbeeinträchtigungen". Erst bei Kassen mit mehr als 100.000 Mitgliedern sei sichergestellt, dass bei einer Reduzierung der Finanzreserven ein "Auftreten von Hochkostenfällen" nicht kurzfristig zu einer existenziellen Bedrohung führen könne.

AOK: Regelung engt finanzielle Handlungsspielräume ein

Auch der AOK-Bundesverband sieht die Regelung kritisch und befürchtet, dass finanzielle Handlungsspielräume eingeengt werden. Dies könnte die langfristigen Planungen der Kassen konterkarieren. Zudem müssten die Ausgabensteigerungen durch künftige Gesetzesvorhaben im Blick behalten werden, bevor Rücklagen abgeschmolzen werden.

Rechtswissenschaftler: Rückwirkende Regelung zur Reduzierung der Beitragsschulden verfassungskonform

Bei der geplanten Reduzierung der Beitragsschulden fordert die AOK, auf eine "verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung" zu verzichten. Der Rechtswissenschaftler Helge Sodann erklärte in der Anhörung allerdings, dass die vorgesehene rückwirkende Regelung nicht zu beanstanden sei.

Redaktion beck-aktuell, 9. Oktober 2018.