BGH: Ende der «Maklerformel»

ZPO § 286

Die Kenntnis einer Bank von einem groben Missverhältnis zwischen Kaufpreis und Verkehrswert einer von ihr finanzierten Immobilie ergibt sich nicht aus ihrer Kenntnis von der für die Immobilie erzielten Jahresnettomiete im Wege eines auf schlichter Vervielfältigung der Nettomiete mit einem frei gegriffenen Faktor beruhenden „vereinfachten Ertragswertverfahrens“. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Urteil vom 18.10.2016 - XI ZR 145/14, BeckRS 2016, 20681

Anmerkung von 
Richter am KG Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 03/2017 vom 17.02.2017

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Sachverhalt

In einem Rechtsstreit ist ua streitig, ob eine Bank Kenntnis von einem behauptet groben Missverhältnis zwischen Kaufpreis und Verkehrswert eines von ihr finanzierten Wohnungseigentums hat. Das Berufungsgericht meint, die Bank habe diese Kenntnis gehabt. Denn die Bank habe die monatliche Bruttokaltmiete des vermieteten Sondereigentums gekannt. Sei jemand – wie die Bank– mit der Bewertung von Immobilien beruflich befasst, könne unterstellt werden, dass er das „vereinfachte Ertragswertverfahren“ (= Maklerformel) kenne. Anhand dieses Verfahrens hätte die Bank im Wege einer einfachen Überschlagsrechnung, deren Vornahme sich unter bestimmten Umständen – ua den bestehenden – aufdränge, ohne Weiteres erkennen können, dass der Ertragswert des im Streit stehenden Wohnungseigentums sich auf einen Betrag in der Größenordnung von allenfalls 67.872 EUR (404 EUR [Bruttokaltmiete] x 14 Jahre x 12 Monate) belaufen habe. Damit habe sich der Kaufpreis von 133.900 EUR in einer Größenordnung von etwa dem Doppelten des überschlägigen, anhand des Ertragswerts ermittelten Verkehrswerts bewegt.

Entscheidung

Diese Überlegung überzeugt den BGH nicht. Eine finanzierende Bank müsse schon keine Nachforschungen zu einem von ihr finanzierten Vorhaben anstellen. Sie sei daher auch nicht zur Ermittlung des exakten oder überschlägigen Ertragswerts einer Immobilie verpflichtet. Wertermittlungen, die Banken im eigenen Interesse vornehmen würden, beträfen den Beleihungswert, den die Bank kläre, um die Realisierung ihrer Ansprüche im Falle einer künftigen Zwangsvollstreckung abzuschätzen. Eine Kontrolle dieser internen Bewertung anhand der prognostizierten Erträge des Darlehensnehmers aus der finanzierten Immobilie schulde weder der Verkäufer noch die finanzierende Bank (Hinweis auf BGH NJW-RR 2008, 1436 Rn. 35).

Im Übrigen verstoße das Berufungsgericht mit dem vereinfachten Ertragswertverfahren gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Im Berufungsurteil finde sich schon keine sachliche Begründung für dieses „offensichtlich gegriffene Verfahren“. Insbes. sei völlig unklar, welche fachlichen Erkenntnisse oder anerkannten Erfahrungssätze es rechtfertigen, aus der Multiplikation einer aktuell vereinbarten Jahresnettomiete mit dem Faktor 14 auf den tatsächlichen Verkehrswert einer vermieteten Immobilie zu schließen. Ein in dieser Weise pauschalierendes Verfahren sei jedenfalls rechtsfehlerhaft. Die Multiplikation der für eine Immobilie vertraglich vereinbarten Miete mit einem frei gegriffenen Faktor sei nicht geeignet, eine Aussage zu ihrem Verkehrswert zu treffen.

Praxishinweis

Der V. Zivilsenat des BGH hatte in NJW-RR 2009, 1236 Rn. 13 ausgeführt, der auf einem „vereinfachten Ertragswertverfahren“ gründende Vortrag zum Verkehrswert einer erworbenen Immobilie entbehre nicht jeder tatsächlichen Grundlage und sei damit nicht rechtsmissbräuchlich im Sinne einer Behauptung „ins Blaue hinein“. Diese Aussage wurde zum Teil dahin (miss-)verstanden, es könne mit der Maklerformel gearbeitet und es könnten damit Feststellungen getroffen werden. Damit ist jedenfalls jetzt endlich Schluss (s. auch Bierschenk LMK 2017, 385370).

Lässt sich eine aussagekräftige Menge von Vergleichspreisen verlässlich ermitteln, wird bei der Ermittlung des Verkehrswerts eines Wohnungseigentums in der Regel die Vergleichswertmethode als die einfachste und zuverlässigste Methode angesehen (BGH NJW-RR 2008, 1436 Rn. 32). Was man insoweit vortragen muss, bleibt aber leider weiterhin unklar. Der V. Zivilsenat (BGH BeckRS 2014, 08037 Rn. 5 mAnm. Toussaint FD-ZVR 2014, 357655) meinte, es reiche grds., wenn die darlegungspflichtige Partei einen bestimmten Wert behaupte und durch Sachverständigengutachten unter Beweis stelle. Der XI. Zivilsenat verlangte (BGH BKR 2007, 21 Rn. 20) und verlangt hingegen – wie er Rn. 40 nochmals betont – die Darlegung konkreter, dem Beweis zugänglicher Angaben zu den wertbildenden Faktoren. Obwohl der V. Zivilsenat überzeugender argumentieren kann, sollte der Anwalt der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats genügen. Die Gerichte hingegen sollten dem V. Zivilsenat Gefolgschaft leisten – seine Ansicht entspricht dem normalen Beweisrecht.

Redaktion beck-aktuell, 20. Februar 2017.