LG Münster: Verwendungsverbot gilt auch für Angaben gegenüber dem Insolvenzgutachter

StPO § 304; InsO § 97 I 1 und 2

Aus der Regelung des § 97 I InsO folgt, dass die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen wie zB eine Durchsuchung oder Beschlagnahme nicht auf einen Verdacht gestützt werden kann, der sich auf Auskünfte des Schuldners gründet, die aufgrund des dort geregelten Offenbarungszwangs erlangt wurden. (Leitsatz des Verfassers)

LG Münster, Beschluss vom 31.08.2017 - 12 Qs-45 Js 916/16-25/17, BeckRS 2017, 135700

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Christian Rathgeber, Mag. rer. publ., Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 01/2018 vom 11.01.2018

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Sachverhalt

Die StA führt gegen den Beschuldigten (B) ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Bankrotts. Grundlage der Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens waren im Wesentlichen der Insolvenzantrag des B sowie Teile des Berichts des im Insolvenzverfahren eingesetzten Gutachters, der insbesondere auf Angaben des B zu der von ihm als Geschäftsführer geleiteten B UG beruhten. Auf Antrag der StA ordnete das AG ua die Durchsuchung der Wohnung des B an. Das AG bestätigte später die Beschlagnahme bei der Durchsuchung sichergestellter Gegenstände. B legte gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss Beschwerde ein und verlangte die Herausgabe der bei der Durchsuchung sichergestellten Gegenstände. Das AG hat der Beschwerde ausweislich der Verfügung vom 24.7.2017 nicht abgeholfen.

Rechtliche Wertung

Die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung sei gem. § 304 StPO zulässig. Dem stehe nicht entgegen, dass die Durchsuchung bereits vollzogen sei und deshalb aus tatsächlichen Gründen nicht mehr ungeschehen gemacht werden könne. Grundsätzlich dienten Rechtsbehelfe zwar der Beseitigung einer gegenwärtigen, fortdauernden Beschwer. Nach der Rechtsprechung des BVerfG sei aber in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe eine Beschwerde auch dann zulässig, wenn sich die Belastung durch die Maßnahme nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren nicht erlangen könne. Ein solcher Fall eines tiefgreifenden, aber bereits abgeschlossenen Grundrechtseingriffs liege insbesondere bei einer bereits vollzogenen Durchsuchung vor. Hier sei trotz der prozessualen Überholung eine Beschwerde nicht unzulässig, sondern es sei die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme zu überprüfen und ggf. festzustellen. Erforderlich für den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses sei das Vorliegen eines konkreten Anfangsverdachts. Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genüge der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden sei und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht komme. Daran habe es hier gefehlt. Zwar dürften sich tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht, dass B – über sein im Insolvenzverfahren angegebenes, nicht pfändbares Gehalt hinaus – weiteres Einkommen aus Provisionen des Autohauses M erzielt habe, aus den Angaben ergeben, die er in seinem Insolvenzantrag und ggü. dem vom Insolvenzgericht bestellten Gutachter getätigt habe. Auf diese Angaben könne ein Anfangsverdacht aus rechtlichen Gründen jedoch nicht gestützt werden. Gemäß § 97 I 1 InsO sei der Schuldner verpflichtet, dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem Gläubigerausschuss und auf Anordnung des Gerichts der Gläubigerversammlung über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu geben. Dabei habe er auch Tatsachen zu offenbaren, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen. Jedoch dürfe eine Auskunft, die der Schuldner gemäß seiner Verpflichtung nach § 97 I 1 InsO erteilt, ua in einem Strafverfahren gegen den Schuldner nur mit seiner Zustimmung verwendet werden (§ 97 I 3 InsO). Aus der Regelung des § 97 I InsO folge, dass die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen wie zB eine Durchsuchung oder Beschlagnahme nicht auf einen Verdacht gestützt werden könne, der sich auf Auskünfte des Schuldners gründe, die aufgrund des dort geregelten Offenbarungszwangs erlangt worden seien. Vorliegend habe B entsprechend seiner Verpflichtung aus § 97 I 1 InsO im Insolvenzantrag Angaben hinsichtlich seines Beschäftigungsverhältnisses gemacht. Auch seine Auskünfte zur B UG, insbes. zu deren Einkommensquelle und seinen eigenen umfassenden Kompetenzen als Geschäftsführer, seien ggü. dem Gutachter im Insolvenzverfahren erfolgt. Der Gutachter sei zwar in § 97 I 1 InsO nicht genannt, sodass grds. ihm ggü. keine Auskunftspflicht bestehe. Hier habe allerdings das Insolvenzgericht in seinem Beschluss vom 17.6.2016 dem B ausdrücklich aufgegeben, dem Gutachter „alle Auskünfte zu erteilen, die zur Aufklärung der schuldnerischen Einkommens- und Vermögensverhältnisse erforderlich“ seien. Für den Fall der Missachtung dieser Pflicht habe es dem B die Zwangsmaßnahmen angedroht, die bei einem Verstoß gegen die Pflicht des § 97 I 1 InsO Anwendung finden. B habe danach davon ausgehen müssen, dass er dem Gutachter ebenso wie unmittelbar dem Insolvenzgericht oder dem Insolvenzverwalter (auch dem vorläufigen, vgl. § 22 II 3 InsO) auskunftspflichtig war. Vor diesem Hintergrund finde § 97 I 3 InsO, der den Schuldner davor schützten soll, durch den Offenbarungszwang des § 97 I 1, 2 InsO in einem Strafverfahren zu einem Beweismittel gegen sich selbst zu werden, nach Auffassung der Kammer jedenfalls entsprechende Anwendung. Die og Angaben des B im Insolvenzverfahren unterfielen damit dem Verwendungsverbot des § 97 I 3 InsO, sodass sie nicht – wie hier geschehen – zur Begründung eines Anfangsverdachts herangezogen werden könnten. Auch eine Zustimmung des B zur Verwertung seiner Auskünfte iSd § 97 I 3 InsO sei nicht ersichtlich. Es sei schließlich nach Aktenlage nicht feststellbar, dass der Ermittlungsrichter auch ohne die Verwertung der Angaben des B im Insolvenzverfahren – etwa aufgrund der auch für das Strafverfahren zulässigen Auswertung von Geschäftsunterlagen wie Handelsbüchern und Bilanzen – einen Anfangsverdacht des Bankrotts hätte bejahen können, sodass der Durchsuchungsbeschluss auch nicht mit einer alternativen Begründung aufrechterhalten werden könne. Die Beschlagnahme der bei der Durchsuchung sichergestellten Gegenstände sowie der sie bestätigende Beschluss vom 4.4.2017 seien auf die Beschwerde des B aufzuheben gewesen. Aus den og Gründen fehle es an dem auch für die Beschlagnahme erforderlichen Anfangsverdacht gegen ihn, zumal dieser auch nicht anderweit begründbar gewesen sei. Insofern seien die beschlagnahmten Gegenstände als Folge des hier nicht beachteten Verbotes des Zwangs zur Selbstbelastung, wie es in § 97 I 3 InsO normiert sei, wieder auszuhändigen.

Praxishinweis

Mit der vorliegenden Entscheidung hat das LG Münster den nemo-tenetur-Grundsatz und damit die Rechte des Beschuldigten gestärkt. Denn die Reichweite des § 97 I 3 InsO erscheint zumindest unklar (vgl. Dannecker/Knierim/Hagemeier, Insolvenzstrafrecht, Rn. 173 ff.). Relevant wird das Verwendungsverbot va im Hinblick auf Durchsuchung und Beschlagnahme von Unterlagen beim Insolvenzverwalter. Auch wenn hieraus kein allgemeines Beschlagnahme- oder Durchsuchungsverbot ergeben soll (vgl. LG Ulm BeckRS 9998, 36476), ist die Entscheidung und ihre Begründung aus Verteidigersicht zu begrüßen und bietet Argumentationspotential.

Redaktion beck-aktuell, 16. Januar 2018.