BGH: Fragen an Sachverständigen zur Sachverhaltsaufklärung

GG Art. 103 I; ZPO §§ 397, 402

Eine Partei hat einen Anspruch darauf, dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung des Sachverhalts für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorzulegen. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschluss vom 10.07.2018 - VI ZR 580/15, BeckRS 2018, 18775

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 19/2018 vom 28.09.2018

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Sachverhalt

K nimmt B und B1 gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz in Anspruch. Das LG erlässt nach Einholung eines orthopädischen und eines psychiatrischen Gutachtens ein Grund- und Teilurteil, in dem es die Alleinhaftung der Beklagten dem Grunde nach ausspricht und zusätzlich festgestellt, die Beklagten seien verpflichtet, die Zukunftsschäden des K zu ersetzen. Die materiellen Schäden des K spricht es im Wege eines Teilurteils mit einem Betrag von 2.700 EUR zu, die Höhe des Verdienstausfallschadens behält es dem Schlussurteil vor. Weiter erkennt es ein Schmerzensgeld iHv 40.000 EUR zu. Auf die Berufung der Beklagten ändert das OLG dieses Urteil nach ergänzender Beweiserhebung durch Einholung eines neuen schriftlichen psychiatrischen Gutachtens und dessen schriftlicher Ergänzung ab. Es erklärt die Klage in Bezug auf den behaupteten Verdienstausfallschaden nur für die Jahre 2005 und 2006 dem Grunde nach für gerechtfertigt und verurteilt die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 15.000 EUR. Die weitergehende Klage weist es ab und die Berufung zurück. Die Revision lässt es nicht zu. Hiergegen wendet sich K mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde. Mit Erfolg!

Entscheidung

Das OLG habe durch die Zurückweisung eines Antrags des K auf mündliche Anhörung des Sachverständigen in seinem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG) verletzt. Für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten sei, komme es nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sehe oder ob ein solcher von einer Partei nachvollziehbar dargetan worden sei. Nach stRspr habe die Partei zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich halte, zur mündlichen Beantwortung vorlegen könne (Hinweis ua auf BGH NJW-RR 2017, 762 Rn. 3 mAnm Toussaint FD-ZVR 2017, 389231). Dieses Antragsrecht bestehe unabhängig von § 411 III ZPO (Hinweis auf weitere stRspr und BGH BeckRS 2007, 16986 Rn. 3). Dieser Pflicht zur Anhörung des Sachverständigen sei der Tatrichter nur ausnahmsweise dann enthoben, wenn der Antrag auf Anhörung verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt worden sei. Von letzterem könne nicht die Rede sein, wenn die Partei (wie in § 411 IV ZPO vorgesehen) konkret vorgetragen habe, worin sie Unklarheiten und Erläuterungsbedarf im Hinblick auf das schriftliche Sachverständigengutachten sehe und in welcher Richtung sie ihr Fragerecht ausüben wolle.

Im Fall sei der von K gestellte Antrag auf Anhörung des Sachverständigen weder verspätet noch rechtsmissbräuchlich gewesen. Nach Vorlage des Gutachtens habe das OLG auf Einwendungen der Beklagten ein Ergänzungsgutachten veranlasst, welches den Parteien ohne Fristsetzung zur Stellungnahme zugeleitet worden sei. Danach habe K bezogen auf dieses Ergänzungsgutachten Einwendungen vorgetragen und die Anhörung des Sachverständigen beantragt. Das OLG habe ungeachtet dessen den Sachverständigen nicht zur mündlichen Verhandlung geladen.

Praxishinweis

Der BGH hat gleichsam als „Draufgabe“ – und deshalb wird der Alltagsfall (siehe zur Problematik nur Toussaint FD-ZVR 2017, 394225 und FD-ZVR 2017, 389231 sowie Elzer FD-ZVR 2015, 373125) hier eigentlich berichtet – darauf hingewiesen, Äußerungen medizinischer Sachverständiger seien kritisch auf ihre Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit zu prüfen. Das gelte sowohl für Widersprüche zwischen einzelnen Erklärungen desselben Sachverständigen als auch für Widersprüche zwischen Äußerungen mehrerer Sachverständiger, selbst wenn es dabei um Privatgutachten gehe. Der Tatrichter dürfe den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gebe (Hinweis ua auf BGH NJW-RR 2014, 760 Rn. 12 mAnm Elzer FD-ZVR 2014, 357416).

Redaktion beck-aktuell, 2. Oktober 2018.