OLG Hamm: Volksverhetzung in sozialen Medien – Aufenthaltsort während des Postings ausschlaggebend

StGB §§ 3, 7 II Nr. 1, 9 I, 130 I

1. Ort der Tathandlung ist bei einer im Internet verbreiteten Volksverhetzung der Aufenthaltsort des Täters und weder der Ort, an dem die durch mediale Übertragung transportierte Handlung ihre Wirkung entfaltet, noch der Standort des vom Täter angewählten Servers.

2. Bei der Beurteilung von gemäß § 7 II Nr. 1 StGB nach dem Strafrecht der BRD verfolgbaren Taten muss das Gericht bei der Strafzumessung regelmäßig Rücksicht auf Art und Maß des am ausländischen Tatort geltenden Strafrechts nehmen. (von der Verfasserin bearbeitete Leitsätze des Gerichts)

OLG Hamm, Beschluss vom 01.03.2018 - 1 RVs 12/18, BeckRS 2018, 15776

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Dr. Astrid Lilie-Hutz, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 15/2018 vom 02.08.2018

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Sachverhalt

Der Angeklagte (A) hat unter Verwendung seines Facebook-Profils im Internet für jedermann einsehbar folgenden Text unter Nennung seines Namens veröffentlicht: „Wenn man für jeden von den Zionisten ermordeten Palästinenser 10 Juden töten würde, hätte sich das Nahostproblem schon lange erledigt und die Völker der Welt wären glücklich …“. A hat sich insbesondere dahingehend eingelassen und ein Zeuge hat das bestätigt, dass A sich am Tattag in den Niederlanden aufgehalten habe. Das AG hat A wegen Volksverhetzung sowie wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Dieses Urteil hat das LG auf die hiergegen gerichtete Berufung des A unter Verwerfung der Berufung im Übrigen dahingehend abgeändert, dass A wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung wiederum zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Gegen das Urteil des LG wendet sich der A mit der Revision.

Rechtliche Würdigung

Die Revision des A ist zulässig und hat im Hinblick auf den Rechtsfolgenausspruch vorläufig Erfolg. Im Übrigen sei die Revision offensichtlich unbegründet, § 349 II StPO. Im Umfang der Aufhebung sei die Sache nach § 354 II StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des LG zurückzuverweisen. Hinsichtlich des Schuldspruchs bedürfe lediglich die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts näherer Begründung, da sich dem Urteil keine konkrete Feststellung dazu entnehmen lasse. Für die Kammer sei ersichtlich unerheblich gewesen, ob sich A bei Begehung der Tat im Bundesgebiet aufgehalten habe und dann unproblematisch nach deutschem Recht abzuurteilen gewesen wäre oder ob er sich in den Niederlanden befunden habe. Ort der Tathandlung sei der Aufenthaltsort des Täters und weder der Ort, an dem die durch mediale Übertragung transportierte Handlung ihre Wirkung entfalte, noch der Standort des vom Täter angewählten Servers. Sollte sich A in den Niederlanden aufgehalten haben, folge die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nicht bereits aus §§ 3 iVm 9 I StGB. Denn in Abgrenzung zum Urteil des BGH vom 12.12.2000 (BeckRS 2001, 125), nach dem bei der Volksverhetzung gemäß § 130 I, III StGB ein Taterfolg iSv § 9 StGB auch dort eingetreten sei, wo die Tat ihre Gefährlichkeit entfalten konnte, umschreibe nach der neueren Rechtsprechung des BGH das Merkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens iSv § 130 I, III StGB, das zur Einstufung der Vorschrift als einem potentiellen, abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikt führe, gerade keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg. Eine diesbezügliche Inlandstat könne nicht über die dritte oder vierte Alternative des § 9 I StGB begründet werden. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts folge für den Fall, dass A sich in den Niederlanden aufgehalten habe, aber aus § 7 II Nr. 1 StGB, da A Deutscher sei und die Tat am in dieser Konstellation anzunehmenden Tatort mit Strafe bedroht gewesen sei. Denn nach Art. 137d I des Niederländischen StGB werde auch in den Niederlanden mit Geldstrafe oder Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr bestraft, wer in der Öffentlichkeit mündlich oder durch eine Schrift oder Abbildung zum Hass gegen oder zur Diskrimination von Menschen oder zum gewalttätigen Auftreten gegen Menschen oder ihren Besitz insbesondere wegen ihrer Religion antreibe. Ferner werde nach Art. 137e I des Niederländischen StGB mit Geldstrafe oder Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten bestraft, wer mit einem anderem als dem Ziel sachlicher Berichterstattung eine Äußerung veröffentliche, die, wie er weiß oder vernünftigerweise annehmen muss, für eine Gruppe von Menschen insbesondere wegen ihrer Religion beleidigend ist oder zum Hass gegen oder zur Diskrimination von Menschen oder zum gewalttätigen Auftreten gegen Menschen oder ihren Besitz insbesondere wegen ihrer Religion antreibe. Die Anwendung deutschen Strafrechts sei somit unabhängig davon zu bejahen, ob A sich – was das LG letztlich offen gelassen habe – bei Begehung der Tat in der BRD oder in den Niederlanden aufgehalten habe. Der Aufhebung unterliege hingegen der Strafausspruch. Denn die Kammer habe ohne nähere Ausführungen den Strafrahmen des § 130 I StGB zur Anwendung gebracht und dabei nicht in den Blick genommen, dass das Recht am möglicherweise anzunehmenden – bzw. bislang nicht ausgeschlossenen – niederländischen Tatort in Art. 137d I des Niederländischen StGB einen milderen Strafrahmen vorsehe. Zwar stelle sich die Anwendung des deutschen Strafrechts auch im Fall des § 7 II Nr. 1 StGB als originäre Aufgabe der deutschen Gerichte und Strafverfolgungsbehörden und nicht etwa als – stellvertretend wahrgenommene – Aufgabe der Tatortgerichte dar. Gleichwohl könne das Tatortrecht bei der Beurteilung von gemäß § 7 II Nr. 1 StGB nach dem Strafrecht der BRD verfolgbaren Taten grundsätzlich zugunsten des Täters berücksichtigt werden. Insbesondere müsse das Tatgericht bei der Strafzumessung regelmäßig Rücksicht auf Art und Maß des Tatortrechts nehmen. Dies habe das LG nicht erkennbar bedacht. Der Senat könne auch nicht ausschließen, dass die Kammer bei der gebotenen Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze und insbesondere der nach dem niederländischen Strafrecht maßgeblichen Strafobergrenze von einem Jahr Gefängnisstrafe zu einer niedrigeren als der tatsächlich verhängten siebenmonatigen Freiheitsstrafe gelangt wäre. Somit sei das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache insofern zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des LG zurückzuverweisen gewesen, die auch über die Kosten der Revision zu befinden habe. Die zum Strafausspruch getroffenen Feststellungen würden von dem vorgenannten Rechtsfehler nicht betroffen und könnten deshalb bestehen bleiben. Für das weitere Verfahren weise der Senat klarstellend darauf hin, dass ergänzende Feststellungen zu der bislang ungeklärten Frage möglich seien, ob sich A bei der Begehung der Tat in der BRD oder in den Niederlanden aufgehalten habe.

Praxishinweis

Das OLG setzt die Rechtsprechung des BGH (BeckRS 2014, 21651) zur Bestimmung des Tatortes iSd Vorschrift des § 9 I StGB bei der Begehung eines abstrakten Gefährdungsdelikts unter Zuhilfenahme des Internets konsequent fort. Der BGH hatte in einer vielbeachteten Entscheidung festgestellt, dass eine Strafbarkeit nur dann gegeben sei, wenn sich diese anhand des Aufenthaltsortes des Täters begründen lasse, von dem aus ein „Posting“ ins Internet gestellt werde. Denn bei aktivem Tun werde der Handlungsort durch den Aufenthaltsort bestimmt. Dem hat sich nun auch das OLG angeschlossen und damit der ausufernden Auslegung des Tatortbegriffs iSd Norm des § 9 I StGB eine Absage erteilt. Im vorliegenden Fall kann zwar ggf. eine Anwendbarkeit deutschen Strafrechts über die Vorschrift des § 7 II Nr. 2 StGB erreicht werden, da die Volksverhetzung in den Niederlanden ebenfalls mit Strafe bedroht ist. Dies ist aber nicht in jedem ausländischen Staat gegeben, sodass die Strafbarkeit nach ausländischen Recht stets im Detail geprüft werden muss. In anderen Fällen kann dies bedeuten, dass deutsches Strafrecht nicht anwendbar ist und der Betroffene sich somit nicht strafbar gemacht hat.

Redaktion beck-aktuell, 3. August 2018.