BGH: Notwendiger Inhalt der Berufungsbegründung

ZPO §§ 520 I 4, III 2 Nr. 2, 574 I 1

Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, ist eine Berufungsbegründung grds. nur dann geeignet, das gesamte klageabweisende Urteil in Frage zu stellen, wenn sie jede dieser Erwägungen konkret angreift. Etwas anderes gilt indes, wenn der Angriff gegen den einen Abweisungsgrund aus Rechtsgründen auch den anderen Abweisungsgrund zu Fall bringt. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschluss vom 23.10.2018 - III ZB 50/18, BeckRS 2018, 28291

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 25/2018 vom 21.12.2018

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Sachverhalt

K nimmt das Land B wegen eines Sturzes bei einem Friedhofsbesuch unter dem Vorwurf der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten auf den Ersatz materieller und immaterieller Schäden in Anspruch. Das LG weist die Klage ab. Die Berufung des K verwirft das KG als unzulässig. K’s Berufungsbegründung genüge den Anforderungen des § 520 III 2 Nr. 2 ZPO nicht. Denn das LG habe seine Klageabweisung auf zwei voneinander unabhängige, selbständig tragende Erwägungen gestützt, nämlich auf das Fehlen einer Pflichtverletzung des Landes und auf ein anspruchsausschließendes Mitverschulden des K. Die Berufungsbegründung habe sich jedoch nur mit der Frage der Pflichtverletzung des B und nicht – wie geboten – auch mit dem Mitverschulden des K befasst. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde des K. Ohne Erfolg!

Entscheidung: Grds. muss jede Erwägung, die das Urteil trägt, bekämpft werden

Grundsätze zu § 520 III 2 Nr. 2 ZPO

Nach § 520 III 2 Nr. 2 ZPO müsse die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Habe das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, sei eine Berufungsbegründung nur dann geeignet, das gesamte klageabweisende Urteil infrage zu stellen, wenn sie jede dieser Erwägungen konkret angreife. Anderenfalls sei das Rechtsmittel unzulässig (Hinweis ua auf BGH NJW-RR 2015, 756 Rn. 8 = FD-ZVR 2015, 368374 [Ls.]). Ausnahmsweise könne zwar bereits der Angriff gegen einen selbstständigen Abweisungsgrund genügen. So liege es aber nur, wenn dieser aus Rechtsgründen auch den anderen Abweisungsgrund zu Fall bringe (Hinweis auf BGH NZI 2018, 325 Rn. 7 mAnm Elzer FD-ZVR 2018, 402804).

Anwendung der Grundsätze auf den Fall

Nach den geschilderten Maßgaben habe das KG die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen. Das LG habe die Klage mit der Begründung abgewiesen, dem Land sei bei einer Gehwegunebenheit (Überstand/Kante) von nur 2,5 cm keine Pflichtverletzung anzulasten. Ferner habe es ausgeführt, soweit K geltend mache, dass die Schadstelle so deutlich und eklatant sei, dass sie habe entdeckt und behoben werden müssen, trage er zugleich ein eigenes überwiegendes, die Haftung des Landes ausschließendes Mitverschulden vor. Damit habe es aber seine klageabweisende Entscheidung auf zwei voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt. K‘s Berufungsbegründung habe sich demgegenüber allein mit der Frage der Pflichtverletzung des Landes, nicht jedoch auch mit dem Einwand des (anspruchsausschließenden) Mitverschuldens befasst.

Praxishinweis

Berufungsbegründung muss grds. jede selbständige Erwägung angreifen

Diese und frühere Entscheidungen mahnen den Rechtsanwalt mehr als deutlich, beim Verfassen der Berufungsbegründungschrift große Sorgfalt walten zu lassen. Dazu ist das anzugreifende Urteil sorgfältig auszuwerten. Hat das Erstgericht – wie im Fall – die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung jede dieser Erwägungen konkret angreifen.

Der Grund hierfür liegt darin, was der BGH in der Entscheidung auch wiederholt und erinnert, dass jede der gleichwertigen Begründungen des Erstgerichts seine Entscheidung trägt. Selbst wenn die gegen einen Grund vorgebrachten Angriffe durchgreifen, ändert sich also nichts daran, dass die Klage aus dem anderen Grund weiterhin abweisungsreif ist (siehe nur BGH NZI 2018, 325 Rn. 7 = FD-ZVR 2018, 402804 mAnm Elzer und BGH NJW-RR 2015, 511 Rn. 8 mAnm Elzer FD-ZVR 2015, 367026).

Ausnahme: Ein Angriff bringt mehrere Erwägungen zu Fall

Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Angriff gegen einen selbständigen Abweisungsgrund aus Rechtsgründen auch den anderen Abweisungsgrund zu Fall bringt (BGH NZI 2018, 325 Rn. 8 ff. mAnm Elzer FD-ZVR 2018, 402804; BGH NJW 2007, 1534 Rn. 12).

Redaktion beck-aktuell, 2. Januar 2019.