LSG Hessen: Beitragspflicht aus einer Abfindung der betrieblichen Altersversorgung

SGB V §§ 226, 239; SGB IV § 14

Die Abfindung einer Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung unterliegt nicht der Beitragspflicht aus Arbeitsentgelt gem. § 14 SGB IV, sondern gehört zu den Versorgungsbezügen i.S.d. § 229 Abs. 1 SGB V. (Leitsatz des Verfassers)

LSG Hessen, Urteil vom 09.02.2017 - L 1 KR 67/15, BeckRS 2017, 106608

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 09/2017 vom 12.05.2017

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Sachverhalt

Die Klägerin war beschäftigt bei der Beigeladenen zu 1 und ist versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Krankenkasse. Bei der Beigeladenen zu 1 bestand eine Unterstützungskasse, die mit der Klägerin im Jahre 2011 eine Abfindungsvereinbarung abschloss. Die monatliche Anwartschaft auf Altersrente betrug seinerzeit 99,01 EUR, so dass gegen einmalige Kapitalzahlung i.H.v. 7.665 EUR brutto der gesamte Anspruch abgefunden wurde. Aus diesem Bruttobetrag führte der Arbeitgeber Gesamtsozialversicherungsbeiträge mit einem Arbeitnehmeranteil i.H.v. 1.580,91 EUR an die beklagte Krankenkasse als Einzugsstelle ab. Die Klägerin verlangt von der beklagten Krankenkasse die Erstattung dieser Beiträge, da sie zu Unrecht i.S.d. § 26 Abs. 2 SGB IV gezahlt worden seien. Die Abfindung der Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung stelle einen „Versorgungsbezug“ gem. § 229 Abs. 1 SGB V dar, so dass eine Beitragspflicht zur Krankenversicherung entfällt, weil die Geringfügigkeitsgrenze des § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V nicht überschritten ist. Die beklagte Kasse lehnt den Erstattungsanspruch ab, da die Entscheidung des BSG vom 25.08.2004 (NZS 2005, 370) rechtlich überholt sei. Nach dem Besprechungsergebnis der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vom 17.03.2005 handele es sich bei solcherart Abfindung um beitragspflichtiges Arbeitsentgelt. Bei einer nicht dem Gesetzeszweck folgenden Verwendung erworbener betrieblicher Versorgungsanwartschaften werde der in der Sozialversicherung für Arbeitgeberzuwendungen bzw. Entgeltumwandlungen zur betrieblichen Altersversorgung geregelten Beitragsfreiheit die Grundlage entzogen. Der Abfindungsbetrag sei somit ein geldwerter Vorteil für den Beschäftigten, der als einmalig gezahltes Arbeitsentgelt i.S.d. Sozialversicherung anzusehen sei. Das SG hebt den Bescheid auf und verpflichtet die beklagte Kasse, die auf die Abfindung entrichteten Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung i.H.v. 1.580,91 EUR zu erstatten. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die unter Bezug auf Uckermann (NZS 2010, 489) bei ihrer Auffassung verbleibt, wonach die Abfindung beitragspflichtiges Arbeitsentgelt darstelle.

Entscheidung

Das LSG weist die Berufung der Beklagten weitgehend zurück. Eine Zuständigkeit für den Bereich der Pflegeversicherung, was die Erstattung durch die Einzugsstelle anlangt, sei gesetzlich nicht geregelt, so dass die Klage nur insoweit begründet ist, als es um die Erstattung der Arbeitnehmeranteile zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung geht, und zwar gem. § 26 Abs. 2 SGB IV. Bei der Abfindung handelt es sich um eine Kapitalleistung i.S.d. § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V, die kein Arbeitsentgelt gem. § 14 Abs. 1 SGB IV darstellt. Das BSG hat mit Urteil vom 25.08.2004 (a.a.O.) entschieden, dass im Anwendungsbereich des § 229 SGB V nur diese Vorschrift gilt, und zwar auch für die anderen Sozialversicherungszweige. Der Anwendungsbereich des § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V i.V.m. § 14 SGB IV ist auch nicht deshalb wieder eröffnet, weil die hier noch anwendbare alte Fassung des § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V eine Abfindung nicht erfasste. Die entgegenstehenden Überlegungen im Besprechungsergebnis der Spitzenverbände aus dem Jahre 2005 haben keine Rechtsnormqualität. Mittlerweile haben die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung ihre Rechtsauffassung auch geändert und sind im Besprechungsergebnis vom 20.04.2016 zu dem Ergebnis gelangt, dass auch Abfindungen von Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung zu den Versorgungsbezügen in Form einer Kapitalleistung nach § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V gehören.

Praxishinweis

1. Versorgungsbezüge i.S.d. §§ 226, 229 SGB V sind nur zur Kranken- und Pflegeversicherung beitragspflichtig, nicht zur Renten- und Arbeitslosenversicherung, da sie kein Entgelt i.S.d § 14 SGB IV sind (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, BeckRS 2015, 69793 und juris-PK SGB V/Peters, 3. Aufl. 2016, § 229 Rn. 59 ff.).

2. Die Beitragsfreiheit zur Krankenversicherung dieser Abfindung als Versorgungsbezug ergibt sich im vorliegenden Fall daraus, dass der Betrag von 7.665 EUR durch 120 zu dividieren ist. Der dann verbleibende Betrag liegt unterhalb der Beitragspflichtgrenze von 1/20 der monatlichen Bezugsgröße (2011: 127,75 EUR). Dieser Grenzbetrag folgt aus § 226 Abs. 2 SGB V.

Redaktion beck-aktuell, 16. Mai 2017.