BGH: Vorprozessuale Rechtsanwaltskosten als Nebenforderung

ZPO §§ 4 I Hs. 2, 511 II Nr. 1

Der behauptete Anspruch auf den Ersatz vorprozessualer Rechtsanwaltskosten erhöht nach § 4 I Hs. 2 ZPO als Nebenforderung nicht den Streitwert und auch nicht die Beschwer, solange er neben dem Hauptanspruch geltend gemacht wird, für dessen Verfolgung Rechtsanwaltskosten angefallen sind. Sobald und soweit die Hauptforderung jedoch nicht mehr Prozessgegenstand ist, wird die Neben- zur Hauptforderung. Sie hat sich dann von der sie bedingenden Forderung gelöst. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschluss vom 13.02.2019 - IV ZB 8/18, BeckRS 2019, 2408

Anmerkung von 
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 08/2019 vom 18.04.2019

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Sachverhalt

K begehrt vom Haftpflichtversicherer B Deckung für Schäden, die ihr Hund an ihrer Mietwohnung verursacht hat. Zunächst beantragt K die Feststellung der Deckungspflicht und gibt den Streitwert auf Grundlage der erwarteten Kosten für die Beseitigung der Schäden mit 2.500 EUR an. Nach diesem Gegenstandswert ermittelt K auch die von ihr geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Nach einer Einigung mit dem Vermieter ändert K die Klage dahin, dass anstelle der Feststellung der Deckungspflicht die Zahlung von nur noch 600 EUR begehrt wird. Das AG weist die Klage ab. Das LG verwirft die Berufung als unzulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteige nicht 600 EUR. Dagegen wendet sich K mit der Rechtsbeschwerde. Mit Erfolg!

Entscheidung: Nebenforderung ist teilweise zur Hauptforderung geworden und hat Beschwer erhöht

Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteige im Fall die Wertgrenze von 600 EUR des § 511 II Nr. 1 ZPO. Ein Anspruch auf Ersatz vorprozessualer Rechtsanwaltskosten erhöhe zwar als Nebenforderung den Streitwert und die Beschwer nicht, solange er neben dem Hauptanspruch geltend gemacht werde, für dessen Verfolgung Rechtsanwaltskosten angefallen seien, § 4 I Hs. 2 ZPO. Sobald und soweit die Hauptforderung jedoch nicht mehr Prozessgegenstand sei, werde – wie im Fall – die Nebenforderung ganz oder teilweise zur Hauptforderung. Denn dann habe sie sich von der sie bedingenden Forderung gelöst. Ohne Hauptforderung gebe es keine Nebenforderung mehr (Hinweis auf BGH NJW 2014, 3100 Rn. 5 mAnm Toussaint FD-ZVR 2014, 361551 und BGH r + s 2012, 573 Rn. 5 mAnm Toussaint FD-ZVR 2012, 332070).

Im Fall sei K noch in der ersten Instanz von einer Feststellungsklage – für die das AG einen Wert von 2.500 EUR festgesetzt habe – zu einer Zahlungsklage in Höhe von 600 EUR übergegangen. Es bedürfe keiner Entscheidung, ob in diesem „Übergang“ eine teilweise Klagerücknahme oder eine teilweise Erledigungserklärung gelegen habe. Jedenfalls habe sich damit der ursprünglich insgesamt als Nebenforderung geltend gemachte, auf den Gegenstandswert des Feststellungsantrags bezogene Antrag auf Erstattung vorprozessualer Rechtsanwaltskosten von 334,75 EUR als Hauptforderung verselbständigt, soweit die Rechtsanwaltskosten einen 600 EUR übersteigenden Gegenstandswert beträfen (Hinweis auf BGH BeckRS 2011, 02156 Rn. 6). Dem Wert des Zahlungsantrags sei daher ein zur Hauptforderung gewordener Teil der mit der Berufung in ungeminderter Höhe weiterverfolgten Rechtsanwaltskosten hinzuzurechnen, sodass sich der Wert des Beschwerdegegenstandes auf mehr als 600 EUR erhöht habe.

Praxishinweis

Nebenforderung ist eine solche Forderung, die zusammen mit der Hauptforderung, von der sie abhängt, geltend gemacht wird. Keine Nebenforderung ist die Forderung, die entweder von vornherein isoliert geltend gemacht wird oder – wie im Fall – deren Hauptforderung – wegen einer über sie bereits ergangenen abschließenden Entscheidung, Klagerücknahme oder Erledigungserklärung – nicht mehr Streitgegenstand des Verfahrens ist (Toussaint FD-ZVR 2012, 332070). In einem solchen Fall wird die „emanzipierte“ Nebenforderung (nur) prozessual zur Hauptforderung und ist bei der Wertberechnung als solche zu berücksichtigen (Toussaint FD-ZVR 2012, 332070; Mayer FD-RVG 2011, 314368).

Das LG hätte eine vom AG nicht getroffene Entscheidung über die Zulassung der Berufung nachholen müssen, wenn das AG für eine Zulassungsentscheidung keine Veranlassung gesehen hätte. Im Übrigen ist unklar, warum das AG den Wert der Feststellungsklage mit 100 % der Reparaturkosten angesetzt hat. Üblich wäre ein Abschlag von 20 % gewesen (BGH BeckRS 2000, 4657; BGH NJW 1965, 2298; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 16. Aufl., § 511 Rn. 24). Bei einer Klage des Mieters auf Feststellung einer Minderung der Miete ist der Streitwert gem. § 48 I 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO allerdings mit dem 3 1/2-fachen Jahresbetrag der geltend gemachten Mietminderung zu bemessen (BGH NJW-RR 2017, 204 Rn. 4).

Redaktion beck-aktuell, 23. April 2019.