KG: Unscharfes, kontrastarmes und grob gekörntes Messfoto zur Identifizierung regelmäßig ungeeignet

StVO §§ 41 I, 49 III Nr. 4; StVG § 25; OWiG §§ 71, 79 III 1 und VI; StPO §§ 261, 267 I 3, 353 I und II; BKatV § 3 IVa

Ein sehr unscharfes, kontrastarmes und grob gekörntes Messfoto, das die – zudem teilweise verdeckten – Gesichtskonturen des Fahrers kaum erkennen lässt, ist in der Regel nicht als Grundlage geeignet, den Betroffenen zu identifizieren. (Leitsatz des Gerichts)

KG, Beschluss vom 01.08.2017 - 3 Ws (B) 158/17- 162 Ss 88/17, BeckRS 2017, 124868

Anmerkung von
Rechtsanwalt Björn Krug, Fachanwalt für Strafrecht und Steuerrecht, Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 19/2017 vom 28.09.2017

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Sachverhalt

Das AG hat B wegen einer vorsätzlich begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit (Geschwindigkeitsüberschreitung) zu einer Geldbuße von 360 EUR verurteilt, gegen ihn gemäß § 25 StVG ein einmonatiges Fahrverbot verhängt und eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Zur Beweiswürdigung, soweit sie sich auf die Fahrereigenschaft des B bezieht, hat das AG Folgendes ausgeführt: „Der Betroffene macht zu seiner Fahrereigenschaft keine Angaben. Die Inaugenscheinnahme des Fotos auf Bl. 2 und 4 der Akte im Termin ergab eindeutig, dass der Betroffene die Person ist, die das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … am Tattag zur Tatzeit am Tatort geführt hat. Die markante schmale Mundpartie, die etwas abstehenden Ohren und das Kinn ließen sich zweifelsfrei dem Betroffenen zuordnen. Auf die beiden im Termin in Augenschein genommenen Lichtbilder Bl. 2 und 4 der Akte wird gem. § 71 I OWiG iVm § 267 I 3 StPO wegen der Einzelheiten verwiesen.“ Gegen dieses Urteil hat B Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Verteidigerschriftsatz rechtzeitig begründet. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die GenStA hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Rechtliche Wertung

Die zulässige Rechtsbeschwerde dringt mit der Sachrüge durch.

Die Urteilsgründe trügen die Feststellung der Fahrereigenschaft des B nicht. Die Feststellung, ob eine auf einem Foto abgebildete Person mit dem B identisch ist, unterliege zwar im Prinzip nicht der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Die Beweiswürdigung sei grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Gericht entscheide über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung (§ 261 StPO iVm § 71 I OWiG). Der Tatrichter habe ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht. Dem Gericht seien aber bei der freien Beweiswürdigung Grenzen gesetzt: Es dürfe seine Befugnis nicht willkürlich ausüben und müsse die Beweise erschöpfend würdigen; es müsse gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse, die Gesetze der Logik und Erfahrungssätze des täglichen Lebens beachten. Die gelte auch im Hinblick auf die Identifizierung eines Betroffenen anhand eines Lichtbildes. So lasse etwa ein sehr unscharfes Foto oder ein Foto, auf dem das Gesicht nicht oder nur zu einem geringen Teil abgebildet ist, eine Identifizierung durch bloßen Vergleich mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen nach den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens regelmäßig nicht zu. Je nach Qualität und Inhalt des Bildes könnten sich ein Vergleich mit dem persönlich anwesenden Betroffenen und der Schluss auf seine Täterschaft von vornherein als schlechterdings unmöglich und willkürlich erweisen. Sehe der Tatrichter den Betroffenen gleichwohl aufgrund des Lichtbildes als überführt an, so leide das Urteil an einem Rechtsfehler, der im Rechtsbeschwerdeverfahren mit der Sachrüge beanstandet werden kann. Dabei könne das Rechtsbeschwerdegericht aus eigener Anschauung prüfen, ob sich ein in Bezug genommenes Foto überhaupt zur Identifizierung eigne. Bestünden danach Zweifel an der Eignung eines qualitativ schlechten Bildes zur Identifikation des Betroffenen, so müssten die Urteilsgründe aufzeigen, warum dem Tatrichter die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint. Dabei seien umso höhere Anforderungen an die Begründung zu stellen, je schlechter die Qualität des Fotos ist. Die auf dem Foto erkennbaren charakteristischen Merkmale, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, seien zu benennen und zu beschreiben. Die Gründe des angefochtenen Urteils würden diesen Anforderungen nicht gerecht. Weil das AG auf die in der Akte befindlichen Messfotos gemäß § 267 I 3 StPO iVm § 71 I OWiG Bezug genommen habe, könne der Senat aus eigener Anschauung die zum Inhalt der Urteilsurkunde gemachten Lichtbilder würdigen und beurteilen, ob diese überhaupt zur Identifizierung geeignet sind und, sofern Zweifel an der Eignung bestehen, ob das Tatgericht zutreffend die Identität des Betroffenen mit der auf dem Lichtbild abgebildeten Person festgestellt hat. Die in Bezug genommenen Lichtbilder wiesen eine sehr schlechte Qualität auf. Das Lichtbild Bl. 4 der Akte stelle eine Ausschnittvergrößerung des Lichtbildes Bl. 2 der Akte dar. Die Abbildungen seien sehr unscharf und kontrastarm. Auch auf der Ausschnittvergrößerung seien nur flache und kaum erkennbare Gesichtskonturen abgebildet. Die Körnung der Aufnahme sei grob und die Stirnpartie der abgebildeten Person durch eine Spiegelung auf der Windschutzscheibe teilweise verdeckt. Die Erwägungen des AG, weshalb es dennoch von der Fahrereigenschaft des B ausgegangen ist, erschöpften sich in der allgemein gehaltenen Benennung von Merkmalen des B, die auf den vorgenannten Lichtbildern nicht erkennbar sind. Dies gelte zunächst, soweit das AG auf eine „markante schmale Mundpartie“ abstellt. Die Mundpartie ist auch auf der Ausschnittvergrößerung nur schemenhaft und die Form der Lippen ist nicht erkennbar. Auch die Einschätzung des AG, der B könne anhand der „etwas abstehenden Ohren“ wiedererkannt werden, ist nicht nachvollziehbar. Das rechte Ohr der abgebildeten Person ist selbst in der Vergrößerung nur als konturloser heller Fleck sichtbar. Weshalb das AG, ohne dies näher zu begründen, zwischen der Kinnpartie der abgebildeten Person und dem Betroffenen eine Übereinstimmung erkannt haben will, werde in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt und sei auch ansonsten nicht ersichtlich. Das angefochtene Urteil konnte danach keinen Bestand haben.

Praxishinweis

Unscharfe oder schlecht belichtete Fotos, gern kombiniert mit verdeckten Gesichtsteilen oder Spiegelungen, sind ein beliebter Angriffspunkt bei der Verteidigung wegen des Vorwurfs einer Verkehrswidrigkeit. Allzu oft lassen Amtsgerichte auch bei extrem schlechten Aufnahmen schnell durchblicken, sie seien von der Täterschaft des Betroffenen überzeugt. Hinweise bzw. Anträge auf mögliche oder gar vorliegende anthropologische Gutachten werden dann ignoriert und mit einem Verweis auf Bilder der Verfahrensakte wird ein Urteil begründet. Dieser Verweis führt indes zu einer Überprüfbarkeit der Bilder durch das Revisionsgericht (vgl. BGH NJW 1996, 1420). Sind die Bilder dann so schlecht, dass eine Identifizierung anhand charakteristischer, im Urteil beschriebener Merkmale offenkundig unmöglich ist, kann dieses keinen Bestand haben. Diese Folge ließe sich mit mehr Sorgfalt und einer an dem Grundsatz „in dubio pro reo“ ausgerichteten Entscheidungspraxis der Gerichte sicher vermeiden. Bis dahin sollten Verteidiger entsprechende Entscheidungen gründlich prüfen, denn die notwendige Sachrüge erfordert denkbar wenig Aufwand bei möglicherweise hohem Ertrag.

Redaktion beck-aktuell, 4. Oktober 2017.