SG Stade: Oberliga-Fußballspieler sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt

SGB IV § 7

Fußballsportler, die sich gem. Vertrag verpflichten, für den Verein (in dem sie Mitglied sind) den Fußballsport auszuüben, d.h. an allen Spielen und Lehrgängen, sowie am Training und an sonstigen der Spiel- und Wettkampfvorbereitung dienenden Veranstaltungen teilzunehmen, stehen zum Verein in einem Beschäftigungsverhältnis gem. § 7 SGB IV. (Leitsatz des Verfassers)

SG Stade, Urteil vom 08.11.2016 - S 1 KR 167/13, BeckRS 2016, 116100

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 06/2017 vom 31.03.2017

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Sachverhalt

Die Beteiligten streiten um eine Beitragsnachforderung aufgrund Betriebsprüfung gem. § 28p SGB IV. Die Klägerin ist ein Sportverein, der als eingetragener Verein organisiert ist. Im Jahr 2013 hatte die Klägerin mehr als 1.000 Mitglieder, mittlerweile ist die Mitgliederzahl auf 70 bis 80 gesunken. Die Klägerin, die Mitglied im Niedersächsischen Fußballverband ist, verfügt über eine Fußballsparte. Die erste Fußball-Herrenmannschaft der Klägerin spielte seit Jahren in der fünfthöchsten Spielklasse im deutschen Herrenfußball, zunächst der Niedersachsenliga, später in der Oberliga Nord sowie der Oberliga Niedersachsen. Die Mannschaft trainierte an mindestens vier Tagen in der Woche je 2,5 Stunden. In der Vorbereitungsphase fanden manchmal fünf bis sechs Trainingseinheiten statt. Hinzu kam ein Punktspiel pro Woche sowie zusätzlich Pokalspiele. Die Spielkleidung wurde vom Sponsor gestellt, ebenso ein Trainingsanzug sowie monatliche Zahlungen an die Spieler in unterschiedlicher Höhe, in Abhängigkeit von Trainingszeiten, Spielart und Erfolg.

Im November 2011 durchsuchte das Finanzamt zusammen mit dem Hauptzollamt Bremen die Räumlichkeiten der Klägerin und beschlagnahmte umfangreiche Unterlagen, woraufhin die Beklagte eine Betriebsprüfung gem. § 28p SGB IV durchführte und mit angefochtenem Bescheid SV-Beiträge inklusive Säumniszuschläge i.H.v. insgesamt 689.757 EUR für den Zeitraum 01.01.2005 bis 30.06.2012 nachforderte. Die Fußballspieler seien allesamt Mannschaftssportler und in das Team eingegliedert. Nach den Vereinbarungen hätten sich die Spieler für eine bestimmte Zeit gegen Entgelt zur Verfügung gestellt. Die Klägerin wendete im Widerspruchs- und Klageverfahren ein, der Wille zu einem Arbeitsverhältnis sei nicht gegeben. Das Verhältnis zwischen Spielern und Klägerin habe mit dem Eintritt in den Verein begonnen und mit dem Ausscheiden aus dem Verein geendet. Die erwähnten Verträge hätten keine Rechtsbindungswirkung gehabt. Die Spieler seien jederzeit frei gewesen, nicht zum Training zu kommen oder nicht zum Spiel zu erscheinen. Zahlungen seien lediglich zur Motivation der Amateurspieler erfolgt. Der Gesamtzeitaufwand pro Spieler habe in der Regel rund 100 Stunden pro Monat betragen. Die gewährten finanziellen Leistungen würden also einen theoretischen Stundenlohn von lediglich 0,50 bis 2 EUR ergeben.

Entscheidung

Das SG weist die Klage ab. Die Spieler waren durch Vertrag in die Organisation der Klägerin weisungsgebunden eingegliedert. Eine weisungsgebundene Eingliederung des Fußballspielers sei nach BSG vom 27.10.2009 (BeckRS 2010, 65879) gegeben, wenn sich dieser gegenüber dem Sportverein zur Erbringung fußballsportlicher Tätigkeiten nach Weisungen des Vereins verpflichtet, typischerweise gegen Zahlung eines Arbeitsentgelts. An einer Beschäftigung fehlt es nur dann, wenn zwischen Sportler und Sportverein lediglich mitgliedschaftsrechtliche Bindungen bestehen.

Die Klägerin habe sogar einige Spieler zur Sozialversicherung angemeldet, unabhängig davon, ob nun ein schriftlicher Vertrag vorlag oder nicht. Die Ungewissheit, ob in allen Fällen schriftliche Verträge abgeschlossen wurden, geht zu Lasten der Klägerin, die nach § 8 Beitragsverfahrensordnung (BVV) prüffähige Entgeltunterlagen bereitzuhalten hat. Durch die Verträge wurden den Spielern Verpflichtungen auferlegt, die über rein mitgliedschaftliche Vereinspflichten hinausgehen. Neben der Teilnahmepflichten für Training und Spielbetrieb werden zum Beispiel Urlaubsansprüche und die Höhe des Entgelts geregelt.

In der Rechtsprechung wurde angenommen, dass geringe Beträge als pauschalierte Aufwandsentschädigung angesehen werden können, z.B. ein Betrag von 175 DM gemäß Urteil des BSG vom 27.10.2009 (a.a.O.). Die hier in Rede stehenden Zahlungen übersteigen derartige Grenzwerte erheblich. Es ist dann nicht mehr entscheidend, ob die Zahlungen an Sportler als wirtschaftliche Gegenleistung für das Fußballspielen angesehen werden können oder z.B. Mindestlohngrenzen unterschreiten. Das SG stellt auf den Grenzwert des § 8 Abs. 1 SGB IV ab, wonach eine geringfügige Beschäftigung vorliegt, wenn das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 400 EUR (ab 01.01.2013: 450 EUR) nicht übersteigt. Vertragsgebundene Spieler mit Einkommen über diesem Betrag im Monat sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das Entgelt unterliegt der Beitragspflicht. Dass der Zweck der Zahlungen an die Spieler nicht auf eine bloße Vereinsbindung gerichtet war, ist daran abzulesen, dass die Verträge bzw. Zahlungen für sie durchweg zu Beginn der Hinrunde im Juli/August oder zur Rückrunde im Januar eines Jahres einsetzten und endeten. Die regelhaft zeitliche Bindung der Zahlungen an Saisonbeginn und –ende sowie die Wechselperiode im Winter belegt, dass die Klägerin mit der Zahlung gerade nicht die bloße Aufrechterhaltung der Vereinsmitgliedschaft bezweckte, sondern Bezugspunkt der Zahlung stets die Tätigkeit des Spielens in der ersten Herrenmannschaft war. Es handelte sich dabei auch nicht lediglich um Ersatz für entstandene Aufwendungen.

Praxishinweis

1. Nach BSG vom 23.04.2015 (BeckRS 2015, 71858) kommt bei Sportlern auch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ohne Vergütung in Betracht. Dass unter dem Aspekt des Mindestlohngesetzes dann eine Beitragspflicht aus „ Phantom-Lohn“ besteht, ist eine andere Frage.

2. Das SG bejaht das Vorliegen von „Schwarzarbeit“, sodass hier die 30-jährige Verjährung gem. § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eingreift und Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV zu zahlen sind. Im Bereich des Vereinssports gibt es zur Abgrenzung von Vereinstätigkeit auf der einen Seite und abhängiger Beschäftigung auf der anderen Seite sehr fließende Grenzen, sodass die Annahme von Vorsatz durchaus problematisch erscheint, auch dann, wenn man mit berücksichtigt, dass der Verein seit 2009 einzelne Spieler zur Sozialversicherung angemeldet hat und das auch noch mit einem Teilentgelt.

3. Der Verein dürfte kaum in der Lage sein, die angeforderten Beiträge zu zahlen. Er wird also nach § 42 BGB Insolvenz anmelden. Die Frage ist nun, ob Organe persönlich haften gem. § 266a StGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB. Von der Haftung befreit ist der Vorstand nach § 31a BGB im Innenverhältnis nur dann, wenn er ehrenamtlicher Vorstand war und für seine Vorstandstätigkeit keine Vergütung, die 720 EUR pro Jahr übersteigt, erhielt. Das befreit den Vorstand aber nicht von der persönlichen Haftung gem. § 266a StGB i.V.m § 823 Abs. 2 BGB im Außenverhältnis begründet u.U. aber einen Anspruch auf Freistellung gegen den Verein gem. § 31a Abs. 2 BGB.

Redaktion beck-aktuell, 5. April 2017.