LSG Baden-Württemberg: Insolvenzgeld beim Betriebsübergang

BGB § 613a; SGB III § 165

1. Anspruch auf Insolvenzgeld hat der Arbeitnehmer auch dann, wenn sich nach dem Antrag auf Insolvenz herausstellt, dass der Arbeitgeber von vornherein zahlungsunfähig und vermögenslos war.

2. Dem Anspruch auf Insolvenzgeld kann nicht entgegengehalten werden, dass ein Dritter im Wege des Betriebsübergangs gem. § 613a BGB in die Pflichten des bisherigen zahlungsunfähig gewordenen Arbeitgebers eingetreten ist. (Leitsätze des Verfassers)

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.10.2017 - L 8 AL 1845/16, BeckRS 2017, 131241

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 25/2017 vom 21.12.2017

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Sachverhalt

Die Klägerin war seit dem 01.08.2014 als Büroangestellte bei der Firma CA Verwaltungs-GmbH sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Auf Antrag der AOK vom 30.10.2014 ordnete das AG Baden-Baden die vorläufige Insolvenzverwaltung an und bestellte einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Am 26.11.2014 beantragte auch die CA Verwaltungs-GmbH selbst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Mit Beschlüssen vom 13.07.2015 wies das AG die Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ab. Im Dezember 2014 hat der Geschäftsführer mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters gegenüber der Klägerin die Kündigung zum 31.01.2015 ausgesprochen und sie unwiderruflich freigestellt.

Die Klägerin beantragt bei der beklagten BA Insolvenzgeld für die Monate November und Dezember 2014 sowie Januar 2015 i.H.v. 1.400 EUR brutto bzw. 1.154 EUR netto. Sie habe kein Arbeitsentgelt in diesen Monaten erhalten. Die beklagte BA erhielt sodann Kenntnis von einer etwaigen Fortführung des Betriebs durch eine T.A. Objekte GmbH. Der vorläufige Insolvenzverwalter teilte mit, dass der Geschäftsbetrieb der CA Verwaltungs-GmbH (bisheriger Arbeitgeber der Klägerin) zum 11.12.2014 vollständig eingestellt worden war. Die beklagte BA hat die Firma T.A. Objekte GmbH auf den Betriebsübergang gem. § 613a BGB hingewiesen und zugleich einen Anspruchsübergang gem. § 169 SGB III angezeigt. Mit angefochtenem Bescheid bewilligte die BA der Klägerin Insolvenzgeld für die Zeit bis zum 11.12.2014. Danach sei die Firma T.A. Objekte GmbH gem. § 613a BGB verpflichtet, den Lohn zu zahlen. Der dagegen eingelegte Widerspruch war erfolglos. Nach den Feststellungen der BA sei die Betriebstätigkeit der C.A. Verwaltungs-GmbH nahtlos und unverändert fortgesetzt und von der T.A. Objekte GmbH übernommen worden. Ab dem 12.12.2014 habe die Klägerin Entgeltansprüche gem. § 613a BGB gegen den Übernehmer – unbeschadet der von der bisherigen Arbeitgeberin ausgesprochenen Freistellung.

Auf die Klage verurteilt das SG die beklagte BA, der Klägerin Insolvenzgeld auch für den Zeitraum vom 12.12.2014 bis 31.01.2015 zu gewähren. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die auf den Betriebsübergang Bezug nimmt. Aufgrund der Insolvenz einer Vorgängerfirma sei bereits Insolvenzgeld zu zahlen gewesen, so dass ein neues, den Anspruch auslösendes Insolvenzereignis nicht eingetreten sei. Tatsächlich sei die CA Verwaltungs-GmbH von Anfang an zahlungsunfähig gewesen.

Entscheidung

Das LSG weist die Berufung der Beklagten zurück. Die Klägerin war ausweislich ihres Arbeitsvertrages seit dem 01.08.2014 als Arbeitnehmerin bei der CA Verwaltungs-GmbH beschäftigt. Anhaltspunkte dafür, dass bereits vor Eintritt der Insolvenz ein Arbeitsvertrag mit einer anderen Firma bestanden haben könnte, liegen nicht vor. Den Eintritt eines früheren Insolvenzereignisses konnte der Senat nicht feststellen, insbesondere kommt ein Insolvenzereignis gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III am 11.12.2014 nicht in Betracht. Hierfür muss zum einen eine vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland vorliegen. Darüber hinaus darf ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden sein. Tatsächlich ist der Antrag am 30.10.2014 gestellt worden. Ob die CA Verwaltungs-GmbH schon bei Betriebsaufnahme zahlungsunfähig war, ist unerheblich.

Die Aufnahme der Arbeit kann trotz Zahlungsunfähigkeit zu insolvenzgeschützten Entgeltansprüchen führen. Dies entnimmt der Senat dem Umkehrschluss aus § 165 Abs. 3 SGB III, wonach ein Anspruch auch dann bestehen kann, wenn der Arbeitnehmer in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet hat. Lediglich im Insolvenzgeldfall der vollständigen Betriebsaufgabe wegen Zahlungsunfähigkeit kommt eine Aufnahme der Arbeit bei Eintritt des Insolvenzereignisses nicht mehr in Betracht: Hat der Arbeitgeber seine Betriebstätigkeit vollständig wegen Zahlungsunfähigkeit eingestellt, so kann danach die Arbeit nicht aufgenommen werden.

Praxishinweis

1. Der Senat prüft ergänzend, ob die Fortsetzung des früheren, bei der Firma PU GmbH & Co.KG Im August eingetretenen Insolvenzereignisses anzunehmen sei. Hier handelt es sich um unterschiedliche Arbeitgeber. Nach der Rechtsprechung des BSG tritt ein neues Insolvenzereignis im Sinne des SGB III nicht ein und löst auch keine Ansprüche auf Insolvenzgeld aus, solange die auf einem früheren Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit desselben Arbeitgebers noch andauere.

2. Es kann nicht zu Lasten der Klägerin gehen, dass möglicherweise – ohne dass sie dies im Einzelnen bemerkt hat – ein Dritter im Wege des Betriebsübergangs eintrittspflichtig sein könnte. Denn: Die Insolvenzgeldversicherung folgt dem Grundsatz, dass der Arbeitnehmer sich wegen der Realisierung seines Arbeitsentgeltanspruchs ausschließlich an seinen Arbeitgeber halten muss. Es widerspräche dem Zweck dieser Sozialleistung, wenn nach der durch ein gesetzliches Insolvenzereignis offenbarten Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers der Arbeitnehmer auf das Ergebnis des Insolvenzverfahrens oder die Geltendmachung der ausstehenden Arbeitsentgeltansprüche gegen Dritte verwiesen würde.

3. Zum Wegfall des Anspruchs auf erneutes Insolvenzgeld bei fortbestehender Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers vgl. BSG, NZI 2017, 862.

Redaktion beck-aktuell, 2. Januar 2018.