BGH: Keine zulässige Berufungsbegründung bei Distanzierung von Inhalt

ZPO §§ 78, 130 Nr. 6, 520 V

Eine Berufung ist nicht ordnungsgemäß durch einen Anwalt begründet, wenn dieser eine von einem Dritten entworfene Berufungsbegründung unterzeichnet, dabei jedoch durch einen distanzierenden Zusatz deutlich macht, dass er nicht die volle Verantwortung für den gesamten Inhalt des Schriftsatzes übernimmt. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 14.03.2017 - VI ZB 34/16, BeckRS 2017, 107993

Anmerkung von 
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 09/2017 vom 12.05.2017

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Sachverhalt

Der in einer Arzthaftungssache in erster Instanz unterlegene Kläger hat durch Schriftsatz seines damaligen Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt V., Berufung eingelegt. Gut einen Monat vor Ablauf der – mehrfach verlängerten – Berufungsbegründungsfrist hat der Kläger persönlich dem Berufungsgericht den selbstgefertigten Entwurf einer Berufungsbegründung vorgelegt und ein an ihn gerichtetes Schreiben von Rechtsanwalt V. übermittelt, in dem Rechtsanwalt V. ausführte, er habe die Akte und die vom Kläger entworfene Berufungsbegründung geprüft, sehe sich aber aufgrund der fehlenden Erfolgsaussichten sowie der vom Kläger erhobenen Vorwürfe einer vorsätzlichen Körperverletzung durch die Beklagten nicht in der Lage, die Berufung durchzuführen. Kurze Zeit später teilte Rechtsanwalt V. dem Berufungsgericht mit, den Kläger nicht länger zu vertreten. Etwa zwei Wochen vor Fristablauf hat der Kläger dem Berufungsgericht eine "verbesserte" Fassung seines Entwurfs einer Berufungsbegründung übersandt, wobei die von Rechtsanwalt V. beanstandeten Passagen inhaltlich unverändert geblieben sind, und als Anlage eine an ihn gerichtete Email von Rechtsanwalt V. übermittelt, in der dieser ihn erneut darauf hinwies, dass er die Berufung aufgrund der fehlenden Erfolgsaussichten und der vom Kläger erhobenen Vorwürfe einer vorsätzlichen Körperverletzung nicht durchführen werde. Am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist hat Rechtsanwalt V. eine von ihm unterzeichnete 16-seitige Berufungsbegründung eingereicht. Das Eingangsblatt mit den Anträgen sowie drei Schlusssätze hatte Rechtsanwalt V. selbst verfasst, die übrigen Seiten entstammen dem vom Kläger gefertigten Entwurf. In den von Rechtsanwalt V. gefertigten Passagen heißt es, der Kläger habe ihm mitgeteilt, dass er keinen Rechtsanwalt gefunden habe, der bereit gewesen sei, die Berufung zu begründen, und ihn aufgefordert, die Berufung zu begründen; nach Wiederaufnahme des Mandats werde namens und in Vollmacht des Klägers – und auf ausdrückliche Weisung des Klägers – der Berufungsantrag angekündigt und zur Begründung ausgeführt, was der Kläger vortragen lasse; soweit die Berufungsbegründung den Verdacht einer Straftat enthalte, handele es sich hierbei um Schlussfolgerungen aus Indizientatsachen, die ohne Anzeichen der Mutwilligkeit oder wider besseren Wissens aufgestellt würden.

Das Berufungsgericht hat die Berufung durch Beschluss gem. § 522 I ZPO verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, Rechtsanwalt V. habe sich von dem Inhalt der von ihm unterschriebenen Berufungsbegründung distanziert und damit deutlich gemacht, dass er dafür nicht die volle Verantwortung übernehme. Dies folge aus seinen einleitenden und abschließenden eigenen Anmerkungen, auch habe er die Ausführungen des Klägers in Anführungszeichen gesetzt. Insgesamt habe Rechtsanwalt V. mit der gebotenen Eindeutigkeit zu erkennen gegeben, dass er nur eine fremde Erklärung, nämlich die des Klägers, habe übermitteln wollen. Dieses Ergebnis werde bestätigt durch die mit dem Kläger zuvor geführte Korrespondenz, die dieser dem Berufungsgericht zur Kenntnis gegeben habe. Danach seien es neben der fehlenden Erfolgsaussicht insbesondere die in den Ausführungen des Klägers enthaltenen strafrechtlichen Vorwürfe gewesen, die Rechtsanwalt V. abgelehnt habe und die es ihm unmöglich gemacht hätten, die Berufung für den Kläger zu führen und die in der vorformulierten Begründung des Klägers enthaltene Behauptung aufzustellen und zu vertreten.

Entscheidung

Die hiergegen gerichtete (ohne weiteres statthafte, (§§ 522 I 4, 574 I 1 Nr. 1 ZPO) Rechtsbeschwerde des Klägers hat der BGH als unzulässig verworfen. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts sei nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 II Nr. 2 ZPO) erforderlich; insbesondere verletze der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 I GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip). Das Berufungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass auch bei der gebotenen rechtsschutzfreundlichen Auslegung von Form und Inhalt des anwaltlich unterzeichneten Begründungsschriftsatzes die Berufung nicht in zulässiger Weise begründet worden sei. Mit den Regelungen über den Anwaltszwang (§ 78 I ZPO) und über den notwendigen Inhalt einer Berufungsbegründung (§ 520 III ZPO) solle erreicht werden, dass ein mit dem Verfahren vertrauter Rechtsanwalt dem Gericht und dem Gegner den Sachverhalt unter bestimmter Bezeichnung der im Einzelnen anzuführenden Anfechtungsgründe nach persönlicher Durcharbeitung des Prozessstoffes vortrage. Die Berufungsbegründung müsse deshalb Ergebnis der geistigen Arbeit des Berufungsanwalts sein. Zwar sei der Anwalt nicht gehindert, die Berufungsbegründung von anderen Personen, etwa von einem Referendar, vorbereiten zu lassen. Erforderlich sei aber, dass der unterzeichnende Anwalt die Berufungsbegründung selbständig prüfe und aufgrund der Prüfung die volle Verantwortung für den Schriftsatz übernehme. Allerdings begnüge sich das Gesetz aus Gründen der Rechtssicherheit hinsichtlich dieser Anforderungen mit dem äußeren Merkmal der Unterschrift, ohne einen darüber hinausgehenden Nachweis zu fordern, dass der Anwalt den Prozessstoff eigenverantwortlich durchgearbeitet habe und die Verantwortung für dessen Inhalt tragen wolle (§ 520 V ZPO iVm § 130 Nr. 6 ZPO), sodass in aller Regel kein Anlass bestehe, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff tatsächlich selbst durchgearbeitet habe. Ausnahmen hiervon würden von der Rechtsprechung für zwei Fallgruppen anerkannt, nämlich zum einen, wenn der Anwalt sich durch einen Zusatz von dem unterschriebenen Schriftsatz distanziere, und zum anderen, wenn nach den Umständen außer Zweifel stehe, dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz ohne eigene Prüfung, also unbesehen, unterschrieben habe. Zur erstgenannten Fallgruppe rechneten insbesondere von Dritten entworfene Rechtsmittelbegründungen, die der Prozessbevollmächtigte nur rein formal unterzeichne, dabei jedoch durch einen Zusatz deutlich mache, dass er die volle Verantwortung für den gesamten Inhalt des Schriftsatzes ablehne. Dies trete hier, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt habe, zweifelsfrei zu tage, wobei offenbleiben könne, ob die dem Berufungsgericht vom Kläger zur Kenntnis gebrachte vorherige Korrespondenz zwischen Rechtsanwalt V. und dem Kläger ergänzend herangezogen werden könne.

Praxishinweis

Ein Rechtsanwalt wird gelegentlich in die Situation kommen, dass ihm Dinge von seinem Mandanten angesonnen werden, die er nicht verantworten zu können glaubt. Die Entscheidung zeigt deutlich, dass der hierdurch ausgelöste Konflikt jedenfalls nicht durch eine äußerliche Distanzierung gelöst werden kann.

Redaktion beck-aktuell, 17. Mai 2017.