OLG Rostock: «A.C.A.B.» unterfällt dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit

GG Art. 5 I 1, II; OWiG § 118; StGB §§ 125 I, 185, 194 I 1

Aufhängen eines Banners mit dem Schriftzug A.C.A.B. (all cops are bastards) am Tribünenrand des Stadiums in Anwesenheit von Polizeivollzugsbeamten während eines Fußballspiels ist straflose Kollektivbeleidigung und unterfällt auch nicht dem Tatbestand des § 118 OWiG. (Leitsatz des Gerichts)

OLG Rostock, Beschluss vom 12.02.2018 - 21 Ss OWi 200/17 (Z), BeckRS 2018, 1285

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Christian Rathgeber, Mag. rer. publ., Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 05/2018 vom 08.03.2018

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Sachverhalt

Das AG hat den Betroffenen (B) wegen vorsätzlicher Belästigung der Allgemeinheit zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt, weil dieser mit den gesondert verfolgten G und E auf der Südtribüne des Stadions ein ca. 2 x 2 m großes Banner aufgehängt hat. Auf dem Banner mit hellem Untergrund sind zwei Polizeibeamte im grünen Dienstoverall zu sehen, die gemeinsam auf einer auf dem Bauch liegenden männlichen Person knien, deren Arme auf dem Rücken verschränkt sind. Mittig auf dem Transparent ist gut lesbar die Abkürzung „A.C.A.B.“ in weißer Schrift aufgebracht. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde rügt B die Verletzung materiellen Rechts.

Rechtliche Wertung

Die zur Fortbildung des Rechts zugelassene Rechtsbeschwerde sei zulässig und auch begründet. Bloße Meinungsäußerungen, die – wie hier – in den Schutzbereich des Art. 5 I GG fallen, könnten nicht nach § 118 I OWiG geahndet werden. § 118 I OWiG sei bei verfassungskonform einschränkender Auslegung kein Gesetz im Sinne von Art. 5 II GG, das eine Beschränkung der Meinungsfreiheit zulasse. Diese Bußgeldnorm könne deshalb nicht als Auffangtatbestand für abfällige Äußerungen herhalten, die keinen Straftatbestand erfüllten. Das Aufhängen des Banners falle in den Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG. Meinungen seien im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch die subjektive Einstellung des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung gekennzeichnet. Sie enthielten ein Urteil über Sachverhalte, Ideen oder Personen. Sie genössen den Schutz der Meinungsfreiheit, ohne dass es darauf ankomme, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werde. Das AG sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Aufdruck „A.C.A.B.“ für die englische Parole „all cops are bastards“ stehe. Mit dem Banner und dem darauf wiedergegebenen Bild habe B, den die Polizei nach den Feststellungen des AG der gewaltbereiten Rostocker Fußballszene zurechne, seine feindselige Haltung ggü. den Beamten bekunden wollen. Diese Parole sei nicht von vornherein offensichtlich inhaltslos, sondern bringe noch eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis ggü. der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck. § 118 OWiG sei kein allgemeines Gesetz, das gemäß Art. 5 II GG der freien Meinungsäußerung Schranken setzen könne. Zur Abwehr von kommunikativen Angriffen auf Schutzgüter der Verfassung habe der Gesetzgeber besondere Strafrechtsnormen geschaffen. Die darin vorgesehenen Beschränkungen von Meinungsäußerungen seien dort abschließend geregelt. Der Gesetzgeber habe durch die enge Fassung der Straftatbestände zum Ausdruck gebracht, im Übrigen keinen Vorrang des Rechtsgüterschutzes ggü. der Meinungsäußerung anzuerkennen. Eine gemäß § 185 StGB straflose Kollektivbeleidigung, die in den Geltungsbereich des Art. 5 I 1 GG falle, könne daher entgegen der Auffassung des AG auch nicht nach § 118 OWiG geahndet werden. Der Senat habe nicht übersehen, dass das Bußgeldverfahren auch im Rechtsbeschwerdeverfahren noch in ein Strafverfahren übergeleitet werden könne, wobei das Verschlechterungsverbot dann nur noch eine Berichtigung des Schuldspruchs zuließe. Eine Strafbarkeit des B nach § 185 I StGB wegen Beleidigung komme vorliegend jedoch schon deshalb nicht in Betracht, weil der Akte nicht zu entnehmen sei, dass der dafür gemäß § 194 I 1 StGB erforderliche Strafantrag gestellt worden sei. Die Antragsfrist sei abgelaufen. Unabhängig davon gehe das AG zu Recht davon aus, dass seine Feststellungen eine Verurteilung wegen Beleidigung nicht trügen. Entgegen der Auffassung der GenStA wäre selbst dann noch von einer straflosen Kollektivbeleidigung auszugehen, wenn B tatsächlich mit dem Banner nur die im Stadion anwesenden Polizeibeamten habe ansprechen wollen. Denn die bloße Präsentation des Banners im Stadion im Bewusstsein, dass die Polizei vor Ort sei, genüge den verfassungsrechtlichen Vorgaben an eine Individualisierung gegen bestimmte Beamte nicht. Zu denken wäre noch an eine Strafbarkeit gemäß § 125 I StGB wegen aufwieglerischen Landfriedensbruchs. Danach werde auch derjenige bestraft, der auf eine Menschenmenge einwirke, um ihre Bereitschaft zu fördern, sich als Täter oder Teilnehmer an Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Bedrohungen von Menschen mit Gewalttätigkeiten, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, zu beteiligen. Eine solche Einwirkung auf eine Menschenmenge könne auch durch das Zeigen von Parolen auf Spruchbändern erfolgen. Vorliegend liege eine solche Absicht des B nicht völlig fern. Die Polizei rechne ihn der gewaltbereiten Rostocker Fußballszene zu. B habe zum Befestigen des Banners das Klebeband der „Subtras“ befestigt und sich in vorderster Reihe des Fanblocks aufgehalten, was auf seine Rädelsführerschaft innerhalb dieser Gruppierung hindeuten könnte. Gerichtsbekannt sei die Fußballszene der sogenannten „Subtras“ sehr gewaltbereit und habe sich im Umfeld von Heim- und Auswärtsspielen des Vereins bereits wiederholt heftige verbale und tätliche Auseinandersetzungen mit der Polizei geleistet und die eingesetzten Beamten dabei jedenfalls zum Teil auch gezielt provoziert. Indes reichten die bislang getroffenen Feststellungen für eine Verurteilung des B wegen Landfriedensbruchs nicht aus. Es sei unwahrscheinlich, dass diese zumindest in subjektiver Hinsicht in vorliegender Sache noch mit der erforderlichen Sicherheit getroffenen werden könnten. Für künftige vergleichbare Fälle könnte es sich indes anbieten, den Strukturen und Zielen der „Subtras“ und der Zugehörigkeit und jeweiligen Funktion von Einzelpersonen innerhalb dieser Gruppierung iRv präventiven und strafprozessualen Strukturermittlungen vorausschauend durch die gezielte Erhebung und Sammlung gerichtsverwertbarer Erkenntnisse verstärkt nachzugehen und dabei besonderes Augenmerk darauf zu richten, ob es im Umfeld von Fußballspielen des Vereins zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kommt, die nach Art, Umfang und Ausführung sowie Ausstattung der daran teilnehmenden „Fans“ (z.B. Vermummung, einheitliche Kleidung, Kleiderwechsel, Bewaffnung, Mitführung von Pyrotechnik etc.) den Schluss zulassen, dass diese Konfrontation mit den eingesetzten Ordnungskräften nicht spontan erfolgte, sondern geplant, vorbereitet und dann gezielt gesucht wurde, und ob gerade im unmittelbaren Vorfeld solcher Tumulte durch das Zeigen von Bannern wie im vorliegenden Fall berechtigter Grund zu der Annahme besteht, dass damit auch zum gewalttätigen Vorgehen gegen die Polizei aufgerufen werden sollte. B sei nach unter Aufhebung des angefochtenen Urteils durch das Rechtsbeschwerdegericht freizusprechen (§ 79 VI OWiG).

Praxishinweis

Das Akronym „A.C.A.B.“ beschäftigt – wenn man allein die Anzahl gerichtlicher Entscheidungen berücksichtigt – regelmäßig die Justiz. Trotz zweier Beschlüsse des BVerfG aus dem Jahr 2016 (BeckRS 2016, 47560 und BeckRS 2016, 47561) bleibt die rechtliche Wertung im Einzelfall schwierig. „Knackpunkt“ der Strafbarkeit wegen Kollektivbeleidigung bleibt demnach die sog. Individualisierung. Knapp stellt das OLG vorliegend erneut fest, dass die reine Präsentation des Schriftzugs in Anwesenheit von Polizeibeamten hierzu gerade nicht genügen soll. Nach der vom BVerfG entwickelten Differenzierung wäre dies anders zu bewerten gewesen, wenn der Täter sich bewusst in die Nähe der Einsatzkräfte begeben hätte, um sie mit seiner Äußerung zu konfrontieren, etwa in Form eines „ostentativen“ und „nachgerade paradierenden“ Zur-Schau-Stellens des fraglichen Akronyms (BeckRS 2017, 116322). Aus Sicht der Praxis, wo Ehrschutzdelikte ohnehin häufig im Wege der Opportunität erledigt werden, erscheint die Hinwendung des OLG zum „Hebel“ des sog. aufwieglerischen Landfriedensbruch (§ 125 I (3) StGB) spannend. Indes tut sich dabei gleich das nächste Problem auf, nämlich der (sehr schwierige) Nachweis einer entsprechenden Absicht. Dass das OLG dazu – auch – auf den sozialen Hintergrund des Täters abstellt, lässt weitere interessante Entscheidungen zu dieser Thematik erwarten.

Redaktion beck-aktuell, 13. März 2018.