BGH: Zahlung von Schmerzensgeld allein noch kein Täter-Opfer-Ausgleich

StGB §§ 23 II, 46a, 49 I, 211

Allein die Tatsache eines im Adhäsionsverfahren geschlossenen Vergleichs zwischen Täter und Opfer – sei es persönlich oder vermittelt über ihre Anwälte – besagt nichts darüber, ob das Opfer diesen als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert hat. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Urteil vom 13.09.2018 - 5 StR 107/185 StR 107/18, BeckRS 2018, 2317623176

Anmerkung von 
Benedikt Kohn, wiss. Mit., Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 21/2018 vom 26.10.2018

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Sachverhalt

Das LG hat den A wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher und schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und die Tatwerkzeuge eingezogen. A hat sich entschlossen, den N zu töten, ohne dass das LG hierfür ein konkretes Motiv feststellen konnte. Nach „detaillierter“ Vorbereitung hat A den N am 22.2.2017 aus dessen Wohnung gelockt, sich zu dieser mit einem Zweitschlüssel Zugang verschafft und auf N gewartet. Bei dessen Rückkehr hat A den völlig überraschten N angesprochen und unmittelbar danach begonnen, mit einem Hammer auf ihn einzuschlagen. Sodann hat er N mehrere Minuten lang durch die Wohnung verfolgt, wobei er weiter mit dem Hammer auf ihn eingeschlagen und ihm mit einem „Cuttermesser“ tiefe Schnitte an Kopf, Gesicht, Hals und Händen zugefügt hat. Daraufhin ist es N gelungen, aus der Wohnung in den Hausflur vor die Tür seiner Nachbarin zu flüchten und dort „Sturm zu klingeln“. Dann hat A, der N mit erhobenem Hammer zunächst noch bis zur Wohnungstür gefolgt ist, sein Tötungsvorhaben aufgegeben, da er mit einem derart massiven Widerstand und dem Verlassen der Wohnung durch A nicht gerechnet und Angst davor gehabt hat, von der Nachbarin erkannt zu werden. N hat bei der Tat schwere, bleibende Verletzungen und starke psychische Beeinträchtigungen erlitten. Er hat weiterhin Schwierigkeiten beim Essen und Sprechen und kann seine berufliche Tätigkeit als Finanzbuchhalter auf absehbare Zeit nicht mehr ausüben. Am letzten Tag der Hauptverhandlung haben sich A und N zur Abgeltung sämtlicher materieller und immaterieller Schäden vergleichsweise darauf geeinigt, dass A sich zur Zahlung von 50.000 EUR und dazu verpflichtet, N in Raten sämtliche „künftigen bisher noch nicht vorhersehbaren materiellen und immateriellen Schäden“ zu ersetzen. Zudem hat A seinen Rückforderungsanspruch gegen die Staatskasse hinsichtlich bei ihm sichergestellter 4.000 EUR an N abgetreten, deren Freigabe durch die StA allerdings „keineswegs sicher“ ist. Das LG hat die Strafe nach §§ 46a, 49 I StGB gemildert. Die Voraussetzungen des Täter-Opfer-Ausgleichs hat es als gegeben erachtet, weil der Vergleich unter Mitwirkung des weitgehend geständigen, allerdings einen freiwilligen Rücktritt vom Tötungsversuch behauptenden A als kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer sowie als Verantwortungsübernahme durch A angesehen werden könne. Dass A einzelne Umstände der Tatbegehung beschönigt und sich nicht bei N entschuldigt habe, stehe dem nicht entgegen. A und die StA haben Revision gegen das Urteil eingelegt.

Entscheidung

Die Revision des A ist unbegründet. Die Darstellung der Erkenntnisse molekulargenetischer Untersuchungen des gesicherten Spurenmaterials genüge zwar nicht den in stRspr vom BGH gestellten Anforderungen. Der Senat schließe insbesondere im Hinblick auf das Geständnis des A sowie die durch weitere Beweismittel bestätigten Angaben des N indes ein Beruhen des Urteils darauf aus. Das LG sei ohne Rechtsfehler von einer heimtückischen Tatbegehung ausgegangen. Bei einer von langer Hand geplanten und vorbereiteten Tat könne das Heimtückische gerade in den Vorkehrungen liegen, die der Täter ergreife, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, falls sie bei der Ausführung der Tat noch fortwirkten. Auch wenn der Täter seinem ahnungslosen Opfer in dessen Wohnung auflauere, sei nicht entscheidend, ob und wann das Opfer die Gefahr erkenne.

Die Revision der StA hat hingegen Erfolg. Die Erwägungen, mit denen das LG eine Strafrahmenverschiebung nach § 46a Nr. 1 StGB vorgenommen habe, hielten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zunächst zutreffend sei das LG davon ausgegangen, dass § 46a Nr. 1 StGB Anwendung finden könne, auch wenn auf absehbare Zeit nicht mit einer über den abgetretenen Auszahlungsanspruch und die minimalen Leistungen während der Haftzeit hinausgehenden Zahlung von Schmerzensgeld zu rechnen sei. Gleiches gelte, soweit A einzelne Umstände der Tatbegehung in Bezug auf seine Motivation zum Abbruch der Tötung beschönigt habe. Denn dadurch habe er seine Verantwortung für die Tat und deren Folgen nicht in Abrede gestellt.

Es fehle jedoch vollständig an Feststellungen, aus welcher Motivation heraus N dem im Adhäsionsverfahren geschlossenen Vergleich zugestimmt habe. Allein die Tatsache einer vertraglichen Vereinbarung besage nichts darüber, ob das Opfer diese als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert habe. Den Urteilsgründen lasse sich keine friedensstiftende Akzeptanz des durch den Angriff auf sein Leben schwer gezeichneten N entnehmen. Dieser sei wegen der Tat des A unverschuldet in eine finanzielle Notlage geraten und könne bspw. auf unbestimmte Zeit seine Arbeit nicht mehr ausüben. N sei daher auf die Auszahlung des bei A sichergestellten Betrages schon allein aus rein finanziellen Gründen angewiesen. Er habe auch um die finanzielle Situation des A gewusst und deshalb nicht ernsthaft mit weiteren Zahlungen rechnen können, die als hinreichendes Schmerzensgeld in Betracht zu ziehen wären. Das LG habe sich auch nicht hinreichend mit der Frage auseinandergesetzt, ob es sich bei dem Vergleichsabschluss von Seiten des A nicht eher um ein taktisches Vorgehen in der Hoffnung auf eine milde Strafe gehandelt habe. Die während der Haftzeit zu leistenden Raten und die Abtretung des Auszahlungsanspruchs gegen die Staatskasse seien nicht geeignet, die berechtigten Schmerzensgeldansprüche des N auch nur im Ansatz zu befriedigen. Dass der über keinen Berufsabschluss verfügende A nach seiner Entlassung aus der Haft eine Arbeit finde, die ihm eine essentielle Ratenleistung ermögliche, sei nahezu ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund erweise sich der Titel weitestgehend als wertlos. Für ein taktisches Vorgehen in der Hoffnung auf eine milde Strafe spreche darüber hinaus auch der Zeitpunkt des Vertragsschlusses kurz vor Schluss der Beweisaufnahme.

Praxishinweis

Die Annahme des vertypten Strafmilderungsgrunds des § 46a Nr. 1 StGB setzt umfassende Ausgleichsbemühungen des Täters in einem kommunikativen Prozess mit dem Opfer voraus, wobei gerade bei Kapitaldelikten, bei denen ein persönliches Treffen für das Opfer in der Regel vielmehr eine Belastung darstellt, eine über Angehörige, den Verteidiger oder den Nebenklagevertreter vermittelte Vereinbarung ausreichen kann. Um jedoch zu verhindern, dass der Täter die Vergünstigung durch „ein routiniert vorgetragenes Lippenbekenntnis” erlangt und dem Tatrichter „ein versöhntes Opfer präsentiert“, sind dabei genaue Feststellungen notwendig, inwieweit seine Bemühungen friedensstiftende Wirkung hatten (vgl. BGH BeckRS 2003, 1693). So ist nicht nur entscheidend, dass es zu einer Vereinbarung mit dem Opfer hinsichtlich Zahlungen von Schmerzensgeld kommt, sondern ebenso warum: Wenn das Einverständnis des Geschädigten kein Ausdruck innerer Akzeptanz der Bemühungen des Täters ist und er stattdessen nur aus der Befürchtung heraus zustimmt, sonst keinerlei Ersatzleistungen zu erhalten, kann ein friedensstiftender Ausgleich nicht angenommen werden (vgl. BGH BeckRS 2002, 5325). Feststellungen zu dieser Frage fehlten im vorliegenden Fall.

Redaktion beck-aktuell, 26. Oktober 2018.