Anmerkung von
Rechtsanwalt Thomas Malsy, Ignor & Partner GbR, Berlin
Aus beck-fachdienst Strafrecht 25/2018 vom 20.12.2018
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Sachverhalt
Die Angeklagte (A) schuldete dem Zeugen (Z) einen Darlehensbetrag. Z sah sich in der Folge berechtigt, die Handtasche der A an sich zu nehmen und erst bei Zahlung des offenen Betrags wieder an A herauszugeben. Mit einem entsprechenden Hinweis an A nahm er ihre Handtasche aus ihrem stehenden PKW und machte sich auf den Weg zu seiner – der A bekannten – Wohnung. Nach kurzer Zeit begann A den Z mit ihrem PKW zu verfolgen. Sie fuhr Z mit Verletzungsabsicht von hinten im Bereich der Waden an, sodass dieser über die Motorhaube rutschte und neben dem Fahrzeug zum Liegen kam. Nachdem A ihre Handtasche an sich genommen hatte, entfernte sie sich in ihrem PKW. Z blieb mit Schürfwunden am linken Unterarm und am linken Oberschenkel sowie Schmerzen im Bereich der linken Hüfte und Wirbelsäule zurück. Es ließ sich nicht zweifelsfrei klären, ob die folgenlos verheilten Verletzungen auf den Anstoß mit dem Fahrzeug oder den Aufprall auf den Boden zurückzuführen sind. Das AG verurteilte A wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (zur Herbeiführung eines Unglücksfalls) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Das LG verwarf die Berufung der A als unbegründet und traf die vorstehenden Feststellungen. Es führte aus, dass A sich in Ermangelung eines gegenwärtigen Angriffs nicht auf Notwehr und wegen eines groben Missverhältnisses nicht auf den Rechtfertigungstatbestand des § 859 II BGB berufen könne. A legte Revision ein und rügte die Verletzung sachlichen und formellen Rechts.
Entscheidung: Beweglicher Gegenstand muss Verletzungen unmittelbar bewirken
Das OLG hob das Urteil des LG mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des LG. Das Urteil werde durch die getroffen Feststellungen nicht getragen. Diesen lasse sich nicht zweifelsfrei entnehmen, ob bereits durch den gezielten Anstoß mit dem Kraftfahrzeug oder erst infolge des Sturzes und des Aufpralls auf den Boden eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und/oder eine Gesundheitsschädigung eingetreten sei. Eine Verurteilung nach § 224 I Nr. 2 StGB sei nur im ersten Fall möglich, weil nur hier ein beweglicher Gegenstand die Verletzungen unmittelbar bewirke. Auf Basis der betroffenen Feststellungen könne keine Verurteilung nach § 224 I Nr. 3 StGB , § 224 I Nr. 5 StGB erfolgen, weil allein das Anfahren von hinten keine Hinterlist begründe und eine lebensbedrohliche Handlung nicht belegt sei. Schließlich komme im vorliegenden Fall eine Notwehr der A in Betracht, da die durch den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gefährdete und verletzte Person Angreifer iSd § 32 StGB sei. Der Angriff auf die Rechtsgüter der A sei noch gegenwärtig gewesen, weil A die Verfolgung nach kurzer Zeit aufgenommen habe, die Beute noch nicht endgültig durch Z gesichert gewesen sei und zudem eine andauernde Nötigungslage bestanden habe. Ein grobes Missverhältnis zwischen den angegriffenen Rechtsgütern und den Z zugefügten Verletzungen sei nicht festgestellt.
Praxishinweis
Die Entscheidung reiht sich in die Rspr. des BGH zu § 224 I Nr. 2 StGB ein. Danach erfordert eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung, dass die Körperverletzung durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eingetreten ist (bspw. BeckRS 2016, 5081). Bei diesem Tatmittel muss es sich um einen beweglichen Gegenstand handeln (BeckRS 2017, 115067). Entsprechend stellt der BGH in ständiger Rspr. für die vorliegende Fallgestaltung klar, dass bei Einsatz eines Kraftfahrzeugs als Werkzeug zur Körperverletzung die körperliche Misshandlung bereits durch den Anstoß selbst ausgelöst werden muss (BeckRS 2016, 5081 mwN). Das OLG beruft sich bei der Ablehnung von Hinterlist zu Recht auf den BGH. Nach dessen Rspr. setzt Hinterlist voraus, dass der Täter planmäßig in einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht berechneten Weise vorgeht, um dadurch dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren (bspw. BeckRS 2004, 4636). In der zitierten Entscheidung betont der BGH mit Blick auf das Anfahren des Opfers von hinten mit einem Fahrzeug, dass es für § 224 I Nr. 3 StGB nicht ausreiche, wenn der Täter lediglich das Überraschungsmoment ausnutze. Die Entscheidung des OLG zeigt, dass die erstinstanzlichen Gerichte und die Berufungsgerichte die höchstrichterliche Rspr. nicht immer ausreichend beachten. Dies eröffnet entsprechende Verteidigungsperspektiven, insb. für die Revision.