LSG Bayern: Beitragspflichtigkeit von Poolzahlungen an nachgeordnetes Krankenhauspersonal

SGB IV §§ 14, 26, 28d

Poolzahlungen an nachgeordnetes Krankenhauspersonal unterliegen der Beitragspflicht zur Sozialversicherung. Im Verfahren auf Erstattung von Beiträgen gem. § 26 SGB IV ist nicht zu prüfen, ob der Arbeitgeber zurecht aus den Poolzahlungen auch den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung abgeführt hat. (Leitsatz des Verfassers)

LSG Bayern, Urteil vom 01.03.2018 - L 4 KR 438/14, BeckRS 2018, 8863

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 15/2018 vom 03.08.2018

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Sachverhalt

Zwischen den Parteien ist streitig, ob die beklagte Krankenkasse der Klägerin Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten hat.

Die Klägerin war von 1994 bis 2012 pflichtversichertes Mitglied der beklagten Krankenkasse. Sie ist seit 1987 als Arzthelferin im Klinikum der L.A Stadt sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Im Rahmen ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtung gegenüber dem Klinikum erbringt die Klägerin auch Tätigkeiten im Bereich der privatärztlichen und zur Privatliquidation berechtigten Nebentätigkeiten des jeweiligen Chefarztes/Ordinarius. Diese Tätigkeiten werden grundsätzlich durch die monatlichen Gehaltszahlungen ihres Arbeitgebers finanziell abgegolten. Mit Rücksicht auf diese Tätigkeiten erhielt die Klägerin in der Zeit von Dezember 2000 bis einschließlich Dezember 2009 vom Klinikdirektor freiwillige finanzielle Zuwendungen. Dabei handelte es sich um Mitarbeiterbeteiligungen aus den privatärztlichen Liquidationseinnahmen des Chefarztes (Poolzahlungen). Die Poolzahlungen wurden vom Klinikdirektor bzw. seiner Poolverwaltung direkt an die Klägerin ohne Abzug von Steuern und Sozialabgaben ausgezahlt und dann der zuständigen Bezügestelle gemeldet. Diese ermittelte durch Abzug der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung zunächst den Bruttobetrag der Poolzahlung. Sodann wurden von dem so errechneten Bruttobetrag die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung und die Lohnsteuer abgezogen. Bei der folgenden Gehaltsabrechnung wurde die Klägerin dann mit dem Gesamtbetrag der Abzüge belastet (also Abzug der Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung sowie der Lohnsteuer).

Die Klägerin legt bei der Beklagten „Widerspruch gegen die Beitragsberechnung durch den Arbeitgeber“ ein. Die Poolzahlungen würden Trinkgelder eines Dritten darstellen, die bis zur Höhe von 2.400 DM pro Jahr einkommensteuerfrei und damit auch sozialversicherungsfrei sei. Der Arbeitgeber habe die Poolzahlungen, welche die Klägerin erhalten habe, so abgerechnet, dass die Klägerin auch die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung getragen habe. Dies sei gesetzwidrig. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Erstattung zu viel entrichteter Beiträge mit angefochtenem Bescheid ab. Die Poolbeteiligungen stellten beitragspflichtiges Arbeitsentgelt i.S.d. Sozialversicherung dar. Die durch den Arbeitgeber vorgenommene Beitragsberechnung sei nicht zu beanstanden.

Auf die gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid erhobene Klage verurteilt das SG München die beklagte Kasse unter Abänderung des angefochtenen Bescheides dazu, „Zahlungen aus dem privatärztlichen Liquidationspool der Jahre Februar 2001 bis Dezember 2009 nur hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt zu behandeln und der Klägerin die danach zu viel entrichteten Beiträge zu erstatten“. Dagegen richtet sich die Berufung der beklagten Kasse, mit der sie die vollständige Abweisung der Klage begehrt. Eine Erstattung von Beiträgen sei nur möglich, wenn Beiträge zu Unrecht entrichtet worden seien. Das sei hier nicht der Fall.

Entscheidung

Das LSG hebt auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG auf und weist die Klage insgesamt ab. Als Anspruchsgrundlage für die Erstattung von Beiträgen kommt allein § 26 Abs. 2 SGB IV in Betracht. Danach sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, der Versicherungsträger hat bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aufgrund dieser Beiträge Leistungen erbracht. Zweck des § 26 Abs. 2 SGB IV ist es, eine rechtsgrundlose Vermögensverschiebung auszugleichen, die darauf beruht, dass Beiträge zur Sozialversicherung zu Unrecht entrichtet wurden.

Vorliegend käme allenfalls in Betracht, dass Beiträge nach einer unrichtigen Bemessungsgrundlage berechnet und damit ihrer Höhe nach zu Unrecht entrichtet worden sind. Ob vorliegend die Poolzahlungen, wie in einem früheren Urteil des LSG für zutreffend erachtet (Urteil vom 10.12.2009 – L 4 KR 331/09, n.v.), in ihrer vollen Höhe gekürzt um den Arbeitgeberanteil als maßgebliche Beitragsbemessungsgrundlage heranzuziehen waren, kann offen bleiben. Geht man mit der Klägerin davon aus, dass die geleisteten Zahlungen in ihrer vollen Höhe Arbeitsentgelt darstellen, folgt daraus, dass nicht zu viel, sondern zu wenig Beiträge hieraus entrichtet wurden. Denn in diesem Fall errechnen sich die Beiträge nach einer höheren Bemessungsgrundlage, als sie den streitgegenständlichen Gehaltsabrechnungen zugrunde gelegt worden sind. Ist man hingegen der Auffassung, dass die mit den um den Arbeitgeberanteil gekürzten Poolzahlungen die zutreffende Beitragsbemessungsgrundlage darstellt, sind die Beiträge ebenfalls nicht zu Unrecht gezahlt worden. Die Beiträge für die verschiedenen Zweige der Sozialversicherung werden nach § 28d SGB IV als Gesamtsozialversicherungsbeitrag bezahlt. Zahlungspflichtiger und Beitragsschuldner ist allein der Arbeitgeber. Die Bindung der Zahlungsverpflichtung an den Gesamtsozialversicherungsbeitrag wird ohne Rücksicht auf die Verteilung der Beitragslast und somit auch für den Teil an Gesamtsozialversicherungsbeitrag begründet, der allein vom Arbeitgeber zu tragen ist.

Ob der Arbeitgeber hier die Beiträge zutreffend ermittelt hat oder ob eine andere Bemessungsgrundlage heranzuziehen gewesen wäre, dies zu prüfen ist Sache der Einzugsstelle, aber nicht Gegenstand eines Verfahrens auf Beitragserstattung nach § 26 SGB IV.

Praxishinweis

1. Es kommt immer wieder vor, dass neben dem üblichen Gehalt zusätzliche Leistungen seitens des Arbeitgebers gewährt werden, z.B. auch nach dem Arbeitnehmererfindungsgesetz. Alle diese Leistungen stellen materiell „Arbeitsentgelt“ dar, welches nach § 14 SGB IV der Beitragspflicht unterliegt. Dies gilt auch für Poolzahlungen. Es macht durchaus Sinn, aus den Poolzahlungen auch den Arbeitgeberanteil zu finanzieren. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn es eine gesetzliche Vorschrift oder eine vertragliche Verpflichtung gibt, wie sich die Brutto-Poolzahlung errechnet, die dem nichtärztlichen Personal für die Unterstützung bei der privatärztlichen Tätigkeit leitender Klinikärzte gewährt werden soll.

2. Das LSG hat sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob Verjährung eingetreten ist. Hier legt das BSG recht strenge Maßstäbe an (vgl. BSGE 118, 213 und BSG, NZS 2016, 469): Für den Beginn der Verjährung ist auf den Ablauf des Kalenderjahres der Beitragsentrichtung abzustellen und nicht auf das Kalenderjahr, in dem der Erstattungsanspruch entstanden ist.

Redaktion beck-aktuell, 7. August 2018.