BSG: Unfallversicherungsschutz im Homeoffice

SGB VII §§ 2, 8

Der Versicherungsschutz gemäß § 8 SGB VII umfasst auch Unfallereignisse auf Wegen innerhalb des häuslichen Bereichs, wenn der Beschäftigte diesen Weg aus betrieblichen Gründen zurücklegt. (Leitsatz des Verfassers)

BSG, Urteil vom 27.11.2018 - B 2 U 28/17 R, BeckRS 2018, 40346

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 07/2019 vom 12.04.2019

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Sachverhalt

Die Klägerin war Sales- und Keyaccount-Managerin einer GmbH. Nach dem Arbeitsvertrag war eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden mit einer Kernarbeitszeit von 9-16 Uhr vereinbart. Regelmäßiger Arbeitsort sollte ihre Wohnadresse sein. Weitere Angaben zur Einrichtung und Ausgestaltung des Arbeitsplatzes im häuslichen Bereich enthielt der Arbeitsvertrag nicht. Im Unfallzeitpunkt wohnte die Klägerin in einem „Haus im Haus", dessen Erd- und Dachgeschoss sie privat nutzte. Von der Diele im Erdgeschoss führt eine Treppe in das Kellergeschoss. Dort war einer der Kellerräume mit einem Schreibtisch möbliert und wurde als Büro bzw. „Homeoffice" genutzt.

Am Unfalltag hielt sich die Klägerin auf dem Messegelände M auf. Eine Kollegin forderte die Klägerin auf, um 16:30 Uhr den Geschäftsführer anzurufen. Die Klägerin fuhr daraufhin nach Hause und wollte dort in ihrem Büro im Kellergeschoss den mitgeführten Laptop anschließen, um über diesen um 16:30 Uhr mit dem Geschäftsführer in Übersee zu telefonieren. Gegen 16:10 Uhr rutschte sie beim Hinabsteigen der Kellertreppe auf ihrem Weg zum Büro auf einer Stufe ab, stürzte und verletzte sich im Wirbelsäulenbereich. Dabei führte sie eine Tasche mit ihrem Laptop sowie sonstiges Arbeitsmaterial mit sich.

Die Berufsgenossenschaft lehnt die Anerkennung eines Arbeitsunfalls und die Gewährung von Leistungen ab; auf die Klage hebt das SG die Bescheide auf und stellt fest, dass die Klägerin am Unfalltag einen Arbeitsunfall erlitten hat, weil sie im Unfallzeitpunkt einen Betriebsweg mit betrieblicher Motivation zurückgelegt habe und die Treppe zumindest wesentlich auch betrieblich genutzt worden sei. Auf die Berufung der BG hebt das LSG das erstinstanzliche Urteil auf und weist die Klage ab. Das Betreten der häuslichen Kellertreppe selbst habe nicht unmittelbar zu den Hauptpflichten der Klägerin gehört und sei deshalb bloße Vorbereitungshandlung für ihre spätere versicherte Tätigkeit als abhängig Beschäftigte gewesen. Die Klägerin sei auch nicht auf einem Betriebsweg verunglückt, weil dieser mit Durchschreiten der Außentür des Wohngebäudes – als maßgebliche Zäsur – bereits beendet gewesen sei und daher mit dem Rückweg vom Messegelände keine Einheit im Sinne eines unmittelbaren Anschlusses bilde. Wege innerhalb des häuslichen Bereichs könnten nur versichert sein, wenn eine Rufbereitschaft und die Notwendigkeit, sofort zu handeln, bestanden habe oder der Unfallort für betriebliche Belange ständig und nicht nur gelegentlich genutzt wurde. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, die eine Verletzung des § 8 SGB VII rügt. Sie habe sich im Unfallzeitpunkt auf dem Weg zu einem betrieblich veranlassten Telefonat befunden.

Entscheidung

Das BSG hebt auf die Revision der Klägerin das Urteil des LSG auf und bestätigt das der Klage stattgebende Urteil des SG. Die Klägerin hatte einen Unfall im Sinne des § 8 SGB VII erlitten. Sie gehörte im Unfallzeitpunkt zu den gemäß § 2 Abs. 1 SGB VII versicherten Personen. Die Verrichtung der Klägerin zur Zeit des Unfallereignisses – das Hinabsteigen der Kellertreppe – stand auch in einem sachlichen Zusammenhang zu ihrer versicherten Tätigkeit. Denn sie legte zum Unfallzeitpunkt einen versicherten Betriebsweg zurück, als sie die Treppe hinabstieg, um in ihrem Büro („Homeoffice"), das sich im Kellergeschoss befand, den mitgeführten Laptop anzuschließen und über diesen internetbasiert um 16:30 Uhr mit dem Geschäftsführer des Unternehmens in Übersee zu telefonieren. Dieser Weg wurde im unmittelbaren Betriebsinteresse unternommen und ist deshalb als Betriebsweg versichert. Betriebswege sind nicht auf das Betriebsgelände beschränkt, sondern können auch außerhalb der Betriebsstätte anfallen. Der Versicherungsschutz scheitert vorliegend nicht daran, dass der Unfall sich innerhalb der Wohnung der Klägerin ereignete. Maßgebend für seine Bejahung ist nicht die objektiv zu ermittelnde Häufigkeit der Nutzung des konkreten Unfallorts innerhalb des Hauses, sondern die Handlungstendenz der Klägerin, eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben zu wollen.

Praxishinweise

Das Durchschreiten der Außentür des Wohnhauses bleibt eine „maßgebliche Zäsur". Im Falle der Heimarbeit und des Homeoffice greift diese Grenzziehung für Betriebswege nicht, wenn sich sowohl die Wohnung des Versicherten als auch seine Arbeitsstätte im selben Haus befinden und wenn der Betriebsweg in Ausführung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird. Allerdings sind „Arbeitsstätten" im häuslichen Bereich nur solche Arbeitsräume, in denen Arbeitsplätze aufgrund arbeitsvertraglicher (Individual-)Vereinbarungen innerhalb von Gebäuden dauerhaft eingerichtet sind.

Der Senat verweist auch auf ein Parallelurteil vom 27.11.2018 zum Aktenzeichen B 2 U 8/17 R, in dem es um einen Versicherungsmakler ging, der nach einem auswärtigen Geschäftstermin gegen 0 Uhr ein größeres Softwareupdate durchführte und zu diesem Zweck auch den im Kellergeschoss befindlichen Serverraum aufsuchen musste. Auch Unfälle auf solchen Wegen können versichert sein, sofern eine entsprechende Handlungstendenz objektiviert werden kann.

Ausführlich zur gesetzlichen Unfallversicherung im Homeoffice: Stefan Müller, NZS 2019, 177. Hinzuweisen ist auch auf BSG vom 31.08.2017 – B 2 U 9/16 R, NJW 2018, 1207, betreffend eine selbständige Frisörmeisterin, die im eigenen Haus gestürzt ist.

Redaktion beck-aktuell, 12. April 2019.