OLG Hamm: Mobiltelefone können auch ohne eingelegte SIM-Karte verbotswidrig genutzt werden

StVO § 23 Ia; StPO § 473 I, II; OWiG §§ 46 I, 80 I, II, IV 3

Dass Mobiltelefone auch ohne eingelegte SIM-Karte der Regelung des § 23 Ia StVO unterfallen, ist obergerichtlich hinreichend geklärt. (vom Verfasser bearbeiteter Leitsatz des Gerichts)

OLG Hamm, Beschluss vom 08.06.2017 - 4 RBs 214/17, BeckRS 2017, 114605

Anmerkung von
Rechtsanwalt David Püschel, Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 14/2017 vom 20.07.2017

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Sachverhalt

Das AG hat den Betroffenen (B) vom Vorwurf der verbotswidrigen Nutzung eines Mobiltelefons (§ 23 Ia StVO) aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Nach den Feststellungen des AG hat B mit seinem PKW am 28.9.2016 die L-Straße in H befahren und dabei ein iPhone 4s, in das keine SIM-Karte eingelegt gewesen ist und welches er als mobilen Musikspeicher und mobiles Musikabspielgerät genutzt hat, mit beleuchtetem Display in Höhe Lenkrad/Mittelkonsole vor den Körper gehalten. Das AG ist der Auffassung gewesen, dass ein Mobiltelefon ohne eingelegte SIM-Karte kein Mobiltelefon im Sinne von § 23 Ia StVO darstelle. Nach verbreiteter Definition sei ein Mobiltelefon in diesem Sinne ein ortsunabhängig einsetzbares technisches Gerät, das selbständig ein oder mehrere Telefonfunktionen erfülle, indem es durch Funk in ein Telefonnetz kommuniziere und so die Funktionen eines stationären Telefons erfüllen könne, wobei es nicht darauf ankomme, ob in der konkreten Situation der Benutzung tatsächlich ein Sprach- oder Datenkommunikationsvorgang über Funk ausgeführt werde. Ein Gerät, welches in Ermangelung der SIM-Karte gar keine Telekommunikationsfunktion wahrnehmen könne, unter die Verbotsnorm zu fassen, würde die Grenzen der möglichen Auslegung überschreiten. Gegen das Urteil hat sich die Staatsanwaltschaft mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gewendet.

Rechtliche Wertung

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wurde verworfen. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde sei unbegründet, da es nicht geboten sei, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des (materiellen) Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (80 I, II, IV OWiG). Anlass, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des (materiellen) Rechts zuzulassen, bestehe nicht. Die von der StA aufgeworfene Frage, ob ein Mobiltelefon ohne eingelegte SIM-Karte gleichwohl unter § 23 Ia StVO zu subsumieren sei, sei obergerichtlich bereits hinreichend dahin geklärt, dass sie zu bejahen sei. Nicht nur in der von der Staatsanwaltschaft selbst angeführten Rechtsprechung werde ausdrücklich ausgeführt, dass es auf die Frage, ob bei der Tatbegehung eine SIM-Karte in das Mobiltelefon eingelegt gewesen sei, nicht ankomme, wenn eine Funktion des Mobiltelefons während des Führens eines Fahrzeugs genutzt werde. Entsprechendes habe auch schon das OLG Jena entschieden. Der dortigen Entscheidung habe ein Sachverhalt zu Grunde gelegen, in dem sich die SIM-Karte ebenfalls während der Benutzung des Mobiltelefons nicht in diesem befunden habe und dieses als Diktiergerät benutzt worden sei. Auch sei auf eine weitere Entscheidung des OLG Hamm zu verweisen. Dort sei ein Verstoß gegen § 23 Ia StVO angenommen worden in einem Fall, in dem die Telefonkarte hin-und hergeschoben worden sei, um ein Autotelefon funktionsfähig zu machen (dieses also zu diesem Zeitpunkt noch nicht funktionsfähig gewesen sei). Dass diese Auffassung auch von anderen Oberlandesgerichten geteilt werde, zeige sich an der nachgehenden Entscheidung des OLG Oldenburg. Dass ein Gerät, solange es sich um ein Mobiltelefon handele, auch ohne SIM-Karte unter § 23 Ia StVO fallen kann, sei letztlich Ausfluss des Umstands, dass die Vorschrift nicht nur die Benutzung zur eigentlichen Telefonie inkriminiere, sondern jegliche Bedienfunktion. Dementsprechend könne es auch – anders als das AG meint – keinen Unterschied machen, ob eine SIM-Karte (noch) gar nicht in das Mobiltelefon eingelegt sei oder ob diese noch durch weitere Bedienschritte aktiviert werden müsse. Es sei ebenfalls bereits obergerichtlich entschieden, dass es (verfassungs-)rechtlich nicht zu beanstanden sei, dass der Gesetzgeber mit § 23 Ia StVO nur einen (engen) Ausschnitt gefährdender – weil ablenkender – Tätigkeiten des Fahrzeugführers bußgeldbewehrt habe. Anhaltspunkte dafür, dass von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen wäre, ergeben sich weder aus dem inzwischen (im Vergleich zu den älteren Entscheidungen) leicht veränderten Gesetzeswortlaut, noch aus der Begründung des Zulassungsantrags. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs sei nicht erhoben worden.

Praxishinweis

Das OLG Hamm stellt in Einklang mit der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung (ua OLG Hamm BeckRS 2013, 08592 und BeckRS 2007, 03184; OLG Jena BeckRS 2006, 09086; OLG Oldenburg BeckRS 2016, 02115; OLG Karlsruhe NJW 2007, 240) klar, dass die Benutzung eines Mobiltelefons verbotswidrig ist, wenn eine bestimmungsgemäße Nutzungsfunktion abgerufen wird. Hierfür soll es nicht darauf ankommen, ob das Mobiltelefon eingeschaltet oder die SIM-Karte eingelegt ist. Dies scheint mit Blick auf das auch im Ordnungswidrigkeitenrecht geltende Bestimmtheitsgebot nach Art. 103 II GG bedenklich. Dass es der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Mobiltelefons sei, Musik zu hören, ist – abgesehen von der Multifunktionalität moderner Geräte – eher fernliegend.

Von einer Verfassungsbeschwerde abgesehen können für eine erfolgreiche Verteidigung zwei Aspekte regelmäßig von entscheidender Bedeutung sein: Einerseits kann in Frage gestellt werden, ob mit ausreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass es sich bei dem benutzten Gegenstand um ein Mobiltelefon handelt. So ist die Abgrenzung eines Mobiltelefons von einem iPod-touch allein bei optischer Wahrnehmung äußerst schwierig. Andererseits kann es darauf ankommen, darlegen zu können, dass keine oder zumindest keine bestimmungsgemäße Nutzungsfunktion abgerufen wurde, etwa lediglich ein Weiterreichen des Mobiltelefons an den Beifahrer erfolgt ist.

Redaktion beck-aktuell, 24. Juli 2017.