BGH: Lauf der Berufungsfrist im Fall der Urteilsberichtigung

ZPO §§ 307, 319 I, 517

Die Berichtigung eines Urteils wegen offenbarer Unrichtigkeit hat grds. keinen Einfluss auf Beginn und Lauf der Rechtsmittelfrist. Anders liegt es, wenn das Urteil insgesamt nicht klar genug gewesen ist, um die Grundlage für die Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels sowie für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu bilden. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschluss vom 09.11.2016 - XII ZB 275/15, BeckRS 2016, 20405

Anmerkung von 
Richter am KG Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 01/2017 vom 20.01.2017

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Sachverhalt

Gewerberaummieterin K begehrt von Vermieterin B Rückzahlung behaupteter überzahlter Mieten. B erkennt die Klage an. Das LG erlässt indes ein Anerkenntnisurteil, nach dem K – und nicht B – verurteilt wird, an B – und nicht K – zu zahlen. Das Anerkenntnisurteil wird B’s Prozessbevollmächtigten am 17.12.2014 zugestellt. K beantragt Berichtigung, woraufhin das LG mit Beschluss vom 19.1.2015 das Urteil wegen offensichtlicher Unrichtigkeit nach § 319 ZPO dahingehend berichtigt, dass B und nicht K verurteilt ist. Der Berichtigungsbeschluss wird B‘s Prozessbevollmächtigten am 22.1.2015 zugestellt. K hat gegen das Anerkenntnisurteil (vorsorglich) Berufung eingelegt, welche sie nach Rechtskraft des Berichtigungsbeschlusses für erledigt erklärt. B hat ihrerseits mit am 20.2.2015 beim OLG eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Das OLG verwirft die Berufung als unzulässig. Die Berufsfrist (§ 517 ZPO) habe bereits am 17.12.2014 begonnen. Hiergegen richtet sich B’s Rechtsbeschwerde, die keinen Erfolg hat.

Entscheidung

Die Berichtigung eines Urteils gem. § 319 ZPO wegen offenbarer Unrichtigkeit habe grds. keinen Einfluss auf Beginn und Lauf der Rechtsmittelfrist. Gegen das berichtigte Urteil finde nur das gegen das ursprüngliche Urteil zulässige Rechtsmittel statt. Die Frist zu seiner Einlegung laufe (schon) von der Zustellung der unberichtigten Urteilsfassung an (Hinweis auf BGHZ 89, 184 [186] unter II. 1. = NJW 1984, 1041). Anders liege es nur, wenn das Urteil insgesamt nicht klar genug gewesen sei, um die Grundlage für die Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels sowie für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu bilden. Das sei etwa der Fall, wenn erst die berichtigte Entscheidung die Beschwer erkennen lässt oder ergibt, dass die Entscheidung überhaupt einem Rechtsmittel zugänglich sei. Ein solcher Fall liege nicht vor.

B’s Einlassung, das noch nicht berichtigte Anerkenntnisurteil habe keine Beschwer und insbes. nicht erkennen lassen, dass das LG bei Bezeichnung der Parteirollen ein Fehler unterlaufen sei, treffe nicht zu. Denn das Anerkenntnisurteil habe eine Verwechslung der Parteibezeichnungen aufgewiesen, welche als Schreibfehler iSd § 319 I ZPO zu qualifizieren sei. Die Verwechslung der Parteirollen sei auch offenbar gewesen. Insoweit sei es ausreichend, wenn eine Verwechslung – wie im Fall – für die Parteien des Rechtsstreits durch die Vorgänge bei Erlass und Verkündung des Urteils anhand der Prozessakte einschließlich der Sitzungsprotokolle nachvollziehbar gewesen sei. Es habe nur eine gegen B geltend gemachte Forderung iSd § 307 S. 1 ZPO gegeben, die von B habe anerkannt werden können. B habe die Unrichtigkeit auch erkannt: sie habe sich mit einer sofortigen Beschwerde gegen die Kostenentscheidung mit dem Argument gewandt, sie habe den erhobenen Anspruch sofort anerkannt.

Praxishinweis

Ein Urteil ist insgesamt etwa nicht klar genug, um die Grundlage für die Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels sowie für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu bilden, wenn erst die berichtigte Entscheidung die Beschwer erkennen lässt oder ergibt, dass die Entscheidung überhaupt einem Rechtsmittel zugänglich ist (siehe im Einzelnen BeckOK ZPO/Elzer ZPO § 319 Rn. 58 und 59, beck-online).

B hatte im Übrigen auch geltend gemacht, ihre Berufung hätte als eine Anschlussberufung (§ 524 ZPO) „gewertet“ werden können/müssen. Dies sah der BGH anders. Selbst wenn man B‘s Berufungsbegründung als Anschlussberufung hätte auslegen oder umdeuten können, hätte sie mangels Existenz einer (Haupt-)Berufung nicht mehr wirksam erhoben werden können, § 524 I 1 ZPO. Nachdem nämlich das LG das Rubrum des Anerkenntnisurteils rechtskräftig berichtigt hatte, sei K‘s Beschwer nachträglich weggefallen. In einem solchen Fall der prozessualen Überholung habe K ihr Rechtsmittel für erledigt erklären dürfen. Dadurch sei eine die Rechtsstellung der B verschlechternde Sachentscheidung über die Hauptberufung ausgeschlossen gewesen, sodass eine unterstellte Anschlussberufung analog § 524 IV ZPO ihre Wirkung verloren hätte.

Redaktion beck-aktuell, 23. Januar 2017.