BGH: Keine Heimtücke bei berufs- bzw. rollenbedingtem «generellen Misstrauen»

StGB §§ 211, 212

Der Verwirklichung des Mordmerkmals der Heimtücke steht bei ein bewaffneten Überfall auf in Afghanistan stationierte Soldaten nicht entgegen, dass diese als Soldaten mit ein Angriff rechnen konnten oder mussten; denn ein berufs- bzw. rollenbedingtes „generelles Misstrauen“ führt als solches noch nicht zum dauerhaften Ausschluss der Arglosigkeit. (Leitsatz der Verfasserin)

BGH, Beschluss vom 19.04.2017 - StB 9/17, BeckRS 2017, 109884

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Dr. Anna Oehmichen, Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 11/2017 vom 8.6.2017

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Sachverhalt

Der Beschuldigte (B) befand sich seit d 9.2.2017 in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls war der Vorwurf, B habe sich in den Jahren 2013 bis 2015 in Afghanistan in 3 Fällen als Mitglied an den „Taliban“ und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke oder Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord oder Totschlag zu begehen, und jeweils tateinheitlich die tatsächliche Gewalt über Kriegswaffen ausgeübt, ohne dass der Erwerb der tatsächlichen Gewalt auf einer Genehmigung nach d KWKG beruht habe oder eine Anzeige nach § 12 VI Nr. 1 § 26a KWKG erstattet worden sei, sowie hierzu tateinheitlich in ein Fall versucht, geinschaftlich mit anderen aus niedrigen Beweggründen und mit geingefährlichen Mitteln Menschen in einer bislang nicht bekannten Anzahl zu töten, und dazu in ein weiteren Fall tateinheitlich geinschaftlich mit anderen aus niedrigen Beweggründen und mit geingefährlichen Mitteln einen Menschen getötet und tateinheitlich hierzu versucht, aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch 2 weitere Menschen zu töten. B legte Beschwerde gegen den Haftbefehl ein. Zur Begründung führte er ua aus, aufgrund einer Tätigkeit für den afghanischen Geheimdienst stünden die Rechtswidrigkeit seines Tuns und seine Schuld in Frage. Bezüglich des Mordvorwurfs bestünden Zweifel an seiner Beteiligung an den Tötungshandlungen. Jedenfalls seien die Mordmerkmale des niedrigen Beweggrundes und der Heimtücke nicht gegeben.

Rechtliche Wertung

Der BGH verwarf die Beschwerde als unbegründet. B sei der ihm zur Last gelegten Taten dringend verdächtig. Nach d gegenwärtigen Ermittlungsstand sei von folgend Sachverhalt auszugehen: Die in Afghanistan operierenden „Taliban“ hätten sich zum Ziel gesetzt, alle ausländischen Streitkräfte vom Gebiet Afghanistans zu vertreiben und auf d gesamten Staatsgebiet einen islamischen Staat unter Geltung der Scharia als einziger Rechtsgrundlage zu errichten; dabei nähmen sie auch zivile Opfer in Kauf. Der BGH führte in weiteren Einzelheiten den Aufbau der Taliban (streng hierarchisch), die Funktionen ihrer Grien, Mitglieder und Kämpfer sowie deren Handlungen (Selbstmordattentate, Minen- und Bombenanschläge, Entführungen, Geiselnahmen und gezielte Tötungen) aus. B habe sich den „Taliban“ im April oder Mai 2013 angeschlossen, sei mit Waffen ausgestattet und im Umgang mit diesen ausgebildet worden. In den Jahren 2013 und 2014 habe B in mindestens 2 Fällen an Kampfeinsätzen gegen afghanische Regierungstruppen und amerikanische Soldaten teilgenommen. Der erste Angriff habe sich etwa Ende 2013 in der Nähe der Ortschaft Pol-e Jogi zugetragen. B habe geinsam mit weiteren „Taliban“-Kämpfern vom Straßenrand aus einen auf der Hauptstraße zwischen Pol-e Jogi und Wardak befindlichen Konvoi attackiert, der aus ein Ranger, ein afghanischen Panzerwagen sowie mit amerikanischen Soldaten besetzten Panzern bestanden habe. B habe etwa 30 Schüsse auf die Angegriffenen abgefeuert. Ob durch den Angriff afghanische oder amerikanische Soldaten verletzt oder getötet worden seien, stehe bislang noch nicht fest. Der zweite Angriff habe etwa Anfang des Jahres 2014 stattgefunden. B und ungefähr 20 Mitkämpfer hätten einen Konvoi, der aus 8-9 amerikanischen Panzerwagen bestand, auf der Hauptstraße zwischen Barakibarak und Logar im Bereich Galeh Patkhabi unter Beschuss genommen, nachd sie sich zuvor in einer Kurve hinter Bäumen versteckt hatten. B habe mit sein Schnellfeuergewehr mindestens 20 Schüsse in Richtung der Fahrzeuge abgegeben. Bei d Angriff sei mindestens ein amerikanischer Soldat getötet worden; zwei weitere seien verletzt worden. Etwa 4 Wochen, nachd B sich den „Taliban“ angeschlossen habe, sei er als Informant für den afghanischen Geheimdienst angeworben worden und sei seitd auch für diesen tätig. Seine diesbezügliche Tätigkeit sei von den „Taliban“ entdeckt worden, woraufhin B 2015 zunächst nach Pakistan geflüchtet und dann über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien und weiter über die sog. Balkanroute nach Deutschland gelangt sei. Der dringende Tatverdacht beruhe im Hinblick auf die terroristische Vereinigung der „Taliban“ auf den Auswerteberichten des BKA. Hinsichtlich der mitgliedschaftlichen Beteiligungshandlungen des B einschließlich seiner Teilnahme an den beiden Kampfeinsätzen ergebe sich der dringende Tatverdacht aus dessen Einlassung bei seiner polizeilichen Vernehmung.

Bei beiden Überfällen sei mit hoher Wahrscheinlichkeit jedenfalls das Mordmerkmal der Heimtücke verwirklicht worden. D stehe nach derzeitiger Beweislage nicht entgegen, dass die Überfallenen als in Afghanistan stationierte Soldaten mit ein Angriff rechnen konnten oder mussten; denn ein berufs- bzw. rollenbedingtes „generelles Misstrauen“ führe als solches noch nicht zum dauerhaften Ausschluss der Arglosigkeit. Es könne deshalb offen bleiben, ob daneben ein dringender Tatverdacht bezüglich weiterer Mordmerkmale gegeben sei. Der Umstand, dass B, der sich aus eigen Antrieb und eigener Überzeugung den „Taliban“ angeschlossen habe, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch als Informant für den afghanischen Geheimdienst tätig sei, führe nicht zur Straflosigkeit seiner Handlungen. Nach deutsch Recht vermögen Tätigkeiten für einen Geheimdienst in dies Zusammenhang begangene Straftaten, sofern keine spezielle Norm eingreift (vgl. § 9a BVerfSchG), allenfalls in ein – hier offensichtlich nicht vorliegenden – Ausnahmefall und sehr engen Grenzen nach § 34 StGB zu rechtfertigen. Das Vorliegen eines Entschuldigungsgrundes sei ebenfalls nicht ersichtlich. Deutsches Strafrecht sei g. § 7 II Nr. 2 StGB anwendbar, sodass dahinstehen könne, ob die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts für die Vereinigungsdelikte bereits aus § 129b I StGB oder daneben auch aus §§ 3 ff StGB folge.

Praxishinweis

Die Entscheidung betrifft die Problatik der asymmetrischen Kriegsführung, die vorliegend zu d fragwürdigen Ergebnis führt, dass auf offensichtlich kriegerische Handlungen durch „Taliban“-Kämpfer die Kategorien des deutschen (Friedens-)Strafrechts angewendet werden. Die beiden Angriffe, die hier den Tatverdacht wegen Mordes bzw. versuchten Mordes begründen, waren gegen Soldaten im Zusammenhang mit d Afghanistan-Konflikt gerichtet. Dabei schloss der BGH eine völkerrechtliche Rechtfertigung ohne vertiefte Begründung aus, obgleich die Auseinandersetzung mit einer solchen vorliegend auf der Hand gelegen hätte. 2010 hatte der GBA in der Kunduz-Entscheidung ausgeführt, dass es „außer Frage“ stehe, dass es sich bei den bewaffneten Taliban (…) um Angehörige einer organisierten bewaffneten Gruppe handelte, die Partei des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts sei (NStZ 2010, 581 Rn. 11 = BeckRS 9998, 86694). Die im Völkerrecht vielfach diskutierte Anschlussfrage, ob sie nicht auch in den Genuss der kriegsvölkerrechtlichen Schutzvorschriften, insb. das sog. „Kombattanten-Privileg“ kommen könnten (vgl. Schönke/Schröder Vor §§ 32 ff, Rn. 91c mwN) mit der Folge, dass das – auch heimtückische – Töten anderer am Konflikt Beteiligter zulässig wäre, hätte zumindest problatisiert werden sollen, zumal die Hafteschwerde hierzu jeden Anlass gab (vgl. C. E. Philipp, „Taliban“, in Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Rn. 9 ff).

Redaktion beck-aktuell, 9. Juni 2017.