BGH: Reichweite einer Unterlassungsverpflichtung

ZPO §§ 793, 890

Im Rahmen der Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO haftet der Schuldner grds. nicht für das selbständige Handeln Dritter. Eine Pflicht zur aktiven Einwirkung auf Dritte kommt nur in Betracht, wenn das Handeln des Dritten dem Schuldner wirtschaftlich zugutekommt. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschluss vom 12.07.2018 - I ZB 86/17, BeckRS 2018, 23064

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 22/2018 vom 09.11.2018

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Sachverhalt

Dem NDR wird es im Wege der einstweiligen Verfügung (§ 935 ZPO) unter Androhung von Ordnungsmitteln (§ 890 ZPO) untersagt, einen Fernsehbeitrag zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen. Nach Zustellung des Beschlusses nach § 935 ZPO löscht der NDR den Beitrag aus seiner Mediathek und bittet ferner die gängigen Suchmaschinen, den Beitrag zu löschen. Eine weitergehende Internetsuche führt der NDR nicht durch. Durch einen Antrag nach § 890 I ZPO wird er darauf aufmerksam gemacht, ein X habe den Beitrag auf dem Videoportal „YouTube“ eingestellt. Nunmehr veranlasst der NDR auch dort die Löschung.

Auf Antrag der Gläubigerin setzt das LG gegen den NDR wegen Verstoßes gegen das Verbot ein Ordnungsgeld iHv 5.000 EUR fest. Die sofortige Beschwerde des NDR (§ 793 ZPO) führt hingegen zur Zurückweisung dieses Vollstreckungsantrags. Denn das Tun des X sei dem NDR nicht wirtschaftlich zugutegekommen sei. Es könne offenbleiben, ob der NDR mit einer rechtlich unzulässigen Weiterverbreitung habe ernstlich rechnen müssen. Selbst bei Annahme einer internettypischen Gefahr sei es ihm jedenfalls nicht zumutbar gewesen, die gängigsten Videoportale anlassunabhängig zu kontrollieren. Mit ihrer Rechtsbeschwerde erstrebt die Gläubigerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Beschlusses. Ohne Erfolg!

Entscheidung: Pflicht zur aktiven Einwirkung auf Dritte nur bei eigenem wirtschaftlichen Vorteil

Zu Maßnahmen, die zur Störungsbeseitigung geschuldet seien, könne allerdings die Einwirkung auf Dritte zählen. Der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs habe zwar nicht für das selbständige Handeln Dritter einzustehen (Hinweis ua auf BGH GRUR 2014, 595 Rn. 26 und BGH GRUR 2017, 208 Rn. 30 = FD-ZVR 2017, 386967 (Ls.)). Das entbinde ihn im Rahmen seiner durch Auslegung ermittelten positiven Handlungspflicht aber nicht davon, auf Dritte einzuwirken, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekomme und bei denen er mit (weiteren) Verstößen ernstlich rechnen müsse (Hinweis ua auf BGH GRUR 2017, 823 Rn. 29). Mit Blick auf seine Einwirkungsmöglichkeiten auf den Dritten komme es nur darauf an, ob der Schuldner rechtliche oder tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten Dritter habe (Hinweis ua auf BGH GRUR 2018, 292 Rn. 25 = FD-ZVR 2018, 403238 (Ls.)). Im Fall habe der NDR zum einen den Beitrag aus seiner über das Internet erreichbaren Mediathek löschen müssen (Hinweis ua auf BGH GRUR 2017, 318 Rn. 12 = FD-ZVR 2017, 385580 (Ls.)). Ferner sei der NDR verpflichtet gewesen, durch Einwirkung auf gängige Internetsuchmaschinen, insbesondere Google, sicherzustellen, dass der von ihm aus seiner Mediathek gelöschte Beitrag nicht weiter über diese Suchmaschinen infolge einer Speicherung dieses Beitrags in deren Cache erreichbar ist.

Im Rahmen der Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO hafte der Schuldner hingegen grds. nicht für das selbständige Handeln Dritter (Hinweis auf BGH GRUR 2017, 208 Rn. 30 = FD-ZVR 2017, 386967 (Ls.)). Eine Pflicht zur aktiven Einwirkung auf Dritte komme nur in Betracht, wenn das Handeln des Dritten dem Schuldner wirtschaftlich zugutekomme (Hinweis ua auf BGH GRUR 2017, 823 Rn. 29 = FD-ZVR 2017, 385580 (Ls.) und BGH GRUR 2017, 208 Rn. 30). Dies gelte etwa in der „Vertriebskette“. Wer rechtsverletzend gekennzeichnete oder aufgemachte Produkte an Weiterverkäufer vertreibe, habe zur Erfüllung seiner Unterlassungspflicht diese Produkte regelmäßig zurückzurufen (Hinweis ua auf BGH GRUR 2018, 292 Rn. 20 = FD-ZVR 2018, 403238 (Ls.) und BGH GRUR 2016, 720 Rn. 35). Nach diesen Maßgaben scheide im Fall die Annahme einer Pflicht zur Unterbindung der Veröffentlichung des Beitrags auf dem Videoportal YouTube aus. Zwar habe die Veröffentlichung auf einem Videoportal im Internet rein tatsächlich bewirkt, dass mehr Zuschauer vom Inhalt des Beitrags Kenntnis erlangen konnten. Allein die Erweiterung des potentiellen Zuschauerkreises führe aber noch nicht zu einem relevanten wirtschaftlichen Vorteil des NDR. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung falle im Übrigen weiter ins Gewicht, dass die Veröffentlichung ohne Zustimmung des NDR dessen Urheberrechte verletze.

Praxishinweis

Der Schuldner einer auf Unterlassung lautenden Entscheidung kann im Einzelfall zu einem aktiven Handeln verpflichtet sein und daher, wenn er diese Handlungspflicht verletzt, gegen den Unterlassungstitel verstoßen. Abweichend von der Verwendung des Begriffs des „Unterlassens“ im allgemeinen Sprachgebrauch ist insoweit im Wege der Auslegung des Unterlassungstitels zu ermitteln, welche Verhaltensweisen dieser erfasst und ob er den Schuldner (auch) zu einem aktiven Handeln verpflichtet (BGH GRUR 2018, 292 Rn. 18 = FD-ZVR 2018, 403238 (Ls.)). Bei einer Handlung, die einen fortdauernden Störungszustand geschaffen hat, ist der die Handlung verbietende Unterlassungstitel mangels abweichender Anhaltspunkte idR dahin auszulegen, dass er außer zur Unterlassung derartiger Handlungen auch zur Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands verpflichtet (stRspr, etwa BGH GRUR 2017, 208 Rn. 24 = FD-ZVR 2017, 386967 (Ls.); BGH GRUR 2017, 823 Rn. 26 = FD-ZVR 2017, 385580 (Ls.)). Eine Unterlassungsverpflichtung erschöpft sich insbes. dann nicht in einem bloßen Nichtstun, sondern umfasst auch die Pflicht zur Vornahme von Handlungen zur Beseitigung eines zuvor geschaffenen Störungszustands, wenn dem Unterlassungsgebot allein dadurch entsprochen werden kann (BGH, GRUR 2017, 208 Rn. 24 = FD-ZVR 2017, 386967 (Ls.)). So verhält es sich, wenn die Nichtbeseitigung des Verletzungszustands gleichbedeutend mit der Fortsetzung der Verletzungshandlung ist (BGH GRUR 2017, 208 Rn. 25 = FD-ZVR 2017, 386967 (Ls.)).

Redaktion beck-aktuell, 15. November 2018.