Anmerkung von
Rechtsanwältin Stefanie Meyer, Ignor & Partner GbR, Berlin
Aus beck-fachdienst Strafrecht 10/2019 vom 16.05.2019
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Sachverhalt
Nach den Feststellungen des OLG ist der Angeklagte (A) vom AG zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, wogegen sich seine form- und fristgerecht eingelegte Berufung richtete. Dem für den 13.7.2018 anberaumten Hauptverhandlungstermin bleib der A unentschuldigt fern, war aber durch einen Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsanzeige vertreten. Das LG verhandelte zunächst ohne A, setzte die Hauptverhandlung dann aber aus, weil die Anwesenheit des A zur Aufklärung der Sozialprognose erforderlich sei. Ein neuer Termin, zu dem das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet wurde, sollte von Amts wegen ergehen. Zu dem neu anberaumten Hauptverhandlungstermin am 16.10.2018 sei der über die Möglichkeit der Verwerfung seiner Berufung belehrte A erneut nicht erschienen, weswegen das LG die Berufung des A verwarf.
Entscheidung
Die zulässige Revision des A hat mit der Verfahrensrüge Erfolg. Nach § 329 IV StPO verwerfe das Gericht die Berufung eines Angeklagten, wenn dieser zum Fortsetzungstermin nicht erscheine, obwohl seine Anwesenheit trotz eines Verteidigers mit schriftlicher Vertretungsvollmacht erforderlich und er über die Möglichkeit der Verwerfung belehrt sei. Diese Voraussetzungen hätten nicht vorgelegen, weil der A nicht zu einem Fortsetzungstermin, sondern zu einer neu anberaumten Hauptverhandlung nach Aussetzung nicht erschienen sei. Nach § 329 I StPO habe das Berufungsgericht bei Beginn der Hauptverhandlung zu prüfen, ob die Anwesenheit des Angeklagten erforderlich ist und ihn in diesem Fall zum Fortsetzungstermin laden und sein persönliches Erscheinen anordnen. Eine über den Wortlaut von § 329 IV StPO hinausgehende Auslegung dahingehend, dass die Verwerfung im ersten Termin einer neu anberaumten Hauptverhandlung zulässig sei, scheide vor dem Hintergrund des Ausnahmecharakters der Verwerfungsmöglichkeit aus. Das gesetzgeberische Anliegen habe – vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – darin gelegen, das Recht des Angeklagten, sich vertreten zu lassen, zu stärken.
Praxishinweis
Die Entscheidung überzeugt hinsichtlich der strengen Auslegung anhand des Wortlauts der Norm. Offen bleibt, wie in einem Fall zu verfahren ist, in dem sich – wie hier – die Erforderlichkeit der Anwesenheit später als zu Beginn der Hauptverhandlung herausstellt, etwa, ob der versäumte Teil der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten nachzuholen ist. Da es im Einzelfall schwer bestimmbar sein dürfte, für welchen Teil der Hauptverhandlung die Anwesenheit erforderlich oder nicht erforderlich ist, sprechen die besseren Argumente dafür, dass der versäumte Teil nachzuholen ist.