BGH: Streitgegenstand bei wettbewerbsrechtlichem Unterlassungsanspruch

UWG §§ 3 I, 5 I 2 Nr. 1; ZPO §§ 253 II Nr. 2, 308 I

Ein Gericht entscheidet unter Verstoß gegen § 308 I ZPO über etwas anderes, als beantragt ist, wenn es seinem Urteilsausspruch über einen Unterlassungsantrag einen anderen Klagegrund zugrunde legt als denjenigen, mit dem der Kläger seinen Antrag begründet hat. Das ist der Fall, wenn der Kläger seinen Klageantrag darauf stützt, dass die Beklagte in ihrer Werbung gegenüber potentiellen Teilnehmern ihrer Weiterbildungskurse den Eindruck erweckt, die Absolventen der Kurse dürften die angegebene Berufsbezeichnung auch ohne Psychologiestudium führen, und das Gericht die Verurteilung daraus ableitet, dass Kursteilnehmer die Berufsbezeichnung in einer Art verwenden, die geeignet ist, ihre Patienten irrezuführen. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Urteil vom 05.10.2017 - I ZR 184/16, BeckRS 2017, 137604

Anmerkung von
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe 

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 02/2018 vom 26.01.2018

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Sachverhalt

Die Beklagte betreibt eine Einrichtung für Weiterbildung. Sie bewarb im Internet eine einjährige berufsbegleitende Weiterbildung, nach deren Abschluss die Absolventen ein „Hochschul-Zertifikat“ mit den Titeln Betriebspsychologe (FH), Organisationspsychologe (FH) oder Kommunikationspsychologe (FH) erwerben konnten. Die Beklagte bietet die Weiterbildung auch solchen Interessenten an, die kein Studium der Psychologie absolviert haben. Der klagende Verein von Psychologen, dessen Vereinszweck die Wahrung der beruflichen Interessen seiner Mitglieder umfasst und der eine Einrichtung zur Aus-, Fort- und Weiterbildung von Psychologen unterhält, hält die Werbung der Beklagten für irreführend. Er macht geltend, die Beklagte erwecke darin den Anschein, die Absolventen ihrer Kurse dürften diese Berufsbezeichnungen auch dann führen, wenn sie kein Psychologiestudium abgeschlossen hätten. Dieser Eindruck sei jedoch unrichtig und daher irreführend. Die Erwartung der Verbraucher gehe dahin, dass das Führen der Berufsbezeichnung „Psychologe“ eine akademische Ausbildung voraussetze. Er hat die Beklagte deshalb auf Unterlassung der angegriffenen Werbung in Anspruch genommen.

Das LG hat der Klage nach Änderung der ursprünglich gestellten Klageanträge stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das landgerichtliche Urteil dahin neu gefasst wird, dass die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln verurteilt wird, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken, insbesondere auf Geschäftspapieren und im Internet (1.) mit den Berufsbezeichnungen „Betriebspsychologe“, „Organisationspsychologe“ bzw. „Kommunikationspsychologe“ mit oder ohne Zusatz „(FH)“ für ihre Lehrgänge zu werben, wenn die entsprechende Weiterbildung nicht auf ein erfolgreich abgeschlossenes Hochschulstudium der Psychologie durch die Teilnehmer aufbaut, sowie (2.) damit zu werben, dass die Teilnehmer nach bestandener Prüfung ein Hochschulzertifikat mit dem Titel „Betriebspsychologe (FH)“, „Organisationspsychologe (FH)“ bzw. „Kommunikationspsychologe (FH)“ erhalten, wenn die betreffenden Teilnehmer nicht erfolgreiche Absolventen eines Hochschulstudiums der Psychologie sind (OLG Schleswig BeckRS 2016, 13394). Es hat die Unterlassungsanträge gemäß §§ 3 I, 5 I 2 Nr. 1 UWG für begründet erachtet und dazu ausgeführt, die Werbung der Beklagten sei irreführend, weil sie zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale ihrer Dienstleistungen – insbesondere über deren Vorteile und Verwendungsmöglichkeiten – enthalte; die hier maßgebliche Irreführung trete allerdings nicht gegenüber den Interessenten der Lehrgänge ein, sondern gegenüber den späteren Klienten der Lehrgangsabsolventen.

Entscheidung

Der BGH hat auf die von ihm nach vorangegangener Nichtzulassungsbeschwerde zugelassene Revision der Beklagten das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung könne der vom Kläger verfolgte Unterlassungsanspruch nicht bejaht werden, denn das Berufungsgericht habe dem Kläger etwas zugesprochen, was dieser nicht beantragt habe. Nach § 308 I 1 ZPO sei das Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt sei; das zusprechende Urteil müsse sich innerhalb des mit der Klage anhängig gemachten Streitgegenstands halten. Werde ein Unterlassungsanspruch auf das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot gestützt, werde der durch die materiell-rechtliche Regelung des § 5 I UWG verselbständigte, für die Festlegung des Klagegrundes als Teil des zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffes maßgebliche Lebensvorgang maßgeblich durch die Fragen bestimmt, durch welche – bereits erfolgte (Wiederholungsgefahr) oder in naher Zukunft bevorstehende und sich konkret abzeichnende (Erstbegehungsgefahr) – Angabe welcher konkrete Verkehrskreis angesprochen werde, welche Vorstellungen die Angabe bei diesem angesprochenen Verkehrskreis auslöse und ob diese Vorstellung unwahr sei. Die der Klage zugrundeliegende Angabe iSv § 5 I UWG sei ausweislich der Begründung der klägerischen Anträge die Werbung der Beklagten. Die durch diese Werbung angesprochenen Verkehrskreise seien solche an einer Weiterbildung Interessierte, die über keinen Hochschulabschluss der Psychologie verfügten. Das Berufungsgericht habe dagegen die Verurteilung auf einen davon abweichenden Klagegrund gestützt, indem es angenommen habe, die im Streitfall maßgebliche Irreführung trete nicht durch die Werbung der Beklagten gegenüber den Interessenten an ihren Lehrgängen ein, sondern durch ein Verhalten der nicht akademisch zum Psychologen ausgebildeten Absolventen, die möglicherweise durch diese Werbung zu Kunden der Beklagten würden, sodann den Lehrgang absolvierten und schließlich später die streitgegenständlichen Berufsbezeichnungen und Zertifikate gegenüber dem allgemeinen Publikum (ohne hinreichende Aufklärung) benutzten. Der darin liegende Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 308 I ZPO sei auch nicht dadurch geheilt worden, dass der Kläger die Zurückweisung der Revision beantragt und sich dadurch möglicherweise die Entscheidung des Berufungsgerichts zu Eigen gemacht habe, weil es sich insoweit um eine Klageerweiterung handeln würde, die im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht zulässig sei.

Praxishinweis

Nach dem sog. zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff, dem auch der BGH folgt, wird der Streitgegenstand durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet, bestimmt. Der Klagegrund wird durch den gesamten historischen Lebensvorgang bestimmt, auf den sich das Rechtsschutzbegehren der Klagepartei bezieht (vgl. hierzu Toussaint FD-ZVR 2013, 352771). Verschiedene Streitgegenstände können auch bei einem einheitlichen Klagebegehren vorliegen, nämlich dann, wenn die materiell-rechtliche Regelung die zusammentreffenden Ansprüche durch eine Verselbständigung der einzelnen Lebensvorgänge erkennbar unterschiedlich ausgestaltet (vgl. auch insoweit Toussaint FD-ZVR 2013, 352771). Nach der Rspr. des für den gewerblichen Rechtsschutz zuständigen I. Zivilsenats des BGH ist dies etwa der Fall, wenn der Kläger sein (einheitliches) Klagebegehren auf ein Schutzrecht und auf ein von ihm als wettbewerbswidrig angesehenes Verhalten des Beklagten stützt bzw. seinen Anspruch aus mehreren Schutzrechten herleitet oder wenn – sofern unterschiedliche Lebenssachverhalte betroffen sind – ein Unterlassungsantrag zum einen auf Wiederholungsgefahr und zum anderen auf Erstbegehungsgefahr gestützt wird.

Redaktion beck-aktuell, 1. Februar 2018.