BGH: Bloße Gefälligkeitsgutachten können einen unvermeidbaren Verbotsirrtum nicht begründen

BGB § 823 II; KWG §§ 1 I, 32 I, 54 I; StGB § 17 S. 1

Zur Absicherung bestellte Gefälligkeitsgutachten ebenso wie Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind, scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus. (Leitsatz der Verfasserin)

BGH, Urteil vom 16.05.2017 - VI ZR 266/16, BeckRS 2017, 116909

Anmerkung von
Rechtsanwältin Simone Weber, Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 15/2017 vom 03.08.2017

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Sachverhalt

Im vorliegenden Zivilrechtsstreit nimmt der Kläger (K) die Beklagten, den Geschäftsführer (B1) der „Treuhandgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft mbH“ (B2) wegen Mitwirkung an einem unerlaubten Bankgeschäft auf Schadensersatz in Anspruch. B1 schloss mit der E.-Aktiengesellschaft (E) einen Geschäftsbesorgungsvertrag. Bereits aus der Präambel ergibt sich, dass die Tätigkeit der B2 im Rahmen eines Anlagemodells stattfindet, das die Ausgabe von Genussscheinen vorsieht. B2 war aufgrund des Vertrages in die Verwaltung des Beteiligungskapitals eingebunden. Sie verpflichtete sich, ein Bankkonto bei einer als Zoll- und Steuerbürgin zugelassenen Bank einzurichten, Zahlungen der Beteiligungspartner entgegenzunehmen, Zahlungen an mitgeteilte Zahlungsempfänger auszukehren sowie die Genussscheine abzurufen und zu versenden. In die Prüfung dieses Vertrags war ein Rechtsanwalt einbezogen, dieser hat aber weder darauf hingewiesen, dass ein solches Anlagemodell erlaubnispflichtig ist, noch auf die Gefahr der Begehung einer Straftat. Er hat lediglich einen Vertragsentwurf übersandt und mitgeteilt, dass die Zeichner schriftlich auf ihr gesetzliches Widerrufsrecht hingewiesen werden müssten. K zeichnete Genussscheine und entrichtete den Zeichnungsbetrag. In den „Genussrechtsbedingungen“ wurde nur ein einfacher Rangrücktritt vereinbart, der die unbedingte Rückzahlbarkeit und damit die Qualifizierung als Einlagengeschäft nicht ausschloss. Die E verfügte nicht über eine Erlaubnis der BaFin, was B1 wusste. Der Initiator der Kapitalanlage wurde rechtskräftig wegen Betrugs in Tateinheit mit Verstoß gegen das KWG verurteilt. Das AG hat die Klage abgewiesen, das LG hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt K sein Begehren weiter.

Rechtliche Wertung

Die Revision ist statthaft. Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen könne ein Schadensersatzanspruch gegen B1 und B2 nicht verneint werden. Die Feststellungen tragen weder die Annahme eines Verbotsirrtums, noch die dessen Unvermeidbarkeit. Zutreffend sei § 32 I 1 KWG ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 II BGB. Weiter treffend sei die Annahme, dass E ohne Erlaubnis ein Einlagengeschäft betrieben habe, was gemäß § 54 I Nr. 2 KWG strafbar sei und B1 hierzu Beihilfe geleistet habe. Jedoch schließe der Verbotsirrtum des B1 nicht den Vorsatz aus, sondern im Fall der Unvermeidbarkeit die Schuld und damit die Haftung. Im Zivilrecht setze das Verschulden durch vorsätzliches Verhalten das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit voraus, welches bei einem Verbotsirrtum fehle. Sei das Schutzgesetz im Sinne von § 823 II 1 StGB eine Strafnorm, so müsse der Vorsatz aber nach strafrechtlichen Maßstäben beurteilt werden. Dies gelte auch, falls das Schutzgesetz selbst keine Strafnorm, seine Missachtung aber unter Strafe gestellt sei. Halte der Täter seine Geschäfte für rechtlich zulässig, so stelle dies aus strafrechtlicher Sicht einen Verbotsirrtum dar. Ein Verbotsirrtum sei unvermeidbar, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrecht nicht zu gewinnen vermochte. Für jemanden, der im Geschäftsleben stehe, sei kaum ein Irrtum über das Bestehen eines Gesetzes unvermeidbar, das für seinen Arbeitsbereich erlassen wurde. Er sei in seinem Wirkungskreis verpflichtet, sich zu unterrichten. Etwa aufkommende Zweifel seien durch Einholung einer verlässlichen sachkundigen Auskunft zu beseitigen. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft verlässlich sein. Die Auskunftsperson müsse die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bieten. Eine Auskunft sei nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach-und Rechtslage erteilt worden sei. Hinzu komme, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines für ihn günstigen Standpunkts vertrauen dürfe. Wende man sich an einen auf dem Rechtsgebiet versierten Anwalt, so müsse der Täter regelmäßig auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen dürfen. Der Täter dürfe sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts aber nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig sei. Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus. Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft seien, können den Täter nicht entlasten. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen sei regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich. Dagegen sei die Aussagekraft einer Auskunft beschränkt, wenn sie nur einzelne rechtliche Aspekte umfasse. Das Berufungsgericht habe keine ausreichenden Feststellungen zu Anlass, Zweck und Inhalt des dem Rechtsanwalt erteilten Auftrags sowie zu dem ersichtlichen Gehalt und den Begleitumständen der anwaltlichen Überprüfung getroffen. Daher lasse sich nicht beurteilen, ob für B1 Anlass bestand, die Auskunft des Rechtsanwalts zu hinterfragen. Es werde an das Berufungsgericht zurückverwiesen, welches sich mit dem Vorbringen der Parteien in den Rechtsmittelschriften befassen müsse.

Praxishinweis

In Fortsetzung seiner Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 2012, 3177 mwN) stellt der BGH fest, dass der Tatbestand des § 823 II BGB auch insoweit ein Blankett ist, als es auf die Verschuldensvoraussetzung des Schutzgesetzes ankommt. Die Frage der Erlaubnispflicht der Geschäfte ist nach der Schuldtheorie damit eine Frage des Unrechtsbewusstseins. Aus diesem Grund standen in diesem Zivilrechtsstreit die Voraussetzungen des strafrechtlichen Verbotsirrtums im Fokus. In seiner Entscheidung greift der BGH die Kriterien für die Vermeidbarkeit eines solchen bei der Inanspruchnahme anwaltlichen Rates auf. Für die Frage, ob sich der Täter auf die Angaben des Rechtsanwalt verlassen konnte wird danach differenziert, ob der Rechtsanwalt als solcher auf dem Gebiet seiner Auskunft spezialisiert, sein Gutachten objektiv sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bloße Gefälligkeitsgutachten sollen nicht genügen. Damit konkretisiert der BGH die Anforderungen an ein anwaltliches Gutachten, ein wesentliches Feld der anwaltlichen Präventivberatung.

Redaktion beck-aktuell, 4. August 2017.