OLG Rostock: Berufungseinlegung durch per E-Mail übersendetes, unterschriebenes PDF-Dokument kann dem Schriftformerfordernis genügen

StPO §§ 41a I, 314 I

Die ohne digitale Signatur und vor Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs in Strafsachen per E-Mail mittels eines angehängten und mit seiner eingescannten Unterschrift versehenen PDF-Dokuments eingelegte Berufung eines Angeklagten genügt dem Schrifterfordernis des § 314 Abs. 1 StPO, wenn das PDF-Dokument bei Gericht aufforderungsgemäß und fristwahrend ausgedruckt und zu den Akten genommen wird und an der Urheberschaft des Verfassers und an dessen Willen, das Rechtsmittel einzulegen, kein Zweifel besteht. (Leitsatz des Gerichts)

OLG Rostock, Beschluss vom 06.01.2017 - 20 Ws 311/16, BeckRS 2017, 10046

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Dr. Anna Oehmichen, Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 03/2017 vom 16.02.2017

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Sachverhalt

Das AG erkannte gegen den Angeklagten (A) mit Urteil vom 10.9.2016 wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes unter Einbeziehung einer anderweitig verhängten Strafe auf zwei Gesamtgeldstrafen. Gegen dieses Urteil wandte sich A mit einer mit dem Wort „Berufung“ überschriebenen, an das AG gerichteten E-Mail vom 14.9.2015, der diverse Anlagen im PDF-Format beigefügt waren. Im Text der E-Mail bat A um Öffnung der Anhänge. Dem ist das AG nachgekommen, hat die E-Mail nebst 6 Blatt Anlagen ausgedruckt und mit dem Eingangsstempel 14.9.2015 versehen. Eine der Anlagen besteht aus einem auf den 14.9.2015 datierten 2-seitigen Schreiben, in dem A – bezugnehmend auf das Urteil vom 10.9.2015 unter Nennung des korrekten Aktenzeichens – ausdrücklich Berufung einlegt und diese näher begründet. Der Schriftsatz enthält auf Bl. 2 eine – möglicherweise eingescannte – Unterschrift, die, soweit ersichtlich, den sonst in den Akten befindlichen Unterschriften des A entspricht. Das LG hat die Berufung des A als unzulässig verworfen. Die E-Mail vom 14.9.2015 erfülle nicht die Schriftform des § 314 I StPO, da das elektronische Dokument nicht entsprechend den Anforderungen des § 41a I StPO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sei. Hiergegen legte A „Widerspruch“ ein.

Rechtliche Wertung

Nach dem Rechtsgedanken des § 300 StPO war der „Widerspruch“ des A als sofortige Beschwerde auszulegen, als solche gemäß § 322 II StPO statthaft sowie form- und fristgerecht (§§ 306 I, 311 II StPO) eingelegt, mithin zulässig. Das Rechtsmittel erwies sich auch in der Sache als begründet. Das LG sei zu Unrecht von der Unzulässigkeit der Berufung des A ausgegangen, denn die Berufung des A habe die Form- und Fristanforderungen des § 314 I StPO genügt. Verfahrensvorschriften seien kein Selbstzweck. Auch sie dienten letztlich der Wahrung der materiellen Rechte der Prozessbeteiligten, sollen also die einwandfreie Durchführung des Prozesses unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten sicherstellen und nicht behindern. Entsprechend der technologisch fortschreitenden Entwicklungen hätten auch in der Vergangenheit moderne Kommunikationsmittel Einzug in die Justiz gehalten. Dementsprechend erlaube § 41a I StPO für den Bereich der Strafrechtspflege mittlerweile vom Grundsatz her, dass an das Gericht gerichtete Erklärungen, Anträge oder deren Begründung, die nach dem Gesetz ausdrücklich schriftlich abzufassen oder zu unterzeichnen seien, auch als elektronisches Dokument eingereicht werden könnten. Nicht abschließend geklärt sei der Fall, dass Dokumente als (zB eingescannte) Anlagen zu elektronischen Nachrichten versandt würden. Für den Zivilrechtsbereich habe der BGH entschieden, dass der Ausdruck einer an eine elektronische Nachricht angehängten Bilddatei – nicht jedoch die Bilddatei selbst – ein schriftliches Dokument darstelle, sofern bei der Bilddatei die sonstigen Formerfordernisse eingehalten seien. Maßgeblich für den – ggf. fristwahrenden – Eingang der Erklärung bei Gericht sei dann das Datum des Ausdrucks der Bilddatei. Diese Rspr. erachtete der Senat als ohne weiteres auf den Bereich des Strafrechts übertragbar. Hier wie dort solle das Schriftformerfordernis gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden solle, und die Person, von der sie stamme, hinreichend zuverlässig entnommen werden könnten. Ebenso müsse sich ergeben, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handele, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden sei. Bei diesen Anforderungen vermochte der Senat keine Unterschiede zwischen den Bedürfnissen des Zivil- und Strafrechts zu erkennen. Zwar sei der elektronische Rechtsverkehr in Strafsachen in Mecklenburg-Vorpommern bislang überhaupt nicht eröffnet, so dass unabhängig vom Vorliegen einer qualifizierten Signatur für die Gerichte keine Verpflichtung bestehe, elektronische Post in Strafsachen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen und zB ggf. risikobehaftete Öffnungen von Anhängen zu E-Mails (Schadsoftware) vorzunehmen. Damit naturgemäß verbundene Risiken gingen zulasten des Absenders. Wenn es einem Betroffenen allerdings – wie hier – im Einzelfall gelinge, auf diesem Wege mit einem Gericht zu kommunizieren und Ausdrucke der elektronischen Post zu den Akten gelangten, seien diese Ausdrucke Gegenstand der Prüfung, ob sie ein form- und fristgerecht angebrachtes Rechtsmittel beinhalteten. Der Senat sehe es insoweit als unerheblich an, auf welchem Wege ein Dokument Eingang in die Gerichtsakten finde. Die danach gebotene Überprüfung der ausgedruckt bei den Akten befindlichen, am 14.9.2015 beim AG eingegangenen Berufungsschrift ergebe im Lichte vorstehender Ausführungen, dass A form- und fristgerecht Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil vom 10.9.2015 eingelegt habe.

Praxishinweis

Eine unsignierte E-Mail erfüllt grundsätzlich nicht die Anforderungen des Schriftformerfordernisses aus § 41a StPO (vgl. schon OLG Oldenburg NJW 2009, 536). Der Gesetzgeber fordert zu Recht bei nur elektronisch übermittelten Inhalten, dass diese zumindest den Aussteller – etwa mittels einer qualifizierten elektronischen Signatur mit hinreichender Verlässlichkeit erkennen lassen. Dies stellt auch das OLG – im Einklang mit der zivilrechtlichen Rspr. – mit der vorliegenden Entscheidung nicht in Frage, denn es hält nicht die E-Mail als solche für schriftformwahrend, sondern – gerade weil es noch keine die konkrete Form regelnde Landesverordnung gibt – die mittels der Mail weiteren übersandten und unterzeichneten und fristgemäß zu den Akten gelangten Schreiben des A. Indem es das fristgerecht eingereichte und unterzeichnete Rechtsmittel als formgemäß eingereicht wertet, trägt es daher der Ratio des durch das Justizkommunikationsgesetz vom 22.3.2005 eingeführten § 41a StPO Rechnung, den Verfahrensbeteiligten die elektronische Kommunikation zu gestatten.

Redaktion beck-aktuell, 17. Februar 2017.