Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main
Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 08/2018 vom 27.04.2018
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Sachverhalt
Die klagende Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wendet sich gegen einen Bescheid der Betriebsprüfung, mit dem Beiträge für den Zeitraum vom 01.01.2004 bis 31.12.2007 für einen beigeladenen Rechtsanwalt und eine beigeladene Rechtsanwältin (Beigeladene zu 5 und 7) nachgefordert werden. Beide Beigeladenen waren in den Jahren 2004 bis 2007 zur Anwaltschaft zugelassen und führten einkommensbezogene Beiträge an das Bayerische Rechtsanwaltsversorgungswerk ab. Das klagende Bundesamt hatte auf Basis der von beiden Beigeladenen vorgelegten Befreiungsbescheides aus dem Jahre 1989 (Tätigkeit für den Freistaat Bayern) und 1990 (Angestellte Anwältin) keine Beiträge an die GRV abgeführt.
Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos. Aufgrund der Tätigkeit der Beigeladenen zu 5 und 7 für die Klägerin bestehe Versicherungspflicht in der GRV und damit sogleich Beitragspflicht. Die gem. § 7 Abs. 2 AVG durch Bescheid festgestellte Befreiung erstrecke sich nur auf die damalige Beschäftigung, nicht jedoch auf die später für die Klägerin ausgeübte Beschäftigung als Entscheider/in. Dagegen richtet sich die Revision der beiden Beigeladenen, die eine Verletzung der §§ 39 und 40 SGB X sowie des § 7 Abs. 2 AVG i.V.m. § 231 SGB VI rügen.
Entscheidung
Das BSG weist die Revision zurück. Beide Revisionskläger waren als Einzelentscheider abhängig beschäftigt und konnten für diese Beschäftigung einen rechtswirksamen Befreiungsbescheid nicht vorlegen. Ob der ihnen zuvor erteilte Befreiungsbescheid nach seinem Inhalt auch dahingehend hätte (miss-)verstanden werden können, dass dies für weitere Beschäftigungen gilt, ist unerheblich. Die Befreiungsbescheide verloren mit dem Wechsel in die Beschäftigung bei der Klägerin ihre Wirkung. Rechtsgrundlage für die von den Revisionsklägern begehrte Feststellung hinsichtlich der Reichweite der ursprünglichen Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ist § 231 Abs. 1 SGB VI, wonach Personen, die am 31.12.1991 von der Versicherungspflicht befreit waren, in derselben Beschäftigung befreit bleiben. Von „derselben“ Beschäftigung kann hier nicht gesprochen werden. Dann kommt es auch nicht mehr darauf an, dass der Befreiungsbescheid des ersten Revisionsklägers mit dem Ausscheiden aus der Rechtsanwaltskammer und der damit verbundenen Aufgabe des Rechtsanwaltsberufs im März 1996 rechtswidrig geworden ist. Liegen die Voraussetzungen des § 231 Abs. 1 SGB VI nicht vor, so ist die Rentenversicherungspflicht in den nunmehr ausgeübten Beschäftigungen als Einzelentscheider kraft Gesetzes eingetreten, so dass die Klägerin mit dem Betriebsprüfungsbescheid zurecht verpflichtet wurde, Beiträge nachzuentrichten.
Der angefochtene Betriebsprüfungsbescheid ist auch inhaltlich ausreichend bestimmt. Aus dem Bescheid ergibt sich der Adressat. Dass einer der beiden Revisionskläger im Begründungstext nicht erwähnt ist, sondern nur in der Anlage, ändert daran nichts. Die Unvollständigkeit der Begründung des streitgegenständlichen Verwaltungsakts gem. § 35 SGB X führt nicht zur Rechtswidrigkeit desselben. Nach § 41 Abs. 1 SGB X ist die Verletzung dieser Verfahrens- oder Formvorschrift unbeachtlich. Von einer Nichtigkeit kann nicht gesprochen werden.
Praxishinweis
1. Befreiungsbescheide, die nach § 7 Abs. 2 AVG vor Inkrafttreten des SGB VI erteilt wurden, wurden damals und auch bis in die 90er Jahre hinein von allen Beteiligten dahingehend verstanden, dass die Befreiung sich auch auf spätere andere Tätigkeit erstreckt. Das BSG hat dies zwar seinerzeit nicht ausdrücklich bestätigt; die DRV Bund hat aber in einem ihrer Verlautbarungen anlässlich des Streits um die Befreiung von Syndikusanwälten darauf ausdrücklich hingewiesen. Diese Verfahrensweise hätte Anlass gegeben, unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes und auch im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Rentenversicherungspflicht anders zu entscheiden – zumal auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 22.07.2016 (FD-SozVR 2016, 380485) dazu mindestens Anhaltspunkte liefert.
2. Eine der beiden Revisionskläger hatte im Jahre 2016 die Zulassung als Syndikusanwalt nach neuem Recht erwirkt und nun nach § 231 Abs. 4 b SGB VI die rückwirkende Befreiung auch für den hier streitgegenständlichen Zeitraum beantragt. Diesen Antrag hat die DRV Bund zurückgewiesen. Ob darüber nun ein weiteres Rechtsmittelverfahren anhängig ist, lässt sich aus der Entscheidung nicht eindeutig entnehmen. Wenn ja, stellt sich die Frage, ob die Ablehnung der rückwirkenden Befreiung allein damit begründet wird, dass damals freiwillige Beiträge und keine Pflichtbeiträge an das Versorgungswerk gezahlt wurden. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift steht aktuell im Streit (vgl. dazu SG Berlin, BeckRS 2017, 100268; Keck/Michaelis, Die Rentenversicherung im SGB, § 231 SGB VI, Rn. 13; Schafhausen, NJW 2018, 1135).