LSG Bayern: Befreiung eines Ingenieurs als Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung

SGB VI §§ 6 I 1 Nr. 1, 231 II

Ein Bescheid über die Befreiung eines Ingenieurs von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung wird mit dem Wechsel des Arbeitgebers wirkungslos, ohne dass eine Aufhebung erforderlich ist. (Leitsatz des Verfassers)

LSG Bayern, Urteil vom 17.05.2019 - L 1 R 46/16, BeckRS 2019, 15465

Anmerkung von
Rechtsanwalt Manfred Stolz, Fachanwalt für Sozial- und Arbeitsrecht, Gelsenkirchen

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 19/2019 vom 27.09.2019

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Sachverhalt

Der Kläger, ein Bauingenieur, ist seit 1995 kraft Gesetzes Mitglied der Bayerischen Ingenieursversorgung-Bau, einer berufsständischen Versorgungseinrichtung, und freiwilliges Mitglied der Bayerischen Ingenieurkammer-Bau.

Mit Bescheid aus 1996 wurde er von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit, beschränkt auf die jeweilige Beschäftigung. Er war zu dieser Zeit abhängig beschäftigt. Er wechselte den Arbeitgeber in 1997.

Den in 2014 gestellten Befreiungsantrag für diese neue Beschäftigung lehnte die gesetzliche Rentenversicherung ab. Hiergegen richtet sich die Klage.

Entscheidung

Die in 1996 ausgesprochene Befreiung war ausdrücklich auf das damalige Beschäftigungsverhältnis beschränkt. Sie galt deshalb nicht für das neue Beschäftigungsverhältnis ab 1997.

Der frühere Befreiungsbescheid verlor mit dem Ende des früheren Beschäftigungsverhältnisses damit seine Wirkung, ohne dass es einer Aufhebung bedurfte.

§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI war ab 1.1.1996 dahingehend geändert worden, dass nur Pflichtmitglieder einer berufsständischen Kammer von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden können. Aufgrund der Übergangsregelung in § 231 Abs. 2 SGB VI galt dies noch nicht für das frühere 1997 beendete Beschäftigungsverhältnis des Klägers.

An der fehlenden Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer scheiterte der Befreiungsantrag des Klägers für die Beschäftigung ab 1997 bei einem anderen Arbeitgeber.

Ob eine Rückwirkung ab 1997 durch einen 2014 gestellten Befreiungsantrag möglich war, konnte deshalb dahin stehen.

Praxishinweis

1. Die vom Kläger vertretene Sichtweise – „einmal befreit, immer befreit“ – war in der Praxis weit verbreitet und hatte zur Folge, dass es bei Betriebsprüfungen darum ging, ob die neue Beschäftigung tatsächlich befreiungsfähig war oder nicht. Hier hat der Arbeitgeber u.U. dem Ingenieur einen Beitragszuschuss zum Versorgungswerk gem. § 172a SGB VI gezahlt, obwohl eigentlich der Beitrag an die DRV hätte abgeführt werden müssen. Der Arbeitgeber muss nun nachzahlen, jedenfalls für die 4 letzten Jahre (gem. § 25 SGB VI). Wegen des zu Unrecht gezahlten Beitragszuschusses muss er sich an seinen Arbeitnehmer halten, der seinerseits mit dem Versorgungswerk über eine Korrektur seiner Beitragspflicht in der Vergangenheit verhandeln kann. Ob es hier andere Regeln gibt, hängt von der Satzung ab und davon, ob ggf. Leistungen in Anspruch genommen wurden. Das Versorgungswerk wird nun auch zu prüfen haben, ob der Ingenieur eine ruhende Anwartschaft hat oder ggf. freiwillig weiterversichert sein kann.

2. Die vom Kläger vertretene Auffassung, wonach der für jegliche Tätigkeit gilt und nicht auf die jeweilige Beschäftigung beschränkt ist, wird nun auch eindeutig vom BSG abgelehnt, vgl. BSG, FD-SozVR 2018, 405141 und BSG, NZS 2019, 501.

3. Nach § 6 Abs. 4 S. 1 SGB VI tritt die Befreiung rückwirkend nur bei Antragstellung innerhalb von 3 Monaten ein, sonst wirkt sie erst ab Antragseingang. Bei einer verspäteten Antragstellung kommt eine Rückwirkung unter den Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in Betracht. Ob bei der Versäumung der Dreimonatsfrist eine Wiedereinsetzung möglich ist, ist im Hinblick auf die notwendige Rechtsklarheit hinsichtlich der Statusfestlegung ungeklärt (vgl. KassKomm/Gürtner, § 6 SGB VI, Rz. 36).

Bei jedem Antritt eines neuen Beschäftigungsverhältnisses muss also innerhalb von 3 Monaten ein erneuter Befreiungsantrag gestellt werden.

Redaktion beck-aktuell, 1. Oktober 2019.