BGH: Ehrverletzende Meinungsäußerung als WEG-Sache

GVG § 72 II 1; WEG § 43 Nr. 1; ZPO §§ 139 I 2, 281 I

Wird ein Wohnungseigentümer von einem anderen Wohnungseigentümer auf Unterlassung bzw. auf Widerruf von Äußerungen in Anspruch genommen, die er in der Wohnungseigentümerversammlung getätigt hat, liegt eine Streitigkeit iSv § 43 Nr. 1 WEG vor, es sei denn, ein Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer ist offensichtlich nicht gegeben. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 17.11.2016 - V ZB 73/16, BeckRS 2016, 21468

Anmerkung von 
Richter am KG Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 02/2017 vom 03.02.2017

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Sachverhalt

Wohnungseigentümer K nimmt Wohnungseigentümer B auf Unterlassung und Widerruf von Äußerungen in Anspruch, die B im Rahmen einer Wohnungseigentümerversammlung getätigt hat. Das AG weist die Klage ab. Die dagegen gerichtete Berufung verwirft das LG Stade als unzulässig, weil sie nicht bei dem nach § 72 II 1 GVG zuständigen LG Lüneburg eingelegt worden sei. Es handele sich um eine Streitsache iSd § 43 Nr. 1 WEG. Mit der Rechtsbeschwerde möchte K die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das LG Stade, hilfsweise an das LG Lüneburg erreichen. Mit Erfolg!

Entscheidung

Das LG Stade habe zu Recht seine Zuständigkeit verneint. Zuständig sei nach § 72 II 1 GVG das LG Lüneburg. Der Streit der Parteien sei eine Wohnungseigentumssache iSv § 43 Nr. 1 WEG. So liege es, wenn ein Wohnungseigentümer von einem anderen Wohnungseigentümer auf Unterlassung bzw. auf Widerruf von Äußerungen in Anspruch genommen werde, die er in einer Wohnungseigentümerversammlung getätigt habe, es sei denn, ein Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer sei offensichtlich nicht gegeben. Äußerungen eines Wohnungseigentümers in der Wohnungseigentümerversammlung stünden idR in einem Zusammenhang mit den sich aus der Wohnungseigentümergemeinschaft und den sich aus der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer. Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass es auch mal anders sei. Davon könne aber nur ausgegangen werden, wenn die Äußerung nur gelegentlich der Wohnungseigentümerversammlung getätigt werde. Ein solcher Fall liege nicht vor.

Die Entscheidung verletze jedoch deshalb K‘s Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes, weil die Berufung als unzulässig verworfen worden sei. Die Berufungsfrist werde in Ausnahmefällen auch durch Anrufung des funktionell unzuständigen Berufungsgerichts gewahrt und der Rechtsstreit könne entsprechend § 281 ZPO an das zuständige Gericht verwiesen werden. So verhalte es sich, wenn die Frage, ob eine Streitigkeit iSv § 43 Nr. 1 bis 4 und Nr. 6 WEG vorliegt, für bestimmte Fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt sei und man über deren Beantwortung mit „guten Gründen unterschiedlicher Auffassung“ sein könne. So sei es bislang bei Ehrverletzungen gewesen. Aus diesem Grunde hätte das LG Stade gem. § 139 I 2 ZPO darauf hinwirken müssen, dass K einen Antrag auf Verweisung an das zuständige LG Lüneburg in entsprechender Anwendung von § 281 ZPO stellt. Da die Rechtsbeschwerde hilfsweise die (Zurück-)Verweisung dorthin beantragt habe und ein solcher Antrag in Fällen der vorliegenden Art zulässigerweise auch noch im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellt werden könne, sei die Sache unmittelbar an das nach § 72 II 1 GVG zuständige LG Lüneburg zu verweisen.

Praxishinweis

§ 43 Nr. 1 WEG ist weit auszulegen. Ausschlaggebend ist der Umstand, ob das von einem Wohnungseigentümer in Anspruch genommene Recht oder die ihn treffende Pflicht in einem inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit steht, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer erwachsen ist. Es ist daher richtig, den Streit über eine Beleidigung zwischen Wohnungseigentümern oder eine Beleidigung zwischen einem Verwalter und einem Wohnungseigentümer als WEG-Sache anzusehen. An welchem Ort beleidigt wird, ist dabei grds. egal. Wichtig ist allein, dass der Beleidigende den anderen gerade als Wohnungseigentümer oder Verwalter treffen wollte.

Redaktion beck-aktuell, 7. Februar 2017.