BGH: Verspätete verlässliche oder vollständige Angaben zum Streitwert

EGZPO § 26 Nr. 8 S. 1

Macht ein Kläger in den Vorinstanzen keine verlässlichen oder vollständigen Angaben zum Streitwert und hat das Berufungsgericht den Streitwert daher unter Zugrundelegung der unvollständigen Angaben geschätzt, so ist der Kläger gehindert, die Annahmen, auf denen diese Streitwertfestsetzung beruht, mit neuem oder ergänzendem Vortrag in Frage zu stellen, um den Wert der Beschwer im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde zu erhöhen. Insbesondere ist er gehindert, neue Angaben zu einem Schadenumfang zu machen, wenn dieser Vortrag in den Tatsacheninstanzen keinen Niederschlag gefunden. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschluss vom 27.10.2016 - III ZR 300/15, BeckRS 2016, 19428

Anmerkung von 
Richter am KG Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 24/2016 vom 2.12.2016

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Sachverhalt

K ist seit 2004 Kommanditist an einer KG. Er zahlt 20.000 EUR zzgl. 600 EUR Agio. B war eine Zeitlang Mittelverwendungskontrolleurin der KG. K meint, ihm stünden gegen B Ansprüche zu. Das LG weist die Klage ab. Die Berufung des K hat keinen Erfolg. Gegen die Nichtzulassung der Revision legt K Nichtzulassungsbeschwerde ein. Nach Ansicht des BGH ist diese indes unzulässig. Der gemäß § 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO erforderliche Mindestbetrag der Beschwer von mehr als 20.000 EUR sei nicht erreicht.

Entscheidung

Mache ein Kläger in den Vorinstanzen keine verlässlichen oder vollständigen Angaben zum Streitwert und habe das Berufungsgericht den Streitwert unter Zugrundelegung der unvollständigen Angaben geschätzt, so sei der Kläger gehindert, die Annahmen, auf denen diese Streitwertfestsetzung beruhe, mit neuem oder ergänzendem Vortrag in Frage zu stellen. Insbes. sei er gehindert, neue Angaben zu einem Schadensumfang zu machen, wenn dieser Vortrag in den Tatsacheninstanzen keinen Niederschlag gefunden habe und deshalb auch nicht bewertungsfähiger Gegenstand eines Feststellungsbegehrens gewesen sei (Hinweis ua auf BGH BeckRS 2014, 05626 Rn. 10 und BGH NJW 2010, 681 Rn. 1).

Danach könne im Fall nicht von einem 20.000 EUR übersteigenden Wert ausgegangen werden. Die Abweisung des auf Zahlung von 14.768 EUR gerichteten Klageantrags zu 2) begründe eine Beschwer iHv 11.250 EUR. Der in dem Gesamtbetrag enthaltene, als gleichbleibender Hundertsatz eines Betrags von 10.600 EUR geltend gemachte entgangene Gewinn iHv 3.518 EUR stelle nämlich eine Nebenforderung iSd § 4 I Hs. 2 ZPO dar (Hinweis auf BGH NJW 2013, 3100 Rn. 6 ff.). Die mit den Klageanträgen zu 3) und 4) verlangten Rechtsverfolgungskosten wirkten sich als bloße Nebenforderungen auf den Streitwert und die Beschwer nicht aus. Und der auf Feststellung der Freistellungsverpflichtung gerichtete Klageantrag zu 5) sei mit 8.000 EUR zu bewerten. Nach K‘s Vorbringen in der Klageschrift beziehe sich die Freistellungsverpflichtung auf den noch nicht erbrachten Teil des Anlagebetrags iHv 10.000 EUR. Davon sei der bei positiven Feststellungsklagen übliche Abschlag von 20 % abzusetzen.

Aus geänderten Steuerbescheiden resultierende Steuernachzahlungen iHv insgesamt 7.975 EUR führten zu keiner Erhöhung der Beschwer. K habe hierzu weder in der mündlichen Verhandlung vor dem LG noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vorgetragen. Es handelt sich somit um neuen Vortrag im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren, der in den Vorinstanzen keinen Niederschlag gefunden habe und lediglich darauf abziele, die im Berufungsverfahren zugrunde gelegten tatsächlichen Voraussetzungen für die Bewertung des Freistellungsanspruchs zu ändern. Dies sei unzulässig.

Praxishinweis

Wie bereits von Toussaint (FD-ZVR 2015, 372815) berichtet, entspricht es mittlerweile stRspr, dass die Parteien im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren an ihre Angaben in den Tatsacheninstanzen zum Wert der Beschwer gebunden sein sollen und (auch) insoweit mit neuem Vortrag ausgeschlossen sind. Die Kritik daran, dass der Ausschluss in dieser Allgemeinheit mit dem Umstand unvereinbar ist, dass es sich bei der Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO um eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung handelt, bleibt bislang – und wohl auch künftig – „unverhallt“. Kann der Beschwerdegegenstand konkret bewertet werden, sollte dem Rechtsmittelführer indes nicht verwehrt werden, hierzu auch neu vorzutragen (Toussaint FD-ZVR 2015, 372815).

Redaktion beck-aktuell, 6. Dezember 2016.