OLG München: Einschränkung der Beteiligung an Bewertungsreserven durch das Lebensversicherungsreformgesetz ist verfassungsgemäß

VVG § 153 III 3; VAG § 56a; GG Art. 14; EGVVG Art. 4 I 2

Nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts München bestehen gegen die Anwendung des mit Wirkung zum 07.08.2014 in Kraft getretenen § 56a Abs. 3, 4 VAG auf Altverträge keine verfassungsmäßigen Bedenken. Zwar sei die grundsätzlich hälftige Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven des Versicherers durch die Neufassung des § 56a VAG sowie des § 153 Abs. 3 S. 3 VVG durch das am 07.08.2014 in Kraft getretene Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) eingeschränkt worden. Darin liege aber weder ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot noch ein Eingriff mit enteignender Wirkung. Darüber hinaus hat das Gericht entschieden, dass für die Höhe der Beteiligung an den Bewertungsreserven allein der Zeitpunkt der Vertragsbeendigung maßgeblich ist. Eine «Fortschreibung» früherer – nicht garantierter – Wertstandsmitteilungen auf einen späteren Stichtag komme auch vor dem Hintergrund der Gesetzesänderung durch das LVRG nicht in Betracht.

OLG München, Beschluss vom 13.01.2017 - 25 U 4117/16 (LG München II), BeckRS 2017, 103732

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 7/2017 vom 06.04.2017

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Sachverhalt

Der Kläger unterhielt bei der Beklagten seit dem Jahr 1989 bis zum 31.08.2014/01.09.2014 eine Lebensversicherung. Mit seiner Klage begehrte er zuletzt noch Zahlung von Bewertungsreserven in Höhe von 9.275,88 EUR. Der Kläger argumentiert, dass er angesichts der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 23.07.2015 mitgeteilten monatlich wachsenden Wertentwicklung der Beteiligung an den Bewertungsreserven vom 30.04.2014 bis 31.07.2014 (kurz vor Inkrafttreten des LVRG) von 6.639,91 EUR auf 9.275,88 EUR davon ausgegangen sei, dass sich ohne die Gesetzesänderung zum 01.09.2014 ein entsprechender, allenfalls gering abweichender Wert ergeben hätte. Das Landgericht München II wies die Klage ab.

Rechtliche Wertung

Das OLG München beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Der Senat halte die Klage für derzeit unschlüssig, da diese der Höhe nach nicht ausreichend substantiiert sei. Gemäß § 153 Abs. 3 S. 2 VVG komme es für die Höhe der Beteiligung nur auf den für den Zeitpunkt der Vertragsbeendigung zu ermittelnden Betrag an. Eine «Fortschreibung» früherer – nicht garantierter – Wertstandsmitteilungen auf einen späteren Stichtag komme nicht in Betracht. Nach Ansicht des Senats dürfte zwar bei vorläufiger Würdigung der Gesamtumstände die Beklagte gegebenenfalls zur Auskunft über den potentiellen Wert der Bewertungsreserve ohne die Gesetzesänderung verpflichtet sein. Diese Auskunft sei aber noch gar nicht verlangt worden.

Auf die Bedenken zur Darlegung der Höhe komme es letztlich aber nicht an. Denn der Senat halte eine Anwendung des zum 07.08.2014 in Kraft getretenen § 56a Abs. 3, 4 VAG auf Altverträge nicht für verfassungsmäßig bedenklich, sodass nicht auf eine potentielle Rechtslage abzustellen sei. Ausgehend von einer Geltung der § 153 Abs. 3 VVG, § 56a Abs. 3, 4 VAG habe der Kläger keine konkreten Rügen gegen die Berechnung erhoben. Eine Beteiligung der Versicherungsnehmer von Altverträgen an den stillen Reserven gebe es erst seit der VVG-Reform zum 01.01.2008. Durch das LVRG sei diese Beteiligung zwar wieder eingeschränkt worden. Eine Vorlage an das BVerfG zur Normenkontrolle scheide aber aus.

Zunächst liege in der Neuregelung weder eine Enteignung noch ein enteignungsgleicher Eingriff, da sie keine schon zu subjektiven Rechten erstarkten Positionen des Versicherungsnehmers betreffe. Auch sei kein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot gegeben. Vorliegend handele es sich nicht um eine «echte» Rückwirkung, sondern um eine grundsätzlich zulässige «unechte» Rückwirkung. Der Senat sehe auch im Übrigen nicht, dass der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum überschritten hätte, der ihm bei der Erfüllung der aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG folgenden Schutzpflicht auch nach dem Urteil des BVerfG vom 26.07.2005 (1 BvR 80/96, NJW 2005, 2376) zukomme. Außerdem habe die Beteiligung von Beginn an unter einem Vorbehalt bestanden, denn nach der Urfassung des § 153 Abs. 3 S. 3 VVG blieben die aufsichtsrechtlichen Regelungen zur Kapitalausstattung unberührt. Der Gesetzgeber habe ferner angesichts der lang anhaltenden Niedrigzinsphase gewichtige Interessen des Allgemeinwohls verfolgt.

Praxishinweis

Wie das OLG München hat in Bezug auf das LVRG auch das LG Hamburg entschieden, dass ein Anspruch des Versicherungsnehmers auf die ihm zuvor mitgeteilten Bewertungsreserven nicht besteht, weil diese jeweils für den Zeitpunkt der Vertragsbeendigung festzustellen sind (LG Hamburg, Urteil vom 13.01.2016 – 332 O 243/15, BeckRS 2016, 12300, bestätigt durch OLG Hamburg, Beschluss vom 04.07.2016 und 27.09.2016). Auf weitere instanzgerichtliche Urteile, die dahin gehen, dass der Versicherungsnehmer nicht die Beteiligung an den Bewertungsreserven verlangen kann, wie sie in der letzten Wertstandmitteilung vor Inkrafttreten des LVRG angegeben ist, sondern diejenige, wie sich bei Beendigung nach Inkrafttreten des LVRG ergibt, verweisen ferner Schaaf/Winkens in VersR 2016, 360, 368 u.H.a. LG Frankfurt/O. vom 02.12.2015 – 14 O 52/15; AG Bayreuth vom 09.06.2015 –102 C 63/15, rechtskräftig.

Im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des LVRG setzt sich der entscheidende Senat des OLG München eingehend und überzeugend mit den Vorgaben des Urteils des BVerfG vom 26.07.2005 (1 BvR 80/95, NJW 2005, 2376), auf welche die Neuregelung des § 153 VVG zur Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung zurückgeht, sowie mit den gesetzgeberischen Motiven zur Schaffung des LVRG auseinander.

Redaktion beck-aktuell, 7. April 2017.