BGH: Keine Beschränkung der Revisionszulassung auf die Begründetheit der Klage

ZPO §§ 256 I, 543 I Nr. 1

Das Berufungsgericht kann die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts nicht einschränken, soweit Prozessvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen sind (Anschluss an BGHZ 182, 325, Rn. 15 und BGH, BeckRS 2010, 02206, Rn. 14). (amtlicher Leitsatz)

BGH, Urteil vom 10.10.2017 - XI ZR 456/16, BeckRS 2017, 131371

Anmerkung von
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 23/2017 vom 24.11.2017

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Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss von zwei von der Beklagten gewährten Verbraucherdarlehensverträgen gerichteten Willenserklärungen der Klägerin. Ihre Klage zuletzt auf Feststellung, dass die Darlehensverträge aufgrund des Widerrufs "beendet" und rückabzuwickeln seien, außerdem auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten, hat das LG abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des Rechtsmittels iÜ das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und den Feststellungsbegehren entsprochen. Es hat die Feststellungsklage für zulässig gehalten und angenommen, dass die Klägerin ein bestehendes und mangels ordnungsgemäßer Belehrung nicht verfristetes Widerrufsrecht nicht verwirkt habe. In der Entscheidungsformel hat es dahin erkannt, es werde die "Revision gegen dieses Urteil" zugelassen. In den Gründen hat es ausgeführt, es habe "die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung […] im Hinblick auf divergierende obergerichtliche Entscheidungen zur Frage der Verwirkung bzw. der rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung von Verbraucherwiderrufsrechten zugelassen". Dagegen komme eine "Revisionszulassung – wie von der Beklagten begehrt – hinsichtlich der allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Feststellungsklage" nicht in Betracht.

Entscheidung

Auf die Revision der Beklagten hat der BGH das Berufungsurteil insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, und im Umfang der Aufhebung die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Zu Unrecht habe das Berufungsgericht die Feststellungsklage für zulässig erachtet. Die auf die positive Feststellung der Umwandlung der Darlehensverträge in Rückgewährschuldverhältnisse aufgrund der Widerrufserklärung könne nicht als negative Feststellungsklage ausgelegt werden und sei daher, wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils ausgesprochen habe (vgl. nur BGH NJW 2017, 2340 Rn. 16 = FD-ZVR 2017, 393481 mAnm Elzer; NJW-RR 2017, 1077 Rn. 16, jeweils mwN), unzulässig, zumal die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch angekündigt habe, auf ein Feststellungsurteil nicht freiwillig leisten zu wollen. Die Zulässigkeit der Feststellungsklage unter dem Aspekt des Vorhandenseins eines Feststellungsinteresses habe der Senat von Amts wegen zu prüfen. Dem stehe nicht entgegen, dass das Berufungsgericht in den Gründen des Berufungsurteils ausdrücklich ausgeführt habe, es lasse die Revision nur zur Begründetheit und nicht auch zur Zulässigkeit der Feststellungsklage zu. Das Berufungsgericht könne die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts nicht einschränken, soweit Prozessvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen seien. Auch der Revisionsführer könne mittels einer Beschränkung seines Angriffs auf die materielle Rechtfertigung des Anspruchsgrunds eine solche Prüfung nicht ausschließen. Insoweit gelte anderes als in Fällen einer Beschränkung der Zulassung auf die Frage der Zulässigkeit der Klage.

Das Berufungsurteil sei daher aufzuheben (§ 562 I ZPO). Eine eigene Sachentscheidung zugunsten der Beklagten (§ 563 III ZPO) könne der Senat indessen nicht fällen, weil die Feststellungsanträge nicht abweisungsreif seien. Eine Abweisung als unzulässig durch den Senat könne nicht erfolgen, weil der Klägerin zunächst Gelegenheit gegeben werden müsse, zu einem zulässigen Klageantrag überzugehen. Aber auch auf die Unbegründetheit der Feststellungsklage könne der Senat nicht erkennen. Zwar sei das Feststellungsinteresse gemäß § 256 I ZPO nur für ein stattgebendes Urteil echte Prozessvoraussetzung und könne ein Feststellungsbegehren, das das Berufungsgericht für zulässig erachtet habe, bei tatsächlich fehlendem Feststellungsinteresse in der Revisionsinstanz aus sachlichen Gründen abgewiesen werden. Aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen sei die Klage indessen nicht in der Sache abweisungsreif. Denn soweit das Berufungsgericht erkannt habe, dass der Klägerin ein Widerrufsrecht zugestanden habe, das bei Abgabe der Widerrufserklärung noch nicht verfristet gewesen sei, sei dies zutreffend. Die der Verneinung einer Verwirkung zugrunde liegende tatrichterliche Würdigung der nach § 242 BGB erheblichen Umstände könne der Senat indessen nicht vorgreifen.

Praxishinweis

Nach stRspr kann die Zulassung der Revision beschränkt werden auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs, der Gegenstand eines Teil- oder Zwischenurteils ("Teil-" bzw. "Zwischenurteilsfähigkeit") sein oder auf den der Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte. Wie die Entscheidung des BGH zeigt, muss eine solche Beschränkung der Zulassung nicht im Tenor ausgesprochen werden, sondern kann sich auch aus den Entscheidungsgründen ergeben kann. Dies ist nach der Rspr. des BGH dann der Fall, wenn sich aus der Auslegung des Tenors im Lichte der Entscheidungsgründe hinreichend "klar und eindeutig" ergibt, dass eine Beschränkung gewollt ist, was regelmäßig dann anzunehmen ist, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständig anfechtbaren Teil des Gesamtstreitstoffs stellt.

Im Hinblick auf §§ 280, 304 ZPO kann die Zulassung der Revision ohne weiteres auf die Zulässigkeit der Klage, den Anspruchsgrund oder die Anspruchshöhe beschränkt werden. Durch eine solche Beschränkung der Revisionszulassung können aber im Allgemeinen von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzungen nicht der revisionsrechtlichen Überprüfung entzogen werden. Mithin kann die Revision nicht wirksam auf die Begründetheit der Klage (unter Ausschluss deren Zulässigkeit) beschränkt werden und auch bei einer Beschränkung der Revisionszulassung etwa auf den Anspruchsgrund verbleibt es bei der revisionsgerichtlichen Überprüfung des Vorliegens der von Amts wegen zu prüfenden Prozessvoraussetzungen.

Redaktion beck-aktuell, 27. November 2017.